»Hallo!« sagte Mike überrascht. »Wer bist du denn?« Er ließ sich in die Hocke sinken und streckte die freie Hand nach der Katze aus, aber diese wich einen weiteren Schritt vor ihm zurück. Der Blick ihrer großen, leuchtendgrünen Augen verfolgte mißtrauisch jede von Mikes Bewegungen.
Jedenfalls war es das, was er im ersten Moment glaubte - bis ihm klar wurde, daß die Katze in Wahrheit wohl eher Astaroth anstarrte, nicht ihn. »Ihr beide habt euch wohl schon angefreundet, wie?« fragte er lächelnd. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Kleine. Astaroth und ich sind Freunde, weißt du?«
Er streckte wieder die Hand nach der Katze aus, aber sie reagierte darauf nur mit einem warnenden Fauchen.
»He!« sagte Mike. »Was ist los? Du fürchtest dich doch nicht etwa vor mir?«
Sag mal - sehe ich das richtig, daß du dich gerade mit einer Katze unterhältst? fragte Astaroth spöttisch. Anscheinend hast du doch mehr abbekommen, als ich dachte.
Mike warf dem Kater, den er auf dem Arm hatte und der sich darüber mokierte, daß er sich mit einer Katze unterhielt, einen ärgerlichen Blick zu, stand aber hastig auf und ging weiter. Er sah aus den Augenwinkeln, daß die schwarzweiße Katze ihm folgte, konzentrierte sich aber wieder auf die Stimmen, die aus dem Raum vor ihm drangen. Sie hatten bei Malcolms Eintreten nur einen Moment gestockt, sprachen aber jetzt noch lauter weiter. Und was Mike sah, als er ebenfalls den Raum betrat, das ließ ihn jeden Gedanken an den Kater auf der Stelle vergessen. Denholm, Malcolm und zwei weitere Männer standen sich wie Kampfhähne gegenüber. Es sah aus, als würden sie sich jeden Moment aufeinanderstürzen wollen.
»... völlig verrückt!« sagte Denholm gerade. »Die Fischmenschen sind unsere Feinde! Das sind sie schon immer gewesen, solange es Menschen hier gibt! Man kann nicht mit ihnen reden!«
»Und woher willst du das wissen?« fragte Malcolm in kaum weniger scharfem Ton. »Bisher hat es niemand versucht, oder?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Das einzig verrückte hier ist, den Fischmenschen dazubehalten! Wir müssen ihn freilassen, und zwar auf der Stelle!«
»Damit er mit seinen Brüdern und Schwestern zurückkommt und sie uns angreifen?« gab Denholm zornig zurück. »Das heute morgen am Strand -«
»War eine riesige Dummheit«, unterbrach ihn Malcolm. Er deutete auf einen der Männer, die neben Denholm standen. »Du solltest ihn bestrafen! Wir leben seit Jahren in Frieden mit den Fischmenschen. Das wird sich jetzt vielleicht ändern, nur weil dieser Hitzkopf geglaubt hat, den Helden spielen zu müssen!«
»Wir haben uns nur gewehrt!« verteidigte sich der Mann.
»Gewehrt?« Malcolm lachte. »Wer soll das glauben? Zwölf Männer gegen drei Fischmenschen, das nenne ich nicht gewehrt! Sie haben euch ja nicht einmal angegriffen!«
»Natürlich haben sie das!« protestierte der andere. »Sie sind plötzlich aus dem Meer aufgetaucht -«
»- und sofort mit Kriegsgeheul über euch hergefallen, wie? Immer einer gegen drei von euch, nehme ich an.« Malcolms Stimme troff vor Hohn. »Willst du das wirklich behaupten?«
Diesmal zögerte der andere einen Moment, zu antworten. Als er es tat, wich er Malcolms Blick aus, und seine Hände spielten nervös mit dem zerfransten Strick, den er anstelle eines Gürtels um die Hüften trug. »Nicht direkt«, gestand er, fügte aber nach einer Sekunde in fast trotzigem Ton hinzu: »Aber warum sollten sie sonst gekommen sein? Sie wissen genau, daß diese Seite der Bucht uns gehört, und kommen normalerweise nie hierher!«
»Eben!« sagte Malcolm zornig. »Ist dir vielleicht der Gedanke gekommen, daß sie sich möglicherweise nur verirrt haben oder Hilfe brauchten?« Er wartete die Antwort des anderen nicht ab, sondern fuhr in bitterem Ton fort: »Du Narr hast vielleicht unseren Untergang heraufbeschworen! Wenn sie ihn vorher nicht hatten - jetzt haben sie einen Grund, uns anzugreifen!«
»Das genügt!« unterbrach ihn eine scharfe, helle Mädchenstimme. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten im Hintergrund des Raumes, und Mike erkannte Serena, die bisher offenbar wortlos dabeigestanden und dem Streit zugehört hatte.
Der Anblick verschlug Mike schier die Sprache. Serena trug nicht mehr das einfache, weiße Gewand, sondern ein prachtvolles, mit goldenen und silbernen Stickereien verziertes Kleid, das aussah, als wäre es für eine Königin gemacht worden und das wahrscheinlich von einem der Schiffe unten im Hafen stammte. Dazu hatte sie ein prachtvolles Kollier um den Hals, das ihr etwas Majestätisches verlieh. Er hatte niemals, in seinem ganzen Leben nicht, ein schöneres Mädchen gesehen. So etwas solltest du nicht zu laut denken, warnte ihn Astaroth. Sie mag das nicht besonders. Mike dachte an seine letzte Begegnung mit Serena zurück und nahm sich vor, die Warnung des Katers zu beherzigen. Aber Serena war wohl im Moment ohnehin viel zu sehr damit beschäftigt, sich in den Streit zwischen Denholm und Malcolm einzumischen, als daß sie seine Gedanken hätte lesen wollen.
»Ich habe mir das jetzt lange genug mit angehört!« sagte sie. »Wie könnt ihr in meiner Gegenwart einen solchen Ton anschlagen?«
Malcolm fuhr zusammen, sagte aber nichts, während sich Denholm mit einem Ruck zu dem Mädchen herumdrehte. In seinem Gesicht tobte ein lautloser Kampf. Aber nach einer Sekunde senkte er demütig das Haupt und flüsterte: »Verzeiht, Herrin.«
Herrin? dachte Mike überrascht. Was geht hier vor?
»Nein, ich verzeihe nicht!« sagte Serena hochmütig. Ihre Augen blitzten. »Niemand wagt es, in meiner Gegenwart so zu reden!« Sie wandte sich Malcolm zu, und ihr Gesicht verdüsterte sich vor Zorn. »Und du? Was fällt dir ein, diese tapferen Männer anzugreifen? Sie haben genau das Richtige getan! Sollten sie etwa abwarten, bis diese Ungeheuer hierherkommen und uns überfallen?«
Mike sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln und drehte sich halb herum, aber es war nur die schwarzweiße Katze, die hinter ihm den Raum betreten hatte und Astaroth und ihn aufmerksam ansah. Der Kater regte sich auf seinem Arm, aber nicht, um zu Boden zu springen. Statt dessen kletterte er mit einer raschen Bewegung (unter Zuhilfenahme sämtlicher Krallen) auf Mikes Schulter hinauf und begann es sich dort bequem zu machen. Da er gute zehn oder zwölf Pfund wiegen mußte, war dies für Mike allerdings alles andere als angenehm.
»Verzeiht, Sere -«, begann Malcolm, biß sich auf die Unterlippe und setzte noch einmal neu an: »Verzeiht, Herrin, aber ich glaube nicht, daß Ihr wirklich versteht, worum es geht. Wir leben seit Jahrhunderten mit den Fischmenschen in Frieden, und -«
»Unsinn!« unterbrach ihn Serena. »Mit diesen Kreaturen kann man nicht in Frieden leben. Vielleicht haben sie euch bisher nicht angegriffen, aber dann nur, weil der Moment nicht günstig war. Oder sie glaubten, euch nicht fürchten zu müssen. Aber das wird sich nun ändern.« Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Ich glaube, es war wirklich an der Zeit, daß ich hergekommen bin.«
»Ihr irrt Euch, Herrin«, antwortete Malcolm - in einem Ton, der dem Wort der Herrin seinen Sinn nahm. Denholm warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Malcolm ignorierte ihn und fuhr fort: »Ich will Euch nicht zu nahe treten, aber wir leben seit Jahrhunderten hier unten, während Ihr erst seit wenigen Tagen hier seid und nicht wissen könnt -«
»Ich weiß genug«, unterbrach ihn Serena. »Auf jeden Fall genug, um zu begreifen, daß ihr nichts als eine Bande von Feiglingen seid. Ihr habt euch mit den Fischmenschen arrangiert, scheint mir. Aber damit ist es nun vorbei.«