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»Du willst es einfach nicht verstehen«, meinte Olivia bitter.

»Die ganze Familie ist besessen! Ich finde, Milly, es wäre sehr gut für dich, wenn du eine Weile mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren würdest.«

»Wie meinst du das?«, fragte Milly zittrig.

»Milly, du schwebst doch sonstwo! Du hast dich in diese Ehe gestürzt, ohne darüber nachzudenken, was sie bedeutet, ohne alle anderen Möglichkeiten zu erwägen. Ich weiß, Simon ist ein äußerst attraktiver junger Mann, ich weiß, sein Vater ist sehr reich …«

»Das hat überhaupt nichts damit zu tun!« Millys Gesicht war aschfahl geworden. »Ich liebe Simon! Ich möchte ihn heiraten, weil ich ihn liebe.«

»Du glaubst, du liebst ihn«, wandte James ein. »Aber vielleicht ist das eine gute Chance für dich, noch eine Weile zu warten. Schau, ob du nicht zur Abwechslung mal auf eigenen Füßen stehen kannst. Wie Isobel.«

»Wie Isobel«, echote Milly mit ungläubiger Stimme. »Immer willst du, dass ich wie Isobel bin. Die ja so verdammt perfekt ist!«

»Natürlich möchte ich das nicht«, versetzte James ungeduldig. »So habe ich das nicht gemeint.«

»Du möchtest, dass ich das mache, was Isobel macht.«

»Vielleicht«, räumte James ein. »Manches davon.«

»Daddy …«, begann Isobel.

»Na gut!«, schrie Milly und spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. »Wenn du unbedingt willst. Dann heirate ich eben nicht! Und werde stattdessen schwanger, so wie Isobel!«

Atemlose Stille trat ein.

»Schwanger?«, fragte Olivia fassungslos.

»Vielen Dank, Milly«, sagte Isobel kurz und schritt zur Tür.

»Isobel …«, begann Milly. Doch Isobel war bereits aus dem Zimmer gestürzt und hatte die Tür ohne einen Blick zurück hinter sich zugeschlagen.

»Schwanger«, wiederholte Olivia. Sie tastete nach einem Stuhl und setzte sich.

»Ich wollte das eigentlich gar nicht sagen«, murmelte Milly, entsetzt über sich selbst. »Könnt ihr nicht einfach vergessen, was ich gesagt habe?«

»Du bist verheiratet«, sagte Olivia erschüttert. »Und Isobel ist schwanger.« Sie sah auf. »Stimmt das wirklich?«

»Das ist ihre Sache«, erwiderte Milly und sah zu Boden. »Das geht mich nichts an. Ich hätte den Mund halten sollen.«

Ein Klingeln an der Tür ließ alle aufschrecken.

»Das wird Isobel sein.« James erhob sich. Er öffnete die Tür und machte einen Schritt zurück.

»Ah«, sagte er. »Simon, du bist es.«

Isobel ging den Bürgersteig entlang, ohne stehen zu bleiben, ohne zurückzusehen, ohne zu wissen, wohin. Ihr Herz hämmerte, die Lippen hatte sie fest zusammengepresst. Der Schnee war inzwischen matschig; ein kalter Sprühregen benetzte ihr Haar und tropfte ihren Hals hinunter. Aber mit jedem Schritt fühlte sie sich ein bisschen besser. Jeder Schritt brachte sie der Anonymität näher und fort von den schockierten Gesichtern ihrer Familie.

Noch immer bebte sie vor Zorn. Sie fühlte sich verraten, falsch dargestellt, war unendlich wütend auf Milly … und doch tat ihr ihre Schwester zu leid, als dass sie ihr Vorwürfe gemacht hätte. Noch nie hatte sie eine derart hässliche Familienszene erlebt, mit der schutzlosen Milly in der Mitte. Kein Wunder, dass die sich der erstbesten Ablenkungstaktik bedient hatte, die sich ihr anbot. Das war verständlich. Aber leichter machte es das auch nicht.

Isobel schloss die Augen. Sie kam sich so verletzlich vor, nicht bereit für das alles. Bei ihrer Rückkehr würden ihre Eltern sicher mit ihr sprechen wollen. Sie würden erwarten, dass sie ihnen Rede und Antwort stand, dass sie sie beruhigte und ihnen half, die Neuigkeit zu verdauen. Dabei hatte sie das doch selbst kaum geschafft. Ihre Gedanken dazu konnte sie noch nicht artikulieren, konnte nicht länger zwischen Emotionen und körperlichen Empfindungen unterscheiden. Sprühender Optimismus wechselte mit Weinerlichkeit, und die Übelkeit machte alles nur noch schlimmer. Was ist es für ein Gefühl?, würde Milly zweifelsohne fragen. Was ist es für ein Gefühl, ein Kind in sich zu tragen? Aber Isobel wollte das nicht beantworten. Sie wollte sich nicht als jemanden sehen, der demnächst Mutter wurde.

An einer Straßenecke blieb sie stehen und legte die Hand auf den Bauch. Wenn sie an das Wesen in sich dachte, dann wie an ein kleines Schalentier oder eine Schnecke. Etwas Zusammengerolltes und kaum Menschliches. Etwas Unbestimmtes, dessen Leben noch nicht begonnen hatte. Dessen Leben, wenn sie es so wollte, nicht weiter fortschreiten würde. Eine Woge aus Kummer und Übelkeit überkam sie, und sie fing zu zittern an. Die ganze Familie, dachte sie, sorgt sich darum, ob Millys Hochzeit stattfinden soll oder nicht. Während ich, mutterseelenallein, zu entscheiden versuche, ob ein kleiner Mensch entstehen darf oder nicht.

Der Gedanke lähmte sie. Sie fühlte sich fast überwältigt von der Last, überwältigt von der Entscheidung, die sie würde fällen müssen, und einen Augenblick fühlte sie sich einem Zusammenbruch nahe. Doch stattdessen schob sie die Hände tiefer in die Taschen, biss die Zähne zusammen und marschierte weiter.

Als träten sie bei einer Talkshow auf, saßen Simon und Milly einander zugewandt im Wohnzimmer.

»So«, meinte Simon schließlich. »Worum geht’s jetzt eigentlich?«

Milly starrte ihn schweigend an. Ihre Finger zitterten, als sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich; sie öffnete die Lippen, um zu sprechen, und schloss sie dann wieder.

»Du machst mich nervös«, sagte Simon. »Komm, Schatz. So schlimm kann’s doch nicht sein, oder?«

»Nein.«

»Na also.« Er grinste sie an, und Milly lächelte, plötzlich erleichtert, zurück.

»Es wird dir nicht gefallen.«

»Ich werde tapfer sein«, erwiderte Simon. »Na, komm schon, sag’s mir ins Gesicht.«

»Okay«, sagte Milly. Sie holte tief Luft. »Die Sache ist die, dass wir am Samstag nicht heiraten können. Wir werden die Trauung verschieben müssen.«

»Verschieben?«, sagte Simon bedächtig. »Na, okay. Aber warum?«

»Es gibt da was, das ich dir nicht erzählt habe.« Milly knetete nervös ihre Hände. »Mit achtzehn habe ich etwas sehr Dummes getan. Ich habe jemanden geheiratet. Es war eine Scheinehe, die nichts bedeutet hat. Aber die Scheidung ist nie vollzogen worden. Deshalb bin ich … bin ich immer noch verheiratet.«

Sie warf Simon einen Blick zu. Er wirkte verwirrt, aber nicht zornig, und ihr fiel ein Stein vom Herzen. Nach den hysterischen Anfällen ihrer Mutter war es eine Wohltat, zu sehen, wie ruhig Simon die Nachricht aufnahm. Er flippte nicht aus; er brüllte nicht los. Und warum auch? Schließlich hatte das alles ja nichts mit ihrer Beziehung zu tun, oder? Es war nichts weiter als ein technischer Haken.

»Das bedeutet nur, dass ich auf das rechtskräftige Urteil warten muss, ehe wir heiraten können.« Sie biss sich auf die Lippe. »Simon, es tut mir wirklich leid.«

Langes Schweigen.

»Ich verstehe nicht ganz?«, sagte Simon schließlich. »Ist das ein Witz?«

Sie sah ihn unglücklich an. Seine dunklen Augen musterten sie, langsam trat ein ungläubiger Ausdruck auf sein Gesicht.

»Das ist dein Ernst!«

»Ja.«

»Du bist wirklich verheiratet!«

»Ja. Aber es war keine richtige Ehe«, sagte Milly rasch. Sie starrte zu Boden, bemüht, die Stimme ruhig zu halten. »Er war schwul. Die ganze Sache war ein Schwindel. Damit er das Land nicht verlassen musste. Ehrlich, es hat nichts bedeutet. Weniger als nichts! Das verstehst du doch, oder? Du verstehst es doch?«

Sie sah zu ihm auf. Aber als sie sein Gesicht sah, wurde ihr schlagartig klar, dass er es nicht verstand.

»Es war ein Fehler«, sagte sie und verhaspelte sich in der Eile fast. »Ein großer Fehler. Jetzt sehe ich das ein. Ich hätte mich nie dazu hergeben sollen. Aber ich war jung und sehr dumm, und er war ein Freund. Oder zumindest dachte ich das. Und er brauchte meine Hilfe. Mehr war da nicht dran!«