»Ja, obwohl es drinnen schlimmer aussah«, antwortete Orton. Er setzte sich in Bewegung und führte sie in eine höhlenartige Öffnung. Dannyls Augen brauchten einige Sekunden, um sich anzupassen, dann konnte er von Lampen beleuchtete Tunnelwände vor sich sehen. Geringfügige Unterschiede in der Farbe zeigten, wo Bereiche mit neuem Stein ausgebessert worden waren. »An einigen Stellen waren Lücken, die mehrere Stockwerke emporreichten.«
»Haben wir die ursprünglichen Fallen hier durch neue ersetzt?«, fragte Dannyl.
»Einige davon.« Orton zuckte die Achseln. »Die meisten waren simple Barrieren, dazu gedacht, Angreifer aufzuhalten und ihre Kräfte aufzuzehren. Wir haben an ihrer Stelle komplexere Verteidigungssysteme errichtet. Tricks, die einen Eindringling vielleicht zu Fall bringen, wenn er nicht wachsam ist. Illusionen, die seine Macht vergeuden. Aber nichts, was eine Gruppe mächtiger sachakanischer Schwarzmagier lange aufhalten könnte, was der Grund ist, warum wir so viel Zeit und Energie darauf verwenden, auch Fluchtwege aus dem Fort zu schaffen. Zu viele sind bei der Invasion gestorben, die nicht hätten sterben müssen. Ah – hier haben wir ein Andenken an jene, die bei der tapferen Verteidigung des Passes ihr Leben gelassen haben.«
Zwischen zwei Lampen war in die Wand eine Liste mit Namen eingemeißelt worden. Dannyl verspürte eine Mischung aus Beunruhigung und Erheiterung, als sein Blick auf einen vertrauten Namen fiel. Soweit ich mich erinnere, wurde Fergun von den Sachakanern aus irgendeinem Versteck gezerrt. Wohl kaum das, was ich eine tapfere Verteidigung des Passes nennen würde. Aber die Übrigen… sie starben, ohne zu verstehen, womit sie es zu tun hatten, weil die Gilde Akkarins Warnungen keinen Glauben geschenkt hatte. Sie war nicht in der Lage gewesen, die von ihm geschilderte Bedrohung zu begreifen, da sie vergessen hatte, wozu schwarze Magie einen Magier befähigen konnte.
Sie standen lange schweigend da, dann hallten Hufgetrappel und das Knarren von Rädern im Tunnel wider. Als Dannyl sich umdrehte, sah er, dass der Fahrer frische, an die Kutsche geschirrte Pferde auf sie zuführte.
»Gleich werdet Ihr das Fort von der sachakanischen Seite sehen«, sagte Orton, während er seinen Weg durch den Tunnel fortsetzte.
Dannyl und Lorkin folgten ihm. Der Lärm der Kutsche war unangenehm in dem beengten Raum, daher sprachen sie kein Wort, bis sie aus dem Tunnel traten. Wiederum erhoben sich zu beiden Seiten steile Felswände. Vor ihnen machte die Schlucht eine Biegung, so dass sie von Sachaka noch nicht viel sahen. Als Orton sich umdrehte und aufblickte, folgten Lorkin und Dannyl seinem Beispiel. Zwischen den Wänden der Schlucht, durchbrochen von vielen kleinen Fenstern, erstreckte sich eine weitere glatte Wand. Zwei riesige Steinquader, die offensichtlich früher einmal ein einziger Stein gewesen waren, lagen an einer Seite an der Felswand der Schlucht.
»Das war einmal eine Art Tür«, erklärte Orton. »Sie wurde hinuntergeworfen, um den Tunnel zu versperren.« Er zuckte die Achseln. »Ich frage mich allerdings, warum die Magier, die das Fort erbauten und die selbst Schwarzmagier waren, glