»Harry …«
»Wie wär’s mit vormittags, nachmittags und die ganze Nacht hindurch?« Zart ergriff er ihre Hände; sie machte keine Anstalten, sich ihm zu entziehen.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie, um Fassung bemüht. »Ich verstehe …«
»Wie wär’s, wenn ich dich liebte? Wie wär’s, wenn ich die ganze Zeit über mit dir zusammen sein wollte? Und unserem Kind ein besserer Vater sein wollte, als ich es Simon je war?«
Isobel sah ihn mit großen Augen an. Eine unkontrollierbare Woge von Gefühlen erfasste sie.
»Aber das geht doch nicht! Du hast gesagt, du willst kein Kind!« Sie stieß die Worte in verletztem, anklagendem Ton hervor, Tränen sprangen ihr auf die Wangen, und sie zog ihre Hände weg. »Du hast gesagt …«
»Wann habe ich das gesagt?«, unterbrach sie Harry. »So was habe ich nie gesagt!«
»Na ja, vielleicht nicht direkt«, meinte Isobel nach einer Pause. »Aber du hast eine Grimasse gezogen.«
»Was habe ich?«
»Vor ein paar Monaten. Ich habe dir erzählt, dass eine Freundin von mir schwanger ist, und du hast eine … eine Grimasse gezogen.« Isobel schluckte. »Und ich habe gesagt, oh, du magst wohl keine Kinder? Und da hast du das Thema gewechselt.« Harry sah sie ungläubig an.
»Das ist alles?«
»Ja, reicht das nicht? Für mich war damit auf jeden Fall alles klar.«
»Und deswegen hättest du beinahe dein Kind abgetrieben?«
»Ich wusste nicht, was ich tun soll«, verteidigte sich Isobel. »Ich dachte …«
Harry schüttelte den Kopf.
»Du denkst zu viel. Das ist dein Problem.«
»Das stimmt doch gar nicht!«
»Du glaubst, ich mag keine Babys. Hast du mich je mit welchen gesehen?«
»Nein«, schluckte Isobel.
»Na, siehst du!«
Er umarmte sie fest, und sie schloss die Augen. Nach einer Weile spürte sie, wie die Anspannung in ihr nachließ. In ihrem Kopf schwirrten Tausende von Fragen herum, aber für den Augenblick war das egal.
»Ich mag Babys«, sagte Harry ruhig. »Solange sie nicht schreien.«
»Alle Babys schreien!«, protestierte sie. »Du kannst nicht erwarten …« Als sie sein Gesicht sah, verstummte sie. »Oh, du nimmst mich auf den Arm.«
»Natürlich.« Harry hob eine Augenbraue. »Triffst du beim Dolmetschen auch immer so den Kern der Aussagen deiner Diplomaten? Kein Wunder, dass überall Krieg herrscht – Isobel Havill hat die Verhandlungen geleitet. Sie hat gedacht, sie wollten keinen Frieden, weil sie eine scheußliche Grimasse gezogen haben.«
Isobel fing halb zu kichern, halb zu schluchzen an und schmiegte sich an seine Brust.
»Du willst dieses Kind wirklich haben? Im Ernst?«
»Im Ernst.« Harry streichelte ihr übers Haar. »Und selbst wenn ich es nicht wollte«, fügte er mit unbewegter Stimme hinzu, »solltest du es trotzdem bekommen. Wer weiß, vielleicht ist das deine einzige Chance.«
»Na, herzlichen Dank.«
»Keine Ursache.«
Eine Weile standen sie schweigend da, dann entzog Isobel sich ihm widerstrebend.
»Ich muss gehen.«
»Wieso?«
»Vielleicht brauchen sie mich zu Hause.«
»Die brauchen dich nicht«, entgegnete Harry. »Ich brauche dich. Bleib heute Nacht hier.«
»Wirklich?« Isobel spannte sich an. »Aber was, wenn jemand mich sieht?« Harry lachte.
»Isobel, hast du es immer noch nicht begriffen? Ich möchte, dass dich jeder sieht! Ich möchte …« Er brach ab und sah sie mit veränderter Miene an. »Versuchen wir’s mal damit. Was würdest du davon halten … dem Baby meinen Namen zu geben?«
»Du meinst doch nicht …« Isobel blickte zu ihm auf, und ein Schauer überlief sie.
»Weiß nicht«, sagte Harry. »Hängt davon ab. Hast du schon einen Mann, von dem ich wissen sollte?«
»Schuft!« Isobel trat ihm gegen das Schienbein.
»Ist das ein Ja?«, fragte Harry und lachte. »Oder ein Nein?«
»Schuft!«
James und Alexander saßen bei einem Brandy am Küchentisch und warteten, dass Olivia vom Telefon zurückkam.
»Die hier habe ich übrigens entwickeln lassen«, sagte Alexander unvermittelt und zog einen braunen Umschlag aus seiner Tasche hervor.
»Was ist drauf?«, erkundigte sich James.
»Schauen Sie sich’s an.«
James stellte sein Glas ab, öffnete den Umschlag und nahm ein Bündel schwarzweißer Fotografien heraus. Schweigend starrte er die oberste an, dann blätterte er langsam die anderen durch. Immer wieder blickte ihm Milly entgegen, die Augen weit geöffnet und leuchtend, die Kurven ihres Gesichtes in weiche Schatten getaucht. Der Verlobungsring schimmerte diskret am Bildrand.
»Die sind unglaublich«, sagte er schließlich. »Absolut außergewöhnlich.«
»Danke«, erwiderte Alexander leichthin. »Ich bin zufrieden damit.«
»Schön sieht sie aus«, sagte James. »Sie sieht immer schön aus. Aber es ist nicht nur das.« Wieder starrte er das oberste Bild an. »Sie haben eine Tiefe in Milly eingefangen, die ich noch nie gesehen habe. Plötzlich sieht sie … faszinierend aus.«
»Sie sieht wie eine Frau mit einem Geheimnis aus.« Alexander trank einen Schluck Brandy. »Und genau das war sie ja auch.«
James sah zu ihm auf.
»Ist das der Grund, warum Sie sie geneckt haben? Um diese Bilder zu bekommen?«
»Zum Teil. Und zum Teil auch …«, er zuckte mit den Achseln, »… ich greife manchmal zu einem Trick, und so etwas verschafft mir einen Kick.«
»Egal, was für Folgen das hat?«
»Ich wusste ja nicht, dass es Folgen haben würde«, erwiderte Alexander. »Ich hätte nie gedacht, dass sie in Panik geraten würde, wirklich. Sie schien so …« Er überlegte. »… schien sich ihrer selbst so sicher.«
»Sie mag stark wirken«, sagte James. »Aber eigentlich ist sie sehr dünnhäutig.« Er machte eine Pause. »Genau wie ihre Mutter.«
Beide sahen auf, als Olivia in der Küche erschien.
»Na«, meinte James grimmig. »Hast du mit Lytton gesprochen? War’s Esme, die es ihm erzählt hat?«
»Dieser dumme junge Vikar wollte es mir nicht sagen!«, antwortete Olivia mit einem Funken ihrer alten Leidenschaft. »Ist das zu fassen? Er meinte, das wäre Vertrauensbruch, und Lytton selbst war zu beschäftigt, um ans Telefon zu kommen. Zu beschäftigt!«
»Womit denn?«
Olivia atmete scharf aus, und ein merkwürdiger Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
»Probt gerade eine Trauung. Mit dem anderen Paar, das morgen heiratet.« Es entstand eine gedämpfte kleine Pause. »Schätze, viel können wir da nicht machen«, setzte sie hinzu und goss sich einen Brandy ein.
»Doch«, entgegnete James. »Wir können hingehen und uns eine Antwort holen.«
»Was, und die Trauungsprobe unterbrechen?« Olivia starrte ihn an. »James, ist das dein Ernst?«
»Ja. Wenn meine Kusine Millys Vertrauen missbraucht und vorsätzlich ihre Hochzeit kaputtgemacht hat, dann möchte ich das wissen.« Er stellte sein Glas ab. »Komm, Olivia! Wo bleibt dein Kampfgeist?«
»Ist das dein Ernst?«, wiederholte sie.
»Ja. Und außerdem …«, er warf Alexander einen Blick zu, »könnte es ganz amüsant werden.«
Simon saß am Fenster seines Zimmers und versuchte zu lesen, als die Hausglocke ertönte. Nervös stand er auf und legte sein Buch fort. Das war Milly. Es musste Milly sein.
Von Esme war er in erwartungsvoller Freude zurück nach Pinnacle Hall gekommen. Nach dem Schock und der Wut des Vorabends war es ihm, als sei sein Leben wieder auf Kurs. Er hatte den ersten Schritt zu einer Versöhnung mit Milly gemacht; sobald sie reagierte, würde er seine Entschuldigung wiederholen und versuchen, die Wunden zwischen ihnen, so gut es ging, verheilen zu lassen. Geduldig würden sie warten, bis Millys Scheidung ausgesprochen war, eine weitere Hochzeitsfeier anberaumen, das Leben von neuem beginnen.