»Wenn also die Leute, die wussten, wie man Blutringe fertigt und was immer höhere Magie sonst noch bedeutete, gestorben sind, ohne dieses Wissen weiterzugeben…«
»… sei es, weil sie niemandem genug trauten, um ihn zu unterweisen, sei es, dass sie niemals jemanden fanden, der begabt genug für eine Unterweisung gewesen wäre…«
»…ist es verloren.« Lorkin blickte nachdenklich drein – und definitiv nicht gelangweilt, wie Dannyl mit Erleichterung feststellte. Der junge Magier richtete seine Aufmerksamkeit auf den dritten Stapel.
»Drei Jahrhunderte sachakanischer Herrschaft«, erklärte Dannyl. »Ich habe die Informationen, die wir über diese Zeit haben, mehr als verdoppelt, obwohl das nicht schwer war, weil es vorher so wenig darüber gab.«
»Als Kyralier Sklaven waren«, sagte Lorkin mit grimmiger Miene.
»Und Sklavenbesitzer«, rief Dannyl ihm ins Gedächtnis. »Ich glaube, dass die Sachakaner die höhere Magie nach Kyralia gebracht haben.«
Lorkin sah ihn ungläubig an. »Gewiss hätten sie ihre Feinde nicht schwarze Magie gelehrt!«
»Warum nicht? Nach der Eroberung Kyralias wurde das Land dem Sachakanischen Reich einverleibt. Die Sachakaner töteten nicht jeden Adligen, sondern nur jene, die dem Reich keine Treue schwören wollten. Natürlich gab es Mischehen und Erben gemischten Blutes. Dreihundert Jahre sind eine lange Zeit. Die Kyralier waren damals Bürger Sachakas.«
»Aber sie haben trotzdem darum gekämpft, ihr Land zurückzugewinnen und sich der Sklaverei zu entledigen.«
»Ja.« Dannyl klopfte auf den Stapel. »Und das findet sich offenkundig aufgezeichnet in Dokumenten und Briefen, die der Entscheidung des Kaisers, Kyralia und Elyne ihre Unabhängigkeit zuzugestehen, vorausgingen und nachfolgten.
Beide Länder schworen der Sklaverei ab, obwohl es einigen Widerstand gab.«
Lorkin betrachtete den Stapel Bücher, Dokumente und Notizen. »Das ist aber nicht das, was man uns in der Universität beibringt.«
Dannyl lachte. »Nein. Und die Version der Geschichte, die man Euch lehrt, ist noch weniger geschönt als das, was ich gelernt habe.« Er klopfte auf den nächsten Stapel. »Meine Generation hat nie erfahren, dass kyralische Magier einst schwarze Magie benutzten und Kraft von ihren Novizen im Austausch gegen magische Unterweisung genommen haben. Dies war für uns eine der Wahrheiten, die zu akzeptieren uns am schwersten fiel.«
Der jüngere Magier betrachtete den Stapel Bücher mit vorsichtiger Neugier. »Sind das die Bücher, die mein Vater unter der Gilde gefunden hat?«
»Einige von ihnen sind Kopien der Schriften, die er ausgegraben hat, ja. Aber alle gefährlichen Informationen über schwarze Magie sind daraus getilgt worden.«
»Wie wollt Ihr eine Geschichte jener Zeit schreiben, ohne Informationen über schwarze Magie einfließen zu lassen?«
Dannyl zuckte die Achseln. »Solange nichts dabei ist, was den Gebrauch schwarzer Magie beschreibt, besteht keine Gefahr, dass irgendjemand aufgrund meiner Ausführungen etwas über ihre Benutzung erfährt.«
»Aber… Mutter sagt, man müsse schwarze Magie aus dem Geist eines Schwarzmagiers lernen. Gewiss kann man sie nicht aus Büchern lernen?«
»Wir glauben nicht, dass man es kann, aber wir gehen kein Risiko ein.«
Lorkin nickte mit nachdenklicher Miene. »Also kommt… der Sachakanische Krieg als Nächstes? Das ist ein großer Stapel Bücher.«
»Ja.« Dannyl betrachtete die Bücher und Aufzeichnungen neben denen zum Thema Unabhängigkeit. »Ich habe bekannt gemacht, dass ich gern Unterlagen aus jener Zeit hätte, und seither hat mich ein stetiger Strom von Tagebüchern, Berichten und Dokumenten aus den Verbündeten Ländern erreicht.« Oben auf dem Stapel lag ein kleines Buch, das er vor zwanzig Jahren in der Großen Bibliothek gefunden und das ihn zum ersten Mal auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hatte, dass die Geschichtsdarstellung der Gilde falsch sein könnte.
»Ihr müsst eine Menge über diese Zeit wissen.«
»Aber nicht alles. Die meisten dieser Unterlagen stammen aus anderen Ländern als Kyralia. Es gibt immer noch Lücken in der Geschichte. Wir wissen, dass kyralische Magier die sachakanischen Eindringlinge vertrieben und den Krieg gewonnen haben und dass sie Sachaka anschließend erobert und eine Zeit lang regiert haben. Wir wissen, dass das Ödland, das das Land geschwächt hat, erst mehrere Jahre nach dem Krieg geschaffen wurde. Aber wir wissen nicht, wie man die sachakanischen Magier unter Kontrolle gehalten hat oder wie das Ödland geschaffen wurde.« Und welches der Schatz ist, von dem die Elyner behaupteten, sie hätten ihn den Kyraliern geliehen oder geschenkt, jener Schatz, der anschließend zusammen mit seinen Geheimnissen verloren ging…
»Warum habt Ihr keine Unterlagen aus Kyralia?«
Dannyl seufzte. »Es ist möglich, dass sie zerstört wurden, als die Gilde schwarze Magie mit einem Verbot belegte. Oder sie könnten während des Krieges verloren gegangen sein. Ein so großer Teil der Geschichte ist durcheinandergeraten. Zum Beispieclass="underline" Man lehrt uns, dass Imardin während des Sachakanischen Krieges dem Erdboden gleichgemacht worden sei, aber ich habe jetzt Karten aus der Zeit vor und nach dem Krieg, die ein ähnliches Straßenmuster zeigen. Einige Jahrhunderte später haben wir jedoch ein vollkommen neues Straßenmuster – das, das wir heute kennen.«
»Also… ist das Alter der Karten falsch, oder irgendetwas hat die Stadt später dem Erdboden gleichgemacht. Ist nach dem Sachakanischen Krieg etwas Dramatisches geschehen?«
Dannyl griff nach dem obersten Buch des nächsten, viel kleineren Stapels. Lorkin stieß einen leisen Laut des Erkennens aus.
»Die Aufzeichnungen aus der Gilde.« Seine Augen weiteten sich. »Es war der verrückte Novize!« Lorkin nahm das Buch von Dannyl entgegen und blätterte zu den letzten Einträgen weiter. »Es ist vorüber«, las er. »Als Alyk mir die Neuigkeit überbrachte, wagte ich nicht, es zu glauben, aber vor einer Stunde habe ich die Stufen des Ausgucks erklommen und die Wahrheit mit eigenen Augen gesehen. Es ist wahr. Tagin ist tot. Nur er konnte in seinen letzten Augenblicken solche Zerstörung anrichten. Sie hat ihn vergiftet. Seine Macht wurde freigesetzt und hat die Stadt zerstört.«
Dannyl schüttelte den Kopf, nahm Lorkin das Buch ab und legte es wieder auf den Stapel. »Tagin hatte gerade die Gilde besiegt. Es konnte ihm nicht mehr viel Macht verblieben sein. Nicht genug, um eine Stadt dem Erdboden gleichzumachen.«
»Vielleicht unterschätzt Ihr ihn, so wie es die Gilde jener Zeit offenkundig getan hat.«
Der junge Magier zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. Dannyl hätte angesichts der Herausforderung beinahe gelächelt. Lorkin war ein intelligenter Novize gewesen, stets bereit, all seine Lehrer zu hinterfragen.
»Vielleicht tue ich das.« Dannyl blickte auf ein kleines Häufchen Dokumente und Bücher hinab. »Die Gilde… nun, es ist, als hätte sie sich nicht nur darangemacht, jedwedes Wissen über schwarze Magie auszulöschen, sondern auch die peinliche Tatsache, dass ein bloßer Novize sie um ein Haar zerstört hätte. Und ohne den Meister der Aufzeichnung, Gilken, hätten wir nicht einmal die Bücher, die Akkarin fand, um zu erfahren, was geschehen war.«
Gilken hatte Informationen über schwarze Magie gerettet und vergraben, aus Furcht, dass die Gilde sie eines Tages zur Verteidigung des Landes benötigen würde.
Wir hatten fünfhundert Jahre Frieden, in denen wir den Schatz vergessen konnten, fünfhundert Jahre, in denen wir überhaupt keine schwarze Magie benutzt haben und in denen unser uralter Feind jenseits der Berge, Sachaka, sie nach wie vor praktiziert hat. Hätte Akkarin das geheime Versteck nicht gefunden – und schwarze Magie erlernt –, wären wir jetzt entweder tot oder Sklaven.
»Der letzte Stapel«, sagte Lorkin. Dannyl sah, dass Lorkin ein dickes, in Leder gebundenes Notizbuch am Ende des Tisches betrachtete.