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»Und wann?« fragte Mike. »Habt ihr schon einen Plan?«

»Soweit man es so nennen kann«, antwortete Trautman. »Wir hatten vor, noch zwei oder drei Tage zu warten, aber ich fürchte, soviel Zeit bleibt uns nicht mehr. Ich war gestern auf der NAUTILUS und habe mich umgesehen. Sie hat ein paar kleinere Schäden abbekommen, aber im großen und ganzen ist sie in Ordnung. Mit ein bißchen Glück schaffen wir es bis zur Meeresoberfläche hinauf.«

»Und die Qualle?« fragte Mike.

Trautman zuckte mit den Schultern. »Wir müssen es eben versuchen. Vielleicht schaffen wir es irgendwie, ihr zu entkommen. Es ist gefährlich, ich weiß, aber wir sind fest entschlossen, es zu riskieren.«

Mike schwieg. Die Vorstellung, einfach wegzugehen und Denholm und die anderen ihrem Schicksal - und Serena! - zu lassen, war ihm unerträglich. Es kam ihm so feige vor.

Mut am falschen Platz ist manchmal Dummheit, sagte Astaroth.

»Also gut«, sagte Mike schweren Herzens. »Wann brechen wir auf?«

Trautman schwieg noch eine Sekunde. Dann sagte er: »Heute Abend!«

Das Volk wollte an diesem Abend ein Fest feiern, erklärte Trautman, und das wollten sie ausnutzen, sich an Bord der NAUTILUS schleichen und versuchen zu fliehen. Bis zum Beginn dieses Festes würden noch gute zwei Stunden vergehen, und Trautman wollte so lange abwarten, um auch wirklich sicher zu sein, daß sie keiner Wache oder einem verspäteten Besucher des Festes in die Hände liefen, wenn sie sich auf den Weg zum Hafen machten. Da Mike es nun nicht mehr riskieren konnte, ins Dorf zurückzugehen, hatte sich Astaroth angeboten, André zu holen, und alle hatten zugestimmt. Trautman hatte dem Kater einen Zettel ins Maul gesteckt, auf dem er André mit wenigen und bewußt vage gehaltenen Worten bat, zum Strand hinunterzukommen, wo sie sich treffen wollten. Selbst wenn dieser Zettel Serena oder einem Angehörigen des Volkes in die Hände fallen sollte, würden sie nichts damit anfangen können, denn sie konnten die heutige Schrift ja nicht lesen.

Endlich war es soweit, und sie verließen die Hütte auf der Klippe und machten sich wieder auf den Weg zum Korallenwald. Während sie den Hang hinuntergingen, blieb Mikes Blick wieder an den bizarren Türmen und Mauern der Alten Stadt hängen, die sich auf der anderen Seite der Bucht erhob. Der Anblick war noch unheimlicher als das erste Mal, jetzt, wo er wußte, welche Wesen diese Stadt bewohnten. Vielleicht war es Einbildung, aber er glaubte zu spüren, daß von dieser Stadt etwas Ungutes ausging, als wäre dort drüben irgend etwas, was lauerte und wartete, etwas Uraltes und Mächtiges, das einen unsichtbaren Schatten über die Bucht warf.

Sie waren nun am Fuße des Hügels und am Fluß angekommen, überschritten aber nicht die Brücke, sondern wandten sich nach rechts und folgten einem schmalen Weg, der durch den Korallenwald führte und schon nach wenigen Minuten am Strand endete.

Trautman deutete ihnen mit einer Geste, zurückzubleiben, und lief zusammen mit Singh los, um die Umgebung zu überprüfen. Trautman selbst kam schon nach ein paar Minuten zurück. Er sah nicht mehr so besorgt drein, blieb aber trotzdem angespannt und ermahnte auch die Jungen, sich ruhig zu verhalten und genau zu tun, was er ihnen sagte.

Mike beunruhigte dieses Verhalten mehr, als er im ersten Augenblick zugeben wollte. Der Strand lag zwar ruhig und menschenleer vor ihnen, aber das mußte ja nicht bedeuten, daß sich niemand im Korallenwald versteckt hatte. Doch sie erreichten unbehelligt das Wasser und stiegen in ein kleines Ruderboot, das dort auf sie wartete. Trautman hatte ihre Flucht offensichtlich gründlich vorbereitet.

