»Oh«, sagte Milly verblüfft. »Das tut mir leid.« Sie fuhr mit dem Finger leicht über den Rand ihres Glases. »War das da, wo dir aufgegangen ist, dass du nicht … dass du doch …« Sie hielt inne.
»Ja.« Rupert starrte in sein Glas.
»Und wann war das?«
»Am Ende jenes Sommers«, sagte Rupert leise. »Im September.« Ungläubig sah Milly ihn an. Ihr Herz begann zu pochen.
»In dem Sommer, als ich euch kennen gelernt habe?«, fragte sie. »In dem Sommer, in dem wir geheiratet haben?«
»Ja.«
»Zwei Monate, nachdem ich Allan geheiratet habe, habt ihr euch getrennt?«
»Ja.« Rupert blickte auf. »Aber ich möchte lieber nicht …«
»Du willst mir weismachen, ihr wart nur noch zwei Monate zusammen?«, rief Milly gequält. »Ich habe mein Leben zerstört, damit ihr noch zwei weitere Monate zusammen sein konntet?« Ihre Stimme schwoll zu einem Kreischen an. »Zwei Monate?«
»Ja!«
»Du Arschloch!« In plötzlich aufwallendem Zorn spritzte Milly Rupert ihren Wein ins Gesicht, und seine Haut verfärbte sich blutrot. »Du Arschloch!«, sagte sie erneut, während sie zitternd zuschaute, wie ihm die dunkelrote Flüssigkeit über das japsende Gesicht lief und dann auf sein schickes Hemd tropfte. »Ich habe für dich das Gesetz gebrochen! Jetzt hänge ich mit einem ersten Ehemann fest, den ich nicht will! Und alles nur, damit du es dir nach zwei Monaten anders überlegen konntest.«
Eine lange Weile schwiegen beide. Rupert saß regungslos da und starrte Milly durch eine feuchte, rote Maske an.
»Du hast recht«, sagte er schließlich. Er klang gebrochen. »Ich habe alles vermasselt. Ich habe dir dein Leben vermasselt, ich habe mein Leben vermasselt. Und Allan …«
Milly räusperte sich unbehaglich.
»Hat er …«
»Er hat mich geliebt«, sagte Rupert wie zu sich selbst. »Das war’s, was ich nicht kapiert habe. Er hat mich geliebt.«
»Hör zu, Rupert, es tut mir leid«, meinte Milly verlegen. »Wegen des Weines. Und … allem.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, entgegnete Rupert grimmig. »Das brauchst du nicht.« Er sah auf. »Milly, ich werde Allan für dich finden. Und ich bringe das mit der Scheidung in Ordnung. Aber bis Samstag ist das nicht zu schaffen. Das ist so gut wie unmöglich.«
»Schon klar.«
»Was wirst du tun?«
Lange Zeit herrschte Stille.
»Ich weiß es nicht«, sagte Milly schließlich. Sie schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Ich kann doch jetzt nicht die Hochzeit abblasen«, meinte sie bedächtig. »Das kann ich meiner Mutter nicht antun. Niemandem.«
»Du ziehst es also einfach durch?«, erkundigte Rupert sich entgeistert. Milly zuckte mit den Achseln. »Aber was ist mit dem, der dir damit droht, etwas auszuplaudern, wer auch immer das ist?«
»Ich … ich werde ihn dazu bringen, dass er schweigt. Irgendwie.«
»Dir ist schon klar«, Rupert senkte die Stimme, »dass das, was du da vorhast, Bigamie ist? Du brichst damit das Gesetz!«
»Danke für die Warnung«, erwiderte Milly sarkastisch. »Aber das wäre ja nicht das erste Mal, erinnerst du dich?« Einen Augenblick sah sie ihn schweigend an. »Was glaubst du? Würde ich damit durchkommen?«
»Ich nehme an, schon«, antwortete Rupert. »Ist es dir ernst damit?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Eine Weile später, als die Weinflasche geleert war, holte Rupert ihnen von der Bar zwei Tassen Kaffee. Bei seiner Rückkehr sah Milly zu ihm auf. Er hatte sein Gesicht gesäubert, aber Hemd und Jackett waren noch immer voller Rotweinflecken.
»So wirst du heute Nachmittag nicht mehr arbeiten können«, bemerkte sie.
»Ich weiß«, erwiderte Rupert. »Aber das macht nichts. Was Wichtiges stand eh nicht an.« Schweigen.
»Rupert?«
»Ja?«
»Weiß deine Frau davon? Von dir und Allan?«
Rupert blickte sie starr an. »Was glaubst denn du?«
»Aber wieso?«, fragte Milly. »Hast du Angst, sie würde es nicht verstehen?« Rupert lachte kurz auf.
