»Vielleicht, um dich an Harry zu rächen«, sagte Isobel, und ein neuer, schneidender Ton schlich sich in ihre Stimme.
»So ein Unsinn!«
»Von wegen. Er hat mir alles über dich erzählt. Alles.«
»So, hat er das?«, fragte Esme spöttisch.
»Ja«, erwiderte Isobel kalt. »Hat er.«
Stille trat ein. Esmes funkelnder Blick schweifte scharf über Isobels Gesicht, dann begriff sie plötzlich.
»Verstehe«, sagte sie langsam. »So stehen die Dinge also.« Sie bedachte Isobel mit einem verächtlichen Lächeln. »Das hätte ich mir ja denken können. Ihr Havill-Mädchen habt wirklich eine Schwäche fürs Geld, was?«
»Du bist ein Miststück, Esme.«
»Ich verstehe nicht.« Milly blickte von Isobel zu Esme. »Wovon redet ihr? Esme, hast du dem Pfarrer wirklich gesagt, dass ich schon verheiratet bin?«
»Ja. Und es war zu deinem Besten. Du willst diesen unreifen kleinen Schnösel doch wohl nicht heiraten!«
»Du hast mich verraten!«, schrie Milly. »Und dabei bist du meine Patentante! Du solltest zu mir halten!«
»Das tue ich doch.«
Hinter ihnen bildete sich allmählich eine Wagenschlange. Jemand hupte, und Isobel machte eine ungeduldige Geste.
»Milly, hör zu«, sagte Esme. »Für eine Ehe mit Simon Pinnacle bist du viel zu schade! Dein Leben fängt doch gerade erst an! Verstehst du nicht? Ich habe dich vor einem Leben in Langeweile und Mittelmaß bewahrt.«
»So siehst du das also?« Millys Stimme hob sich ungläubig. »Dass du mich gerettet hast?«
Etliche weitere Autofahrer begannen zu hupen. Gegen Ende der Schlange stieg ein Fahrer aus seinem Wagen und kam auf sie zu.
»Schatz, ich kenne dich sehr gut«, begann Esme. »Und ich weiß, dass …«
»Tust du nicht!«, fiel Milly ihr ins Wort. »Du kennst mich nicht gut. Verdammt, du kennst mich überhaupt nicht! Ihr glaubt alle, mich zu kennen – und dabei tut es keiner von euch! Ihr habt ja keine Ahnung, wie ich wirklich bin, hinter …«
»Hinter was?«, erkundigte sich Esme herausfordernd.
Leicht keuchend starrte Milly Esme schweigend an, ihr Gesicht in das grüne Licht der Ampel getaucht, dann wandte sie den Blick ab.
»Entschuldigen Sie«, unterbrach sie ein Mann ungeduldig und deutete auf die Ampel. »Sind Sie blind, oder was?«
»Ja«, sagte Milly benommen. »Das war ich wohl.«
»Die Dame wollte gerade losfahren.« Isobel knallte boshaft die Beifahrertür zu. »Komm, Milly.« Sie nahm ihre Schwester am Arm. »Lass uns gehen.«
Als sie in Isobels Auto losfuhren, ließ sich Milly in ihren Sitz zurücksinken und massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. Isobel, eine schnelle und gewandte Fahrerin, warf ihrer Schwester immer wieder einen Blick zu, sagte aber nichts. Nach einer Weile setzte Milly sich auf und strich sich das Haar hinter die Ohren.
»Danke, Isobel«, sagte sie.
»Jederzeit.«
»Wie seid ihr darauf gekommen, dass es Esme war?«
»Sie musste es sein. Keiner sonst wusste es. Wenn Alexander es niemandem gesagt hatte, dann musste sie es gewesen sein. Und …« Sie machte eine Pause. »Da war noch was.«
»Was denn noch?« Milly drehte sich zu Isobel. »Was sollte das alles, von wegen, sich an Harry rächen?«
»Sie hatten eine Liaison«, erklärte Isobel kurz. »Sagen wir einfach, es hat nicht funktioniert.«
»Und woher weißt du das?«
»Er hat es Simon erzählt. Und mir. Ich war gerade dort.«
Ein Hauch Röte stieg in Isobels Wangen, und sie trat entschlossen aufs Gas. Milly starrte ihre Schwester an.
»Stimmt was nicht?«
»Nein.« Aber die Röte auf Isobels Wangen vertiefte sich, und sie sah Milly partout nicht an. Millys Herz begann, laut zu klopfen.
»Isobel, was ist los? Was hat Esme damit gemeint, dass du eine Schwäche fürs Geld hast?«
Isobel schwieg, wechselte den Gang aber ruckartig. Sie blinkte nach links und schaltete versehentlich den Scheibenwischer an.
»Verdammt«, sagte sie. »Dieses verfluchte Auto!«
»Du enthältst mir etwas vor, Isobel«, sagte Milly. »Du verschweigst was.«
»Nein.«
»Was hast du in Pinnacle Hall gemacht?« Unvermittelt wurde Millys Stimme scharf. »Wen hast du besucht?«
»Niemanden.«
»Spiel mir doch nichts vor! Du und Simon, habt ihr euch hinter meinem Rücken getroffen?«
»Nein!«, lachte Isobel. »Sei doch nicht albern.«
»Was weiß denn ich? Wenn meine Patentante mich betrügen kann, warum dann nicht auch die eigene Schwester?«
Isobel sah Milly kurz an. Deren Gesicht war bleich und angespannt, und sie umklammerte fest den Sitz.
»Herrgott, Milly«, sagte sie rasch. »Wir sind doch nicht alle Esme Ormerod! Natürlich habe ich mich nicht mit Simon getroffen.«
»Nun, was ist es denn dann?« Millys Stimme wurde schriller. »Isobel, sag mir, was los ist!«
»Okay«, erwiderte Isobel. »Okay, ich sag’s dir. Eigentlich wollte ich es dir schonend beibringen, aber nachdem du so verflucht argwöhnisch bist …« Sie blickte kurz zu Milly und holte tief Luft. »Es ist Harry.«
»Was ist Harry?«
»Mit dem ich mich getroffen habe. Er ist …«, Isobel schluckte, »der Vater.« Sie sah in Millys noch immer ausdrucksloses Gesicht. »Von meinem Kind, Milly! Er ist … er ist derjenige, mit dem ich mich getroffen habe.«
»Was?«, kreischte Milly hysterisch. »Du hast dich mit Harry Pinnacle getroffen?«
»Ja.«
»Er ist der Vater deines Kindes?«
»Ja.«
»Du hast eine Affäre mit Simons Dad?« Millys Stimme wurde immer schriller.
»Ja«, sagte Isobel trotzig. »Aber …« Als sie hörte, wie Milly in Schluchzen ausbrach, hielt sie inne. »Milly, was ist denn?« Sie warf Milly einen kurzen Blick zu, die gekrümmt auf dem Sitz saß und das Gesicht in den Händen vergrub. Plötzlich sprangen ihr selbst Tränen in die Augen und behinderten ihre Sicht auf die Straße. »Milly, es tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Ich weiß, es ist weiß Gott nicht der geeignete Zeitpunkt, es dir zu erzählen. Oh, Milly, weine nicht!«
»Ich weine ja gar nicht!«, brachte Milly heraus. »Ich weine nicht!«
»Was tust du …«
»Ich lache!« Milly schnappte nach Luft, sah Isobel an und brach erneut in hysterisches Gelächter aus. »Du und Harry! Der ist doch so alt!«
»Er ist nicht alt!«
»Doch! Er ist steinalt! Er hat graue Haare!«
»Tja, das ist mir gleich. Ich liebe ihn. Und ich bekomme sein Kind!«
Milly hob den Kopf und sah Isobel an. Die starrte trotzig nach vorn, aber ihre Lippen bebten, und ihre Wangen waren nass von Tränen.
»Oh, Isobel, es tut mir leid!«, sagte Milly verzweifelt. »Ich hab’s nicht so gemeint. So richtig alt ist er auch wieder nicht.« Sie hielt inne. »Ich bin mir sicher, ihr gebt ein tolles Paar ab.«
»Ein Paar alter Kauze.« Isobel blinkte, um rechts einzubiegen.
»Nicht!« Milly prustete wieder los und hielt sich den Mund fest zu. »Ich glaub’s einfach nicht! Meine Schwester hat eine heimliche Affäre mit Harry Pinnacle. Ich wusste doch, dass du was im Schilde führtest. Aber darauf wäre ich in einer Million Jahren nicht gekommen!« Sie sah hoch. »Weiß sonst schon jemand davon?«
»Simon.«
»Du hast es Simon vor mir erzählt?«, fragte Milly verletzt. Isobel verdrehte aufgebracht die Augen.
»Milly, du klingst genau wie Mummy! Und nein, das habe ich nicht. Er ist uns draufgekommen.«
»Was, im Bett?«
»Nein, nicht im Bett!«
Milly kicherte.
»Tja, woher soll ich das wissen? Hätte ja sein können.« Sie studierte Isobels Profil. »Du kannst Geheimnisse sehr gut für dich behalten, weißt du?«
»Das Kompliment kann ich nur erwidern!«, versetzte Isobel.
»Ja, stimmt wahrscheinlich«, sagte Milly nach einer Pause. »Hast recht. Aber weißt du …« Sie streckte ihre Beine aus und stellte ihre Füße aufs Armaturenbrett. »Ich habe meine Ehe mit Allan nie direkt als ein Geheimnis betrachtet.«