Выбрать главу

„Und du wolltest uns vor diesem Schicksal retten?“ fragte Thordin. „Ich kann deinen Gedanken durchaus folgen, frage mich aber, ob der sentimentale Wert ehrwürdiger Institutionen das Leben von Millionen Verhungerter und Erfrorener aufwog — den Preis der Entbehrungen und Opfer eines ganzen Jahrzehnts wert war!“

„Es war nicht nur ein sentimentaler Wert“, grollte Skorrogan. „Verstehst du denn immer noch nicht? Die Wissenschaft ist unsere Zukunft. Wenn wir noch bestehen wollten, mußten wir eine Rasse von wissenschaftlich bewußten und denkenden Wesen werden!

Doch bot sich da die Wissenschaft der Solaren als einzige Möglichkeit an? Mußten wir zweitrangige Menschen werden, um überleben zu können? Oder konnten wir neue Wege beschreiten, unbehindert von der überwältigenden Hilfsbereitschaft einer zwar hochentwickelten, uns aber im Grunde wesensfremden Zivilisation? Ich hoffte, wir könnten uns unsere eigene Wissenschaft erarbeiten. Ich meinte, es blieb uns gar keine andere Wahl!“

Er schüttelte die weiße Mähne. „Denn eines ist klar: keine nichtmenschliche Rasse wird jemals so erfolgreich sein wie die Menschen, wenn sie die Menschen kopieren muß. Die grundlegenden Wesenszüge sind zu verschieden. Eine Rasse kann zwar die Denkschablonen der anderen Rasse nachvollziehen, aber nicht erfolgreich anwenden. Du weißt, wie große Schwierigkeiten es macht, von der einen Sprache in die andere zu übersetzen. Und doch ist jeder Gedanke Sprache, und die Sprache spiegelt die Grundzüge des Denkens wider. Die präziseste, durchdachteste, rigoroseste Philosophie der einen Rasse wird der anderen Rasse nie so sehr einleuchten wie der eigenen. Denn keine Rasse hat die gleichen Abstraktionen von der universalen Welt der Wirklichkeit abgeleitet oder entworfen — nicht ganz die gleichen. Ich wollte also verhindern, daß wir von den Solariern geistig abhängig werden. Skang war rückständig. Es mußte sich ändern. Aber weshalb sollte es sich dabei selbst entfremden? Warum sollte man es nicht gewaltsam auf dem eigenen Weg der Evolution vorantreiben — auf unserem Weg?“

Er zuckte mit den mächtigen Schultern. „Ich habe Skang auf diesen Weg gezwungen. Es war ein gewaltiges Lotteriespiel, aber es hatte Erfolg. Wir retteten unsere Kultur. Es ist unsere Kultur. Von den Umständen gezwungen, selbst Wissenschaften zu gründen, entwickelten wir unsere eigenen Wege und Möglichkeiten. Du kennst die Ergebnisse. Dyrins Bedeutungslehre wurde entwickelt — die Solarier hätten sich darüber totgelacht. Wir entwickelten das Vierflächen-Raumschiff, das die menschlichen Ingenieure als unmöglich abgetan hatten. Und jetzt können wir damit die Milchstraße durcheilen, während altmodische Raumfahrzeuge zwischen der Solaren Welt und dem Alpha Centauri hin und her hinken. Wir verfeinerten die Raumkrümmung, die Psychosymbologie unserer eigenen Rasse, die jeder anderen Rasse verschlossen bleibt. Wir schufen das neue agronomische System, das unsere Freibauern rettete — das Rückgrat unserer Kultur. Alles haben wir bewahrt! In fünfzig Jahren ist Cundaloa von außen revolutioniert worden, während wir uns aus eigener Kraft diesem Prozeß unterzogen. Und deshalb konnten wir auch bewahren, was unser Wesen ist — die Kunst, das Kunsthandwerk, die Volksgebräuche, die Musik, die Sprache, die Literatur, die Religion. Das Goldene Zeitalter der Geschichte ist für uns wieder angebrochen. Und das alles nur, weil wir uns selbst treu geblieben sind.“ Er schwieg, und Thordin entgegnete darauf eine Weile nichts. Sie waren jetzt in eine ruhigere Straße gelangt. Hier stammten die meisten Gebäude noch aus der Zeit vor Beginn des irdischen Hilfsprogramms, und viele Kostüme aus alten einheimischen Kulturepochen waren noch auf der Straße zu sehen. Eine Gruppe Touristen von der Erde wurde gerade durch diesen Stadtteil geführt. Sie drängte sich jetzt um einen Stand mit Töpferwaren.

„Nun?“ fragte Skorrogan nach einer Weile. „Ich weiß nicht“, murmelte Thordin und rieb sich die Augen, eine Geste der Verlegenheit und Verwirrung. „Das ist alles noch zu neu und frisch für mich. Vielleicht ist alles richtig, was du sagst, vielleicht auch nicht. Ich muß eine Weile darüber nachdenken.“

„Ich hatte fünfzig Jahre Zeit, darüber nachzudenken“, erwiderte Skorrogan. „Ich glaube, du hast ein Recht darauf, dir ein paar Minuten Bedenkzeit zu nehmen.“

Sie gingen zu dem Töpferstand. Ein alter Cundaloaner saß dahinter. Eine Menge Waren war um ihn herum aufgetürmt — buntbemalte Vasen, Schüsseln und Näpfe. Einheimische Arbeit. Eine Frau feilschte um den Preis.

„Sieh dir das an“, sagte Skorrogan zu Thordin. „Hast du die Arbeiten aus der alten Epoche gekannt? Das hier ist billiger Ramsch im Vergleich dazu — tausendstückweise hergestellt, um die Touristen mit Souvenirs zu versorgen. Die Formen der Massenware sind nicht mehr nachempfunden, die Handarbeit schlampig. Doch jeder Strich, jede Form, jede Krümmung auf diesen Mustern hatte einmal seine Bedeutung.“

Ihre Blicke fielen auf eine Vase, die neben dem Besitzer des Standes auf einem Kissen ruhte. Selbst der Valtam, der sich nie aus der Fassung bringen ließ, hielt jetzt den Atem an. Diese Vase leuchtete. Sie schien lebendig zu sein — besaß eine schimmernde Vollendung der Linien, Kurven und Muster. Ihr Schöpfer hatte seine ganze Liebe und Sehnsucht auf sie übertragen. Vielleicht hatte er dabei gedacht: Sie wird weiterleben, wenn ich vergangen bin.

Skorrogan pfiff leise vor sich hin. „Das ist eine echte alte Vase“, sagte er leise. „Mindestens einhundert Jahre alt — ein echtes Museumsstück! Wie kommt sie hierher unter diesen Touristenplunder?“

Die Gruppe der Menschen wich ein wenig vor den mächtigen Gestalten aus Skontar zurück. Mit grimmiger Genugtuung stellte Skorrogan fest: Sie haben Ehrfurcht vor uns. Die Solarier hassen die Skontaraner nicht mehr — sie bewundern uns. Sie senden ihre jungen Leute zu uns, damit sie unsere Wissenschaft sehen und unsere Sprache lernen. Doch wer kümmert sich noch um Cundaloa?

Die Frau aber war dem Blick Skorrogans gefolgt und erkannte ebenfalls das Leuchten der Vase. Sogleich wendete sie sich an den Standbesitzer.

„Wieviel?“

„Verkaufe nicht“, murmelte der Cundaloaner. Seine Stimme war ein heiseres Flüstern, und er drückte den schäbigen Mantel noch fester um seinen schlanken Leib.

„Du verkaufen!“ Sie sah ihn mit breitem, künstlichem Lächeln an. „Ich dir geben viel Geld dafür. Zehn Kredite.“

„Verkaufe nicht.“

„Ich gebe dir hundert Kredite. Verkaufen!“

„Das meine Vase. Familie sie haben noch aus alten Tagen. Verkaufe nicht.“

„Fünfhundert Kredite!“ Sie wedelte ihm mit den Geldscheinen vor der Nase herum. Er raffte die Vase an sich, drückte sie gegen seine Brust. Seine dunklen Augen bekamen einen feuchten Glanz. „Nicht verkaufen. Geh weg.“

„Komm“, sagte Thordin. Er packte Skorrogan am Arm und zog ihn vom Stand weg. „Komm — wir gehen. Wir reisen zurück nach Skontar.“

„So rasch?“

„Ja. Du hattest recht, Skorrogan. Du hattest recht, und ich werde den großen Rat einberufen, um dich vor aller Öffentlichkeit zu rehabilitieren. Du bist der Retter unserer Geschichte. Nur laß uns jetzt gehen — sofort!“ Sie eilten aus der Gasse. Thordin versuchte, die Erinnerung an die Augen des alten Cundaloaners zu verdrängen. Vergeblich. Er würde sie nie wieder vergessen…