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James, der an der Tür vorbeiging, sah Olivia traurig mit Millys Hochzeitskleid, und ihm lief die Galle über. Ohne innezuhalten marschierte er ins Zimmer.

»Herrgott noch mal, Olivia«, schnauzte er. »Die Hochzeit ist abgesagt! Sie ist abgesagt! Geht dir das nicht in den Kopf?«

Olivia riss bestürzt den Kopf hoch. Mit zitternden Händen stopfte sie das Kleid wieder zurück in die Hülle.

»Doch, natürlich. Ich habe bloß …«

»In Selbstmitleid geschwelgt«, beendete James den Satz sarkastisch. »Hast bloß an deine perfekt organisierte Hochzeit gedacht, die nun nie mehr stattfinden wird.«

Olivia zog den Reißverschluss ganz hoch und wandte sich um.

»James, warum tust du so, als sei das alles meine Schuld?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Warum bin ich plötzlich der Sündenbock? Ich habe Milly nicht zu dieser Ehe gedrängt! Ich habe sie nicht zu einer Hochzeitsfeier gezwungen! Sie wollte eine! Ich habe bloß versucht, sie so gut für sie auszurichten, wie ich konnte.«

»Für dich zu organisieren versucht, meinst du!«

»Mag sein«, sagte Olivia. »Zum Teil. Aber was ist daran verkehrt?«

»Oh, ich geb’s auf!« James’ Gesicht war weiß vor Wut. »Ich dringe einfach nicht zu dir durch!« Olivia starrte ihn an.

»Ich versteh dich nicht, James. Ich versteh dich einfach nicht. Hast du dich denn nicht darüber gefreut, dass Milly heiratet?«

»Ich weiß nicht.« Er schritt steifbeinig zum Fenster. »Ehe. Was zum Teufel kann die Ehe einem jungen Mädchen wie Milly denn schon bieten?«

»Glück«, erwiderte Olivia nach einer Pause. »Ein glückliches Leben mit Simon.« James wandte sich um und sah sie merkwürdig an.

»Du glaubst, eine Ehe macht glücklich, ja?«

»Natürlich!«

»Tja, dann bist du ein größerer Optimist als ich.« Er lehnte sich an die Heizung, zog die Schultern hoch und musterte sie mit undurchdringlichem Blick.

»Wie meinst du das?«, fragte Olivia mit bebender Stimme. »James, wovon redest du?«

»Was glaubst du denn, wovon ich rede?«

Bedeutungsvolle Stille.

»Schau uns doch nur an, Olivia«, sagte James schließlich. »Ein altes Ehepaar. Schenken wir einander Glück? Unterstützen wir uns gegenseitig? Wir sind mit den Jahren nicht zusammengewachsen. Wir haben uns auseinandergelebt.«

»Das stimmt nicht!«, protestierte Olivia erschrocken. »Wir waren sehr glücklich miteinander!«

James schüttelte den Kopf.

»Jeder für sich vielleicht. Du hast dein Leben und ich meines. Du hast deine Freunde und ich meine. Aber das ist nicht das, worum es in einer Ehe geht.«

»Wir müssen keine getrennten Leben führen!« Ein Anflug von Panik schlich sich in Olivias Stimme.

»Ach, komm, Olivia!«, rief James. »Gib’s doch zu. Du bist mehr an deinen Gästen interessiert als an mir!«

»Nein, das bin ich nicht!« Olivia errötete.

»Doch. Sie stehen an erster Stelle, ich an zweiter. Zusammen mit der restlichen Familie.«

»Das ist nicht fair!«, schrie Olivia. »Ich betreibe diese Pension für die Familie! Damit wir in Urlaub fahren können. Uns den einen oder anderen Luxus leisten können. Und das weißt du auch!«

»Nun, vielleicht sind andere Dinge wichtiger«, meinte James. Olivia sah ihn unsicher an.

»Willst du damit sagen, du möchtest, dass ich das Bed and Breakfast aufgebe?«

»Nein«, erwiderte James ungeduldig. »Ich sage lediglich …«

»Was?«

Es entstand eine lange Pause. Schließlich seufzte James. »Ich schätze«, sagte er bedächtig, »ich möchte einfach nur, dass du mich brauchst.«

»Aber ich brauche dich«, erwiderte Olivia kleinlaut.

»So?« James lächelte halbherzig. »Olivia, wann hast du dich mir zum letzten Mal anvertraut? Wann hast du mich zum letzten Mal um Rat gefragt?«

»Aber du interessierst dich ja nie für das, was ich zu sagen habe!«, verteidigte sich Olivia. »Wann immer ich dir etwas erzähle, wird’s dir langweilig. Du fängst an, aus dem Fenster zu schauen. Oder du liest Zeitung. Meine Äußerungen tust du als Lappalien ab. Und überhaupt, was ist mit dir? Du vertraust mir ja auch nie etwas an!«

»Ich versuche es!«, sagte James wütend. »Aber du hörst ja nie zu, verdammt! Du quasselst nur in einem fort von der Hochzeit. Die Hochzeit hier, die Hochzeit da. Und davor gab es auch schon immer irgendwas. Quassel, quassel, quassel! Das treibt mich zum Wahnsinn!«

Schweigen.

»Ich weiß, dass ich ein bisschen viel rede«, sagte Olivia schließlich. »Das höre ich von meinen Freundinnen auch immer. Sie sagen ›Jetzt halt mal die Luft an, Olivia, und lass auch mal andere zu Wort kommen‹. Und das tue ich dann auch.« Sie schluckte. »Aber du hast nie etwas gesagt. Dir scheint es so oder so egal zu sein.«

James rieb sich müde das Gesicht. »Vielleicht nicht. Vielleicht bin ich einfach nur schon darüber hinaus. Ich weiß nur …« Er hielt inne. »Dass ich so nicht weitermachen kann.«

Die Worte hallten unheilvoll in dem kleinen Raum wider. Olivia wurde leichenblass, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.

»James«, sagte sie, ehe er fortfahren konnte. »Bitte. Nicht heute Abend.«

James blickte auf und bekam einen Schock, als er Olivia sah. Sie war kreidebleich, ihre Lippen bebten, und ihre Augen spiegelten eine tiefe Furcht wider.

»Olivia …«, begann er.

»Wenn es da etwas gibt, das du mir sagen möchtest …«, Olivia schluckte, »dann sag es mir bitte nicht heute Abend.«

Sie ging unsicher zur Tür und tastete hinter sich nach dem Türgriff. »Ich … ich ertrage heute Abend nichts mehr.«

Rupert saß am Schreibtisch in seiner Kanzlei und starrte aus dem Fenster in die dunkle, stille Nacht hinaus. Vor ihm lag eine Liste mit Telefonnummern, manche davon durchgestrichen oder geändert, andere neu notiert. Er hatte die letzten zwei Stunden am Telefon verbracht und mit Leuten geredet, von denen er gedacht hatte, er würde sie nie mehr sprechen. Mit einem alten Freund Allans aus dem Keble College, der nun am Christ Church lehrte. Mit einem alten Tutorenfreund, der nun in Birmingham arbeitete. Schon halb vergessene Bekanntschaften, Freunde von Freunden, Namen, denen er nicht einmal mehr ein Gesicht zuordnen konnte. Niemand wusste, wo Allan sich aufhielt.

Doch dieser letzte Telefonanruf hatte ihm Hoffnung gemacht. Er hatte mit einem Englischprofessor aus Leeds gesprochen, der Allan von Manchester her kannte.

»Er hat Manchester plötzlich verlassen«, hatte er gesagt.

»So viel habe ich auch herausgefunden«, sagte Rupert, der diese Information schon drei- oder viermal notiert hatte. »Haben Sie eine Ahnung, wohin er von dort aus gezogen ist?« Eine Pause entstand.

»Nach Exeter«, sagte der Professor schließlich. »Ich weiß das, weil er mir ungefähr ein Jahr darauf schrieb und mich bat, ihm ein Buch zu schicken. Es war eine Adresse in Exeter. Vielleicht habe ich sie in meinem Organizer.«

»Könnten Sie …« Rupert hatte kaum zu hoffen gewagt. »Glauben Sie …«

»So, da haben wir sie«, hatte der Professor gesagt. »St. David’s House.«

»Was ist das?« Rupert starrte auf die Adresse. »Ein College?«

»Noch nie davon gehört«, hatte der Professor erwidert. »Vielleicht ist es ein neues Studentenheim.«

Rupert hatte aufgelegt und sofort die Auskunft angerufen. Nun blickte er auf die Telefonnummer vor ihm. Bedächtig hob er den Hörer ab und wählte die Nummer. Vielleicht wohnte Allan noch dort. Vielleicht würde er ja selber abheben. Rupert hatte Herzklopfen, und seine Finger, plötzlich schweißnass, klebten am Hörer. Ihm war fast schlecht vor Aufregung.

»St. David’s House«, meldete sich eine junge männliche Stimme.

»Hallo.« Rupert umklammerte den Telefonhörer fest. »Ich hätte gern Allan Kepinski gesprochen.«

»Einen Augenblick, bitte.«