Die NAUTILUS lag noch immer an der gleichen Stelle, an der sie sie nach dem Überfall am ersten Tag zurückgelassen hatten, so daß sie ein gutes Stück rudern mußten. Mike wurde immer nervöser. Nirgendwo in ihrer Nähe zeigte sich auch nur eine Spur von Leben; die Schiffswracks, an denen sie vorüberkamen, waren leer, und auch das Wasser lag vollkommen ruhig da. Von der Riesenqualle war keine Spur mehr zu sehen. Wahrscheinlich war sie wieder ins offene Meer hinausgeschwommen. Mikes Beunruhigung wuchs. Erst als sie die NAUTILUS erreichten und das Boot mit einem hörbaren Geräusch gegen den metallenen Rumpf des Unterseebootes stieß, begann er allmählich Hoffnung zu schöpfen.

Hintereinander kletterten sie auf die NAUTILUS hinauf und betraten kurz darauf den Turm. Einzig Singh begleitete sie nicht, sondern ruderte sofort zurück, um am Strand auf André und den Kater zu warten. Mike sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Er fragte sich, ob es wirklich richtig war, Singh immer die gefährlichsten Missionen ausführen zu lassen.

»Also los jetzt!« rief Trautman, während er mit raschen Schritten die Treppe hinunterzugehen begann. »Wir haben eine Menge zu tun. Wenn André kommt, müssen wir bereit zum Ablegen sein.« Auch wenn er es nicht laut aussprach, so glaubte Mike doch in diesen Worten einen leichten Unterton von Besorgnis zu hören. Offensichtlich rechnete auch Trautman nicht damit, daß weiter alles so gut ging wie bisher.

Sie erreichten den Salon, der zugleich der Steuerraum des Tauchbootes war, und Trautman machte sich zusammen mit Juan und Ben sofort daran, das Schiff startbereit zu machen. So phantastisch und weit entwickelt die Maschinen der NAUTILUS auch waren, es waren auch ungeheuer komplizierte Maschinen, die in der richtigen Reihenfolge gestartet werden mußten und ihre Zeit brauchten, um zum Leben zu erwachen.

Doch selbst wenn ihre Flucht gelang, stand ihnen das größte Problem ja noch bevor - die Riesenqualle, die zweifellos sofort wieder Jagd auf sie machen würde. Mikes Zutrauen in Trautmans Fähigkeiten war zwar nahezu unerschütterlich, aber er fragte sich trotzdem, wie sie damit fertig werden sollten. Das Tier hatte ja schon hinlänglich bewiesen, daß es sowohl schneller als auch stärker war als die NAUTILUS.

Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Mike ertappte sich immer öfter dabei, wie er ungeduldig auf die Uhr an der Wand neben dem Eingang blickte, deren Zeiger sich einfach nicht von der Stelle bewegen wollten. Trautman mußte die NAUTILUS längst angeworfen haben, aber noch rührten sich die mächtigen Maschinen des Schiffes nicht.

Schließlich hörte er ein dumpfes Geräusch, das lang durch den gesamten Rumpf der NAUTILUS hallte. Im ersten Moment konnte er es sich nicht erklären, doch dann vernahm er Schritte, die auf dem stählernen Deck über ihren Köpfen polterten. Was er gehört hatte, war das Anlegen des Bootes. Singh kam mit Astaroth und André zurück. Endlich. Erleichtert wandte sich Mike zu Trautman um.

Aber es war dem weißhaarigen Steuermann immer noch nicht gelungen, die Motoren des Schiffes zu starten. Er versuchte zwar, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, aber weder Mike noch den anderen Jungen entging es, daß seine Bewegungen immer fahriger wurden und seine Blicke, mit denen er die Instrumente auf dem Pult vor sich musterte, immer verzweifelter.

»Stimmt etwas nicht?« fragte Mike.

Trautman zuckte mit den Schultern. »Ich... verstehe das nicht«, sagte er. »Alles ist in Ordnung. Den Instrumenten zufolge mußten die Maschinen längst laufen. Ich kenne dieses Schiff fast mein ganzes Leben lang. Die Maschinen müssen anspringen! Ich verstehe das nicht!«

»Vielleicht fehlt Ihnen etwas Wichtiges«, sagte eine Stimme von der Tür her.

Trautman sah auf - und fuhr wie elektrisiert zusammen. Mike drehte sich herum.

Er konnte spüren, wie das Blut aus seinem Gesicht wich.

Er hatte sich nicht getäuscht - die Geräusche, die er gehört hatte, waren die des anlegenden Bootes und seiner Insassen gewesen, die auf die NAUTILUS übergesetzt hatten. Aber es waren nicht Singh und André, die gekommen waren.

Unter der Tür stand Serena.