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»Oh, das«, sagte Isobel. »Keine Sorge. Das macht nichts.«

»Ich bin einfach durchgedreht. Ich hab bloß – na ja. Du weißt schon.«

»Natürlich. Ich hätte genau dasselbe gemacht.«

»Nein, bestimmt nicht.« Milly grinste schwach. »Du bist zigmal beherrschter als ich.«

»Na, trotzdem, mach dir keine Sorgen. Es war kein Problem.«

»Ehrlich? Hat Mummy dir nicht den ganzen Tag Vorträge gehalten?«

»Sie hatte gar nicht die Zeit dazu. Wir haben viel zu viel zu tun.«

»Oh.« Milly runzelte die Stirn. »Womit?«

Stille.

»Damit, die Hochzeit abzublasen«, erwiderte Isobel schließlich kummervoll.

»Oh«, sagte Milly wieder. Ihr wurde schwer ums Herz. »Oh, verstehe. Natürlich.«

»O Gott, Milly. Tut mir leid. Ich dachte, das wäre dir klar.«

»War’s auch. Klar. Natürlich müsst ihr sie abblasen.«

»Deshalb rufe ich nämlich auch an. Ich weiß, es ist schrecklich, das gerade jetzt zu fragen. Aber gibt es noch jemanden, den ich anrufen muss? Jemanden, der nicht im roten Buch steht?«

»Weiß nicht.« Milly schluckte. »Wem hast du’s denn schon gesagt?«

»Etwa der Hälfte unserer Gäste. Bis zu den Madisons. Harrys Leute übernehmen seinen Teil.«

»Wow.« Milly kam sich dumm vor, und ihr stiegen Tränen in die Augen. »Ihr seid ja wirklich von der schnellen Truppe!«

»Geht nicht anders! Manche hätten sich ja heute schon auf die Reise gemacht. Die mussten doch gleich Bescheid bekommen.«

»Stimmt.« Milly holte tief Luft. »Ich steh nur mal wieder auf der Leitung. Tja. Wie geht ihr vor?«

»Wir gehen die Liste in dem roten Buch durch. Alle … alle haben es wirklich nett aufgenommen.«

»Was erzählt ihr ihnen denn?« Milly wand das Betttuch um die Finger.

»Wir sagen, du seist krank. Wir wussten nicht, was wir sonst sagen sollten.«

»Kaufen sie euch das ab?«

»Keine Ahnung. Ein paar schon.«

Schweigen.

»Okay«, sagte Milly schließlich. »Also, wenn mir noch jemand einfällt, ruf ich an.«

»Wann kommst du wieder heim?«

»Weiß nicht.« Milly schloss die Augen und dachte an ihr Zimmer zu Hause. Geschenke und Karten überall, der Koffer für die Flitterwochen aufgeklappt am Boden, das Brautkleid, das in der Ecke hing, in Tuch gehüllt wie ein Geist. »Noch nicht. Erst wenn …«

»Klar«, erwiderte Isobel nach einer Pause. »Das verstehe ich. Also, hör zu. Ich komm mal auf einen Sprung vorbei. Wenn ich hier fertig bin.«

»Isobel … danke. Dass du das alles tust.«

»Keine Ursache. Irgendwann wirst du für mich das Gleiche tun.«

»Ja.« Milly lächelte matt. »Denke schon.«

Sie legte auf. Als sie aufsah, entdeckte sie Esme mit einem Tablett in der Tür, die sie nachdenklich betrachtete.

»Kaffee.« Sie stellte es ab. »Um zu feiern.«

»Feiern was?«, fragte Milly ungläubig.

»Dein Entrinnen.« Esme kam mit zwei Porzellanbechern zu ihr. »Dein Entrinnen vor der Ehe.«

»Es kommt mir gar nicht wie ein Entrinnen vor.«

»Natürlich nicht!«, rief Esme aus. »Noch nicht. Aber das kommt noch. Denk doch nur mal nach, Milly – du bist nicht länger gebunden. Du kannst tun und lassen, was du willst. Du bist eine unabhängige Frau!«

»Mag sein.« Milly starrte kummervoll in ihren Kaffee.

»Denk nicht so viel nach, Schatz! Trink deinen Kaffee, und schau dir irgendetwas Nettes im Fernsehen an. Und dann gehen wir essen.«

Bis auf ein paar vereinzelte Männer, die zu ihrem Kaffee Zeitung lasen, war das Restaurant leer. Rupert sah sich verlegen um und überlegte, wer von den Gästen Martin sein mochte. Schwarze Jeans, hatte er gesagt. Aber schwarze Jeans trugen die meisten hier. In seinem Anzug und teuren Hemd kam er sich zu schick vor.

Nachdem er am Abend zuvor die Kanzlei verlassen hatte, war er eine Weile ziellos herumgelaufen. Dann, als der Morgen nahte, hatte er sich in einem zweifelhaften Hotel in Bayswater ein Zimmer genommen. Er hatte wach gelegen und zur fleckigen Decke hochgestarrt. Nach dem Frühstück in einem Café war er mit einem Taxi heimgefahren und hatte sich in der Hoffnung ins Haus geschlichen, Francesca sei schon gegangen. Er kam sich wie ein Einbrecher vor, als er sich duschte, rasierte und umzog. Er hatte sich eine Tasse Kaffee gemacht, ihn in der Küche getrunken und dabei in den Garten gestarrt. Dann hatte er den Becher in die Geschirrspülmaschine gestellt, auf die Uhr gesehen und seine Aktentasche genommen. Vertraute Handlungen, Routinebewegungen. Einen Augenblick lang kam es ihm vor, als ginge sein Leben weiter wie bisher.

Aber sein Leben war nicht mehr das gleiche. Es würde nie mehr das gleiche sein. Sein Innerstes war nach außen gekehrt worden, die Wahrheit war ans Tageslicht gekommen, und nun musste er entscheiden, wie er damit umging.

»Rupert?« Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und er sah auf. Vor ihm stand ein junger Mann in schwarzen Jeans mit kurz geschorenen Haaren und Ohrring. Mit leichtem Unbehagen ging Rupert auf ihn zu.

»Guten Tag.« Ihm war bewusst, dass er gespreizt klang. »Wie geht’s?«

»Wir haben miteinander telefoniert«, sagte der junge Mann mit sanfter Stimme. »Ich bin Martin.«

»Ja.« Rupert drückte seine Aktentasche fest an sich. Plötzlich bekam er es mit der Angst zu tun. Hier war Homosexualität. Hier war seine eigene verborgene Seite, für alle sichtbar vor ihm. Er nahm Platz und schob den Stuhl etwas vom Tisch weg.

»Nett von Ihnen, dass Sie nach London gekommen sind«, sagte er steif.

»Kein Problem«, sagte Martin. »Ich bin mindestens einmal die Woche hier. Und wenn es wichtig ist …« Er breitete seine Hände aus.

»Ja.« Rupert vertiefte sich in die Speisekarte. Er würde sich den Brief und, wenn möglich, Allans Telefonnummer geben lassen und dann umgehend verschwinden.

»Ich glaube, ich nehme einen Kaffee«, sagte er, ohne aufzusehen. »Einen doppelten Espresso.«

»Ich habe auf Ihren Anruf gewartet«, erklärte Martin. »Allan hat mir eine Menge von Ihnen erzählt. Ich habe immer gehofft, Sie würden sich eines Tages auf die Suche nach ihm machen.«

»Was hat er Ihnen denn erzählt?« Rupert hob langsam den Kopf. Martin zuckte mit den Achseln.

»Alles.«

Rupert wurde feuerrot und legte die Speisekarte auf den Tisch. Er sah Martin an, auf demütigende Vorwürfe gefasst. Aber Martin blickte freundlich und verständnisvoll. Rupert räusperte sich.

»Wann haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Vor sechs Jahren.«

»Hatten Sie … eine Beziehung mit ihm?«

»Ja«, erwiderte Martin. »Wir hatten eine sehr enge Beziehung.«

»Verstehe.«

»Nein, das glaube ich nicht. Wir waren keine Lover. Ich war sein Berater.«

»Oh«, sagte Rupert verwirrt. »War er …«

»Er war krank«, sagte Martin und blickte Rupert direkt in die Augen.

Schlagartig wurde Rupert die tödliche Bedeutung von Martins Worten klar, und er senkte den Blick. Hier war sie, ohne Vorwarnung. Seine Strafe, das Ende des Kreislaufs. Er hatte gesündigt, und nun wurde er bestraft. Er hatte unaussprechliche Akte begangen. Nun musste er eine unaussprechliche Krankheit erleiden.

»AIDS«, sagte er ruhig.

»Nein.« In Martins Stimme trat ein Anflug von Verachtung. »Nicht AIDS. Leukämie. Er hatte Leukämie.«

Rupert hob ruckartig den Kopf. Martins Blick ruhte traurig auf ihm. Unvermittelt wurde Rupert übel, als wäre er in einem Alptraum gelandet. Um sein Gesichtsfeld begannen weiße Sterne zu tanzen.

»Leider«, sagte Martin. »Allan ist vor vier Jahren gestorben.« 

13. Kapitel

Eine Weile herrschte Schweigen. Ein Kellner kam, und Martin bestellte diskret, während Rupert mit glasigen Augen nach vorn starrte. Es schien ihm, als würde etwas in ihm zerrissen, als bestünde er nur noch aus Leid und Schmerz. Allan war tot. Allan war fort. Er kam zu spät.