»Das ist noch milde ausgedrückt.«
»Aber wieso nicht? Wenn sie dich liebt …«
»Würdest du es verstehen?« Rupert sah sie zornig an. »Wenn dein Simon sich umdrehen und dir sagen würde, dass er mal eine Affäre mit einem Mann hatte?«
»Ja«, meinte Milly unsicher. »Ja, ich glaube schon. Solange wir uns anständig darüber unterhalten würden …«
»Das würdest du nicht«, versetzte Rupert scharf. »Das kann ich dir jetzt sagen. Du würdest nicht mal anfangen zu verstehen. Und Francesca genauso wenig.«
»Du gibst ihr ja gar nicht die Chance! Na, komm, Rupert, sie ist deine Frau! Sei ehrlich zu ihr.«
»Ehrlich? Du rätst mir, ehrlich zu sein?«
»Aber das ist es doch gerade!«, sagte Milly und beugte sich mit ernstem Gesicht vor. »Ich hätte von Anfang an ehrlich zu Simon sein müssen. Ich hätte ihm alles sagen sollen. Wir hätten das mit der Scheidung gemeinsam klären können; alles wäre in Butter gewesen. Aber so …« Sie breitete ihre Hände hilflos auf dem Tisch aus. »So stecke ich im Schlamassel.« Sie hielt inne und nippte an ihrem Kaffee. »Was ich sagen will, ist, wenn ich die Chance hätte, die Zeit zurückzustellen und Simon die Wahrheit zu sagen, dann würde ich sie ergreifen. Und du hast diese Chance, Rupert! Du hast die Chance, ehrlich zu Francesca zu sein, ehe … ehe alles schiefläuft.«
»Bei mir ist es anders«, erwiderte Rupert steif.
»Das stimmt nicht. Es ist bloß ein anderes Geheimnis. Alle Geheimnisse kommen schließlich ans Licht. Wenn du es ihr nicht erzählst, dann findet sie es auf anderem Wege heraus.«
»Wird sie nicht.«
»Vielleicht doch!« Milly hob überzeugt die Stimme. »Ganz leicht könnte sie das! Und das willst du riskieren? Sag es ihr einfach, Rupert! Sag es ihr.«
»Sag mir was?«
Eine Frauenstimme traf Millys Ohren wie ein Peitschenschlag, und sie riss bestürzt den Kopf herum. Am Eingang des Alkovens stand eine hübsche Frau mit rötlichem Haar und schicker, konventioneller Kleidung. Neben ihr stand Ruperts Freund Tom.
»Was sollst du mir sagen?«, wiederholte die Frau in hohen, scharfen Tönen und ließ ihren Blick zwischen Rupert und Milly hin und her schnellen. »Rupert, was ist dir passiert?«
»Francesca«, sagte Rupert mit bebender Stimme. »Keine Sorge, das ist bloß Wein.«
»Hi, Rupe!«, sagte Tom lässig. »Wir dachten uns schon, dass wir dich hier finden würden.«
»Aha, das ist also Milly«, meinte die Frau. Sie sah Rupert luchsäugig an. »Tom hat mir erzählt, dass du deine alte Freundin getroffen hast. Milly aus Oxford.« Sie lachte kurz auf. »Das Merkwürdige ist, Rupert, dass du mir gesagt hast, du wolltest nicht mit Milly aus Oxford reden. Du hast mich gebeten, all ihre Nachrichten zu ignorieren. Du hast gesagt, sie sei eine Spinnerin.«
»Eine Spinnerin?«, rief Milly entrüstet.
»Ich wollte nicht mit ihr sprechen!«, sagte Rupert mit ängstlichem Blick. »Und will es immer noch nicht!«
»Hör mal«, sagte Milly eilig. »Vielleicht gehe ich jetzt besser.« Sie erhob sich und ergriff ihre Handtasche. »Nett, Sie kennen gelernt zu haben«, sagte sie zu Francesca. »Ehrlich, ich bin nur eine alte Freundin.«
»Stimmt das?« Francescas blasse Augen bohrten sich in die Ruperts. »Was ist es denn dann, was du mir sagen sollst?«
»Bye, Rupert«, meint Milly hastig. »Bye, Francesca.«
»Was hast du mir zu sagen, Rupert? Was ist es? Und Sie …« Sie drehte sich zu Milly um. »Sie bleiben hier!«
»Ich muss zu meinem Zug«, sagte Milly. »Wirklich, ich muss los. Es tut mir so leid!«
Ohne einen weiteren Blick zu Rupert bahnte sie sich rasch ihren Weg durch die Bar und sprang die Holztreppe zur Straße hinauf. Als sie in die Luft hinaustrat, fiel ihr ein, dass sie ihr Feuerzeug auf dem Tisch liegen gelassen hatte. Es schien ihr ein kleiner Preis für ihr Entkommen.