»Und das Haus liegt im Inneren Ring, daher haben wir gedacht, es sei sicher«, ergänzte Sherran.
»Wo ist dieser Zettel jetzt?«, fragte Osen.
Lord Vonel, einer der beiden älteren Magier, die rechts von Osen standen, trat vor und überreichte dem Administrator einen winzigen weißen Papierstreifen. Osen begann stirnrunzelnd zu lesen, dann ertastete er die Dicke des Papiers und drehte es um, um die Rückseite zu untersuchen.
»Es ist von guter Qualität. Ich werde die Alchemisten, die die Druckmaschinen betreiben, bitten, das Papier zu untersuchen und festzustellen, ob sie uns etwas über die Herkunft sagen können.«
»Haltet es ins Licht«, schlug Vonel vor.
Osen folgte dem Vorschlag und kniff die Augen zusammen. »Ist das ein Teil des Wappens der Gilde?«
»Ich glaube, ja.«
»Hmm.« Osen legte den Zettel auf den Tisch, dann blickte er wieder zu Vonel auf. »Also, wie habt Ihr von dem Namenlosen erfahren?«
»Ein Novize hat mir das da gegeben«, antwortete Vonel und deutete mit dem Kopf auf das Papier.
»Und?«
»Ich habe Carrin gebeten, mich dorthin zu begleiten, damit wir feststellen konnten, um was für ein Lokal es sich bei diesem ›Spielhaus‹ handelte und ob Mitglieder der Gilde das Angebot genutzt hatten.«
»Und was habt Ihr bei Eurem Eintreffen vorgefunden?«
»Glücksspiel, Alkohol, Glühbecken für Feuel und Frauen, deren Dienste man kaufen konnte«, erwiderte Carrin. »Lord Reater machte hohe Verluste bei einem neuen Spiel, Lord Sherran war vom Feuelrauch einem Koma nah. Insgesamt haben wir dort diese beiden sowie zwölf Novizen entdeckt, die die volle Palette der angebotenen Produkte kosteten.«
Osen griff nach einem Bogen Papier. »Produkte, die hier aufgelistet sind.«
»Ja.«
Der Administrator überflog die Liste, dann legte er sie beiseite und blickte zu Regin und Sonea auf.
»Und welche Rolle habt Ihr gespielt, Lord Regin und Schwarzmagierin Sonea?«
»Mich hat ein besorgter Novize informiert, der mitangehört hatte, dass da möglicherweise irgendwelche Missetaten im Gange waren, obwohl er keine Einzelheiten nennen konnte«, antwortete Regin. »Da ich weiß, dass Schwarzmagierin Sonea sich für die Debatte über das Verbot für Magier, sich mit Kriminellen einzulassen, interessiert, habe ich ihr davon erzählt und gehofft, sie hätte genauere Informationen. Sie hatte keine.«
»Aber als ich Zeit dazu hatte, habe ich mich auf die Suche nach dem Lokal gemacht«, ergänzte Sonea. »Und ich bekam eine Adresse. Ich ersuchte um Erlaubnis, die Gilde verlassen zu dürfen, um der Angelegenheit nachzugehen, aber als ich die Erlaubnis bekam, waren bereits zwölf Magier in das Spielhaus gelockt worden.«
»Warum habt Ihr nicht veranlasst, dass jemand anderer hinging?«, hakte Osen nach.
Ärger flammte in Sonea auf. Warum sollte sie das Gelände nicht verlassen, wenn sie lediglich versuchte zu verhindern, dass einige Novizen und Magier in eine Falle tappten? Aber sie und Regin hatten nicht genug Beweise dafür, dass es sich tatsächlich um eine Falle handelte. Viele Magier, Osen eingeschlossen, dachten noch immer, dass sie die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit verdiene, als Strafe dafür, dass sie vor all jenen Jahren schwarze Magie erlernt und der Gilde getrotzt hatte.
»Wir dachten, je weniger Personen von diesem Ort Kenntnis hätten, umso besser wäre es«, erklärte Regin. »Nur Ihr selbst, Lord Vonel und Lord Carrin.«
Dankbarkeit stieg in ihr auf, gefolgt von Erheiterung darüber, dass diese Dankbarkeit ausgerechnet Regin galt.
Osen besah sich abermals die Liste der Novizen. »Dafür ist es jetzt zu spät. Die Wache hat das Spielhaus geschlossen, daher stellt es für niemanden mehr eine Versuchung dar. Jetzt gibt es nicht mehr zu tun, als über die Bestrafung zu entscheiden.« Er drehte sich zu Reater und Sherran um, die sich wanden und überall hinschauten, nur nicht zu den anderen Magiern. »Von Euch wird wie von allen Magiern erwartet, dass Ihr jenen gegenüber, die sich noch in den Jahren ihrer Ausbildung befinden, ein Vorbild an Zurückhaltung und geziemendem Verhalten seid. Ihr habt ferner die Pflicht, die Gilde als eine ehrenhafte und vertrauenswürdige Institution zu repräsentieren. Aber Euer Abschluss liegt noch nicht lange zurück, und wir alle nehmen einige der törichten Neigungen der Novizenzeit in unsere ersten Jahre als Magier mit. Ich werde Euch beiden noch eine Chance geben, Euch zu bessern.«
Die beiden jungen Männer entspannten sich sichtlich. Wenn sie das Missgeschick gehabt hätten, aus einer der unteren Klassen zu stammen, wäre das Ergebnis ganz anders ausgefallen, dachte Sonea düster.
»Die Novizen…« Osen klopfte auf die Liste. »Sollten nach den Regeln der Universität bestraft werden. Ich werde die Angelegenheit dem Universitätsadministrator übergeben.«
Oh, wunderbar, dachte Sonea. Wie ich mein Glück kenne, werden sie in den Hospitälern landen, wo alle Laster, die sie in Schwierigkeiten gebracht haben, nur wenige Straßenzüge entfernt zu haben sind. Sie werden sich davonschleichen, sobald sie eine Chance dazu bekommen, und mir wird man die Schuld daran geben.
»Ihr habt getan, wozu man Euch ausgesandt hat«, sagte Osen und nickte Vonel und Carrin zu. »Ich habe einen Brief an die Wache geschickt und mich dafür bedankt, dass sie so schnell gehandelt hat.« Er sah Regin an. »In Zukunft sollten wir alle zusammenarbeiten, damit etwas Derartiges nicht noch einmal vorkommt. Ihr dürft gehen.«
Sonea drehte sich um, ging auf die Tür zu, die sie mit ein wenig Magie öffnete, und trat in den Flur hinaus. Regin folgte ihr, und vor der Tür blieben sie beide stehen und warteten, bis die zwei jüngeren Magier erschienen. Sonea vertrat ihnen den Weg. Reater und Sherran sahen sie entsetzt an.
Sie lächelte mitfühlend. »Ihr seid also nur wegen des Feuel dorthin gegangen. Was hat es eigentlich damit auf sich? Was ist so reizvoll daran, dass Ihr Euch dafür in die Hände von offenkundigen Verbrechern begeben habt?«
Reater zuckte die Achseln. »Es gibt einem ein gutes Gefühl. Man hat keine Sorgen mehr.«
Sonea nickte, aber ihr war aufgefallen, dass in Sherrans Zügen ein Ausdruck der Sehnsucht aufgeflackert war, während Reater lediglich resigniert wirkte. Sie beugte sich vor und senkte die Stimme.
»Hat Lorkin jemals…?«
Sherran sah sie an, dann blickte er hastig wieder zu Boden. »Einmal. Es hat ihm nicht gefallen.«
Sonea richtete sich auf. Er konnte durchaus lügen, weil er fürchtete, sie werde ihm Vorwürfe machen, falls er eine andere Antwort gab. Aber dann hätte er mir erzählt, Lorkin habe es niemals versucht. Ich denke, dies ist die Wahrheit.
»Ihr zwei habt Glück, dass Administrator Osen sich in diesem Fall entschieden hat, Nachsicht zu üben. Ich würde seine Bereitschaft, das wieder zu tun, nicht auf die Probe stellen.«
Die beiden jungen Männer nickten schnell. Sie lächelte und bedeutete ihnen, dass sie gehen könnten, woraufhin sie davoneilten.
»Lorkin ist zu klug, um sich beim Feuelrauchen erwischen zu lassen«, murmelte Regin. »Und der gleiche gesunde Menschenverstand wird verhindern, dass er in Sachaka in Schwierigkeiten gerät.« Er seufzte. »Ich wünschte nur, meine eigenen Töchter wären halb so reif wie er.«
Sie sah ihn an, überrascht und erheitert. »Machen sie Euch immer noch Ärger?«
Er verzog das Gesicht. »Sie schlagen nach ihrer Mutter, obwohl in ihrer Rivalität genug Grausamkeit steckt, um mich an mich selbst in ihrem Alter zu erinnern.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist schlimm genug zurückzublicken und seine jugendliche Arroganz zu bedauern, auch ohne dann noch die Arroganz seiner Sprösslinge bedauern zu müssen.«
8
Zeichen
Nach zwei Tagen Kutschfahrt über zunehmend holprige Straßen hatte Lorkin das Gefühl, das vorrangige Ziel dieser Reise müsse darin bestehen, sämtliche Knochen in seinem Leib durcheinanderzuschütteln und in einer möglichst schmerzhaften Weise vollkommen neu zu arrangieren. Er musste ständig die Wehwehchen seines Körpers heilen und Kopfschmerzen mildern, aber vor allem langweilte er sich. Nach Stunden des Unbehagens war er zu müde und zu mürrisch für Gespräche, und er hatte die Entdeckung gemacht, dass das Holpern der Kutsche auf den Straßen ihm Übelkeit bescherte, wenn er zu lesen versuchte.