»Denkt Ihr, dass das der Wahrheit entspricht?«, erkundigte sich Lorkin.
Maron zuckte die Achseln. »Höchstwahrscheinlich ist es eine Übertreibung. Eine beunruhigende Geschichte, um Frauen daran zu hindern zusammenzukommen, zu tratschen und Ideen darüber auszutauschen, wie sie ihre Männer manipulieren können.« Er kicherte, dann seufzte er und wirkte plötzlich bekümmert. »Die wenigen Frauen, denen ich begegnet bin, waren unterwürfig und einsam. Ich habe die Gesellschaft gebildeter, selbstbewusster Frauen vermisst, obwohl ich den Verdacht habe, dass ich das überwinden werde, sobald ich mich mit meiner Schwester unterhalten habe.« Er machte eine knappe Handbewegung. »Aber ich schweife vom Thema ab. Wichtig zu wissen ist, dass Ihr Frauen nicht ansprechen dürft, es sei denn, Ihr werdet dazu aufgefordert.«
Während der ehemalige Botschafter weitersprach, begann Lorkin, sich in einem unbenutzten, in Leder gebundenen Notizbuch, das aus seinen Novizentagen übrig geblieben war, Anmerkungen zu machen. Maron ließ das Thema Frauen hinter sich und wandte sich den Themen Ehe, Familienleben und Erbschaften zu, bevor er auf die vielschichtigen Bündnisse und Konflikte zwischen den wichtigsten sachakanischen Familien zu sprechen kam. Zu guter Letzt brachte er die Rede auf die Protokolle, denen es in Bezug auf den König zu folgen galt.
»Es gab früher einen sachakanischen Kaiser«, bemerkte Dannyl. »Jetzt haben sie einen König. Ich konnte diese Veränderung lediglich auf die ersten Jahrhunderte nach dem sachakanischen Krieg einengen. Wisst Ihr, wann es zu der Veränderung kam und warum die Sachakaner nicht dazu zurückgekehrt sind, ihre Anführer ›Kaiser‹ zu nennen, nachdem sie begonnen haben, sich wieder selbst zu regieren?«
»Ich fürchte, es ist mir nie in den Sinn gekommen, jemanden danach zu fragen«, gestand Maron. »Ich hielt es für das Beste, nicht allzu offen auf die Tatsache anzuspielen, dass die Gilde einmal über Sachaka geherrscht hat. Denn deswegen gibt es großen Groll…« Er hielt inne und runzelte die Stirn. »Ich vermute allerdings, es hat mehr mit dem Ödland zu tun als mit den Veränderungen, die die Gilde in ihrer Gesellschaft bewirkt – oder zu bewirken versäumt – hat.«
»Wissen die Sachakaner, wie das Ödland geschaffen wurde?«, hakte Dannyl nach.
Maron schüttelte den Kopf. »Wenn sie es wissen, haben sie es mir gegenüber nie erwähnt. Ihr werdet diese Fragen selbst stellen müssen. Seid nur vorsichtig damit, wie und wann Ihr es tut. Nach allem, was ich gesehen habe, pflegen sie jede Art von Groll sehr lange.«
Dannyl sah Lorkin an. »Denkt Ihr, es wird für Lorkin gefährlich sein, nach Sachaka zu reisen?«
Lorkin hielt in seiner Mitschrift inne und blickte zu dem ehemaligen Botschafter auf. Sein Herz schlug ein wenig schneller. Seine Haut kribbelte.
Maron betrachtete Lorkin nachdenklich. »Im Prinzip droht ihm nicht mehr Gefahr als jedem anderen jungen Magier. Ich würde allerdings den Namen Eures Vaters nicht allzu oft erwähnen«, sagte er zu Lorkin. »Sie werden ihn als einen Verteidiger Kyralias respektieren, aber nicht für das, was vorher geschehen ist. Doch gleichzeitig räumen sie ein, dass Dakova, der Ichani, den Akkarin getötet hat, ein Ausgestoßener und ein Narr war, dass er einen Magier und Fremdländer versklavt hat und dass er sein Schicksal verdient habe. Ich denke nicht, dass irgendjemand außer Dakovas Bruder sich verpflichtet fühlen würde, Rache zu üben – und der ist bei der Invasion gefallen.«
Lorkin nickte, und Erleichterung löste die Anspannung in seinem Körper.
»Trotzdem«, beharrte Dannyl. »Sollte Lorkin von den Sachakanern oder ihren Sklaven erwarten, dass sie ihm Steine in den Weg legen werden?«
»Natürlich.« Maron lächelte und sah Perler an, der das Gesicht verzog. »Sie werden Euch bisweilen Steine in den Weg legen, ganz gleich wer Ihr seid. Abgesehen von den allgemeinen Problemen von Rang und Hierarchie sind die Sklaven ein wenig gewöhnungsbedürftig. Sie sind vielleicht nicht in der Lage, irgendetwas Bestimmtes für Euch zu tun, aber sie werden es nicht sagen, denn das wäre gleichbedeutend mit Befehlsverweigerung. Ihr müsst lernen zu deuten, was sie sagen und tun – es gibt Signale und Gesten, die Ihr irgendwann mitbekommen werdet –, und ich werde Euch erklären, wie Ihr einen Befehl am besten ausdrücken könnt.«
Es folgte ein komplizierter, aber überraschend logischer Kodex für das Verhalten im Umgang mit Sklaven, und Lorkin war ärgerlich, als sie einige Zeit später von einem Klopfen an der Tür unterbrochen wurden. Dannyl deutete auf die Tür, und sie schwang auf. Lorkin wurde prompt ein wenig flau, als er den Magier erkannte, der dahinter stand.
Oh-oh. Was hat Mutter jetzt wieder getan?
»Entschuldigt die Unterbrechung«, sagte Lord Rothen, dessen verrunzeltes Gesicht sich zu einem Lächeln verzog. »Könnte ich für einen Moment mit Lord Lorkin sprechen?«
»Natürlich, Lord Rothen«, sagte Dannyl mit einem breiten Lächeln. Er sah Lorkin an, dann deutete er mit dem Kopf auf den älteren Magier. »Geht nur.«
Lorkin unterdrückte ein Seufzen und erhob sich. »Ich werde so schnell wie möglich zurück sein«, sagte er zu den anderen, dann ging er zur Tür und trat an Rothen vorbei in den Flur dahinter. Als die Tür sich schloss, verschränkte Lorkin die Arme vor der Brust und wappnete sich für den Vortrag, der gewiss folgen würde.
Rothen wirkte wie immer sowohl streng als auch erheitert. »Bist du dir sicher, dass du nach Sachaka gehen willst, Lorkin?«, fragte er leise. »Du tust es nicht nur, um deine Mutter zu ärgern?«
»Ja«, antwortete Lorkin. »Und nein. Ich will nach Sachaka reisen, und ich versuche nicht, Mutter gegen mich aufzubringen.«
Der ältere Magier nickte, und seine Miene wirkte jetzt nachdenklich. »Du bist dir über die Risiken im Klaren?« »Selbstverständlich.«
»Dann gibst du also zu, dass es Risiken gibt.«
Ha. Überlistet! Lorkin musste sich ein Lächeln verkneifen, als eine Woge der Zuneigung zu dem alten Mann in ihm aufstieg. Während all der Jahre von Lorkins Leben war Rothen da gewesen, er hatte sich um ihn gekümmert, wenn die Pflichten seiner Mutter sie fortriefen, und ihm geholfen, wenn er Verteidigung oder Unterstützung brauchte, er hatte ihn belehrt und gelegentlich bestraft, wenn er etwas Törichtes getan oder Gilderegeln gebrochen hatte.
Dies war etwas anderes, und Rothen musste es wissen. Lorkin brach keine Regeln. Er brauchte seinen alten Freund und Beschützer nur davon zu überzeugen, dass er nichts Törichtes tat.
»Natürlich gibt es Risiken – es gibt Risiken bei allem, was ein Magier tut«, wiederholte Lorkin etwas, das Rothen gern zu Novizen sagte.
Die Augen des alten Magiers wurden schmal. »Aber sind sie zu groß?«
»Das zu entscheiden wird bei den Höheren Magiern liegen«, antwortete Lorkin.
»Und du wirst ihre Entscheidung akzeptieren, ganz gleich wie sie ausfällt?« »Natürlich.«
Rothen senkte den Blick, dann sah er Lorkin wieder in die Augen, und seine eigenen Augen waren voller Mitgefühl. »Ich verstehe, dass du etwas mit deinem Leben anfangen willst. Die Erwartungen an dich sind gewiss hoch. Du weißt, dass Sonea und ich für dich niemals etwas anderes wollten als ein sicheres, glückliches Leben?«