»Nervös, du?« James lächelte leicht.
»Ja«, erwiderte Olivia. »Nervös.« Eine lange Pause entstand, dann sagte sie, ohne ihn anzusehen: »Wenn du Lust hast, dann können wir nächste Woche ja vielleicht mal nach Edinburgh fahren. Als kleine Unterbrechung. Wir könnten uns umsehen. In einem Hotel übernachten. Und … und mal über alles reden.«
Stille.
»Gern«, meinte James schließlich. »Sehr gern sogar.« Er machte eine Pause. »Und was ist mit dem Bed and Breakfast?«
»Ich könnte ein Weilchen dichtmachen.« Olivia errötete zart. »Es gibt Wichtigeres in meinem Leben, weißt du.«
James sah sie wortlos an. Vorsichtig bewegte er seine Hand auf ihre zu. Olivia rührte sich nicht. Dann hörten sie plötzlich ein Rütteln an der Tür, und sie fuhren wie von der Tarantel gestochen auseinander. Der junge Vikar der Gemeinde schritt den Gang entlang, ein Handy in der Hand.
»Pfarrer Lytton«, sagte er in aufgeregtem Ton. »Ein äußerst dringender Anruf von Miss Havill. Normalerweise würde ich Sie ja nicht unterbrechen, aber …«
»Von Milly?«, sagte Olivia überrascht. »Lassen Sie mich mit ihr sprechen!«
»Von Isobel Havill«, sagte der Vikar, ohne sich um Olivia zu kümmern. »Sie ruft von Pinnacle Hall aus an.« Mit glänzenden Augen reichte er Lytton das Telefon. »Offensichtlich gibt es recht bestürzende Neuigkeiten.«
Isobel legte den Hörer auf und sah die anderen an.
»Ich habe in der Kirche gerade mit Mummy gesprochen«, sagte sie. »Wisst ihr was, es war gar nicht Alexander, der dem Pfarrer von Milly erzählt hat.«
»Wer dann?«, wollte Simon wissen.
»Ihr werdet’s nicht glauben.« Isobel machte eine Kunstpause. »Es war Esme!«
»Das überrascht mich gar nicht«, bemerkte Harry.
»Kennst du sie?« Isobel sah ihn verblüfft an.
»Von früher. Jetzt nicht mehr. Schon lange nicht«, setzte er hastig hinzu. Isobel warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, runzelte die Stirn und klopfte mit den Fingernägeln auf das Telefon.
»Und Milly hat nicht die geringste Ahnung! Ich muss sie anrufen.«
»Kein Wunder, dass sie mich nicht reinlassen wollte«, sagte Simon, als Isobel erneut den Hörer abnahm. »Diese Frau hat sie doch nicht mehr alle.«
Angespannte Stille trat ein, während Isobel darauf wartete, dass am anderen Ende der Leitung jemand abhob. Unvermittelt änderte sich ihr Gesichtsausdruck, und sie bedeutete den anderen, still zu sein.
»Hi, Esme«, sagte sie in lockerem Ton. »Ist Milly zufällig da? Oh, aha. Könntest du sie vielleicht aufwecken?« Sie machte eine Grimasse zu Simon hin, der ebenfalls das Gesicht verzog. »Oh, verstehe. Okay, tja, da kann man nichts machen. Dann grüß sie von mir.«
Sie legte den Hörer auf und sah in die Runde.
»Wisst ihr was, ich traue dieser Frau einfach nicht«, sagte sie. »Da fahr ich lieber mal selbst hin.«
16. Kapitel
Als sie das Treppenende erreicht hatte, blieb Milly stehen und stellte ihren Koffer ab.
»Also, ich weiß nicht«, sagte sie.
»Wie meinst du das, du weißt nicht?«, fragte Esme forsch, als sie in die Diele kam. Sie trug ihren Pelzhut und hielt schwarze Lederhandschuhe und eine Straßenkarte in der Hand. »Na komm! Es wird spät.«
»Ich weiß nicht, ob ich wegfahren soll.« Milly setzte sich auf die Treppe. »Ich hab das Gefühl, ich laufe vor allem davon. Vielleicht sollte ich besser dableiben und die Sache tapfer durchstehen.«
Esme schüttelte den Kopf. »Schatz, du rennst nicht davon – du bist nur vernünftig. Wenn wir hier bleiben, dann verbringst du den ganzen morgigen Tag damit, das Gesicht ans Fenster zu pressen und zu grübeln. Wenn du fortfährst, dann lenkt dich zumindest ein anderer Ausblick ab.«
»Aber ich sollte doch wenigstens mit meinen Eltern sprechen.«
»Die sind am Montag auch noch da. Und augenblicklich werden sie für ein Gespräch ohnehin zu beschäftigt sein.«
»Na, dann sollte ich ihnen vielleicht helfen.«
»Milly«, sagte Esme ungeduldig, »jetzt sei doch nicht albern. Momentan bist du am besten weit weg, an einem Ort, an dem du endlich einmal in Ruhe über dein Leben nachdenken kannst. Nimm dir Zeit für dich selbst, finde dein Gleichgewicht wieder, werde dir über deine Prioritäten klar.«
Milly starrte eine Weile zu Boden.
»Stimmt«, sagte sie schließlich. »Ich brauche wirklich mal Zeit zum Nachdenken.«
»Natürlich brauchst du die!«, gab Esme ihr recht. »Du brauchst mal so richtig Ruhe. Zu Hause wärst du umgeben von Chaos und würdest unter Druck gesetzt, vor allem von deiner Mutter.«
»Ja, Mummy hat das Ganze sehr mitgenommen«, sagte Milly. »Sie hat sich die Hochzeit so gewünscht.«
»Natürlich hat sie das«, meinte Esme. »Das haben wir alle. Aber nun, da sie nicht stattfinden wird, musst du das Leben in neuem Licht betrachten. Stimmt’s?«
Milly erhob sich seufzend.
»Ja. Du hast recht. Ein Wochenende auf dem Land ist genau das Richtige.«
»Du wirst es nicht bereuen.« Esme lächelte sie an. »Komm schon. Fahren wir los.«
Esmes Daimler war draußen auf der Straße unter einer Laterne geparkt. Als sie eingestiegen war, drehte Milly sich um und spähte neugierig durch das Rückfenster.
»Schau, das da sieht wie Isobels Auto aus.«
»Ach, hier in der Gegend gibt es einen Haufen dieser kleinen Peugeots«, murmelte Esme und ließ den Motor an.
»Es ist Isobels Auto!«, rief Milly und spähte genauer. »Was macht sie denn hier?«
»Nun, leider können wir uns nicht länger aufhalten«, meinte Esme und legte rasch den Gang ein. »Sobald wir angekommen sind, kannst du sie ja anrufen.«
»Nein, warte!«, protestierte Milly. »Sie steigt aus. Sie kommt auf uns zu. Esme, halt an!« Esme fuhr los, und Milly sah sie an, sprachlos vor Erstaunen. »Esme, halt an!«, rief sie. »Esme, halt den Wagen an!«
Isobel eilte die Straße entlang und sah mit Bestürzung, wie Esmes Wagen aus der Parklücke fuhr. Keuchend sprintete sie hinter dem Auto her, verzweifelt bemüht, Milly nicht aus den Augen zu verlieren. Hinter den Scheiben von Esmes teurem Daimler konnte sie Millys blonden Haarschopf sehen, sah, wie Milly sich umdrehte, sie entdeckte und dann etwas zu Esme sagte. Aber Esme hielt nicht an. Für wen hielt sich dieses Miststück eigentlich? Und wohin zum Teufel brachte sie Milly? Unter größter Anstrengung konnte Isobel noch einen Zahn zulegen, immer die Rücklichter des Daimlers im Auge, unsicher, was sie tun würde, als Esme um die Ecke bog und auf der Hauptstraße davonbrauste.
Aber die Ampel am Straßenende stand auf Rot, und Esme musste notgedrungen die Geschwindigkeit drosseln. Isobel, die sich wie eine siegreiche olympische Athletin vorkam, erreichte das Auto und begann, an Millys Fenster zu trommeln. Sie sah, wie Milly drinnen lebhaft auf Esme einschrie und dann mit der Handbremse kämpfte. Plötzlich ging Millys Tür auf, und sie kullerte mehr heraus, als dass sie ausstieg.
»Was gibt’s?«, fragte sie Isobel keuchend. »Es schien wichtig zu sein.«
»Allerdings«, brachte Isobel wütend heraus, rot im Gesicht und völlig außer Atem. »Allerdings ist es wichtig! Mein Gott!« Sie strich sich das Haar aus den Augen und zwang sich, ein paarmal tief Luft zu holen. »Zum einen interessiert es dich vielleicht, dass es dieses Miststück war, das dich beim Pfarrer verpfiffen hat.« Sie deutete verächtlich auf Esme, die ihren Blick vom Fahrersitz aus mit wütenden, funkelnden Augen erwiderte.
»Wie meinst du das?«, sagte Milly. »Ich dachte, es war Alexander.«
»Nein, sie war’s! Stimmt doch, oder?«, herrschte Isobel Esme an.
»Wirklich?« Milly sah Esme mit großen Augen an. »Wirklich?«
»Natürlich nicht!«, gab Esme scharf zurück. »Warum sollte ich so etwas tun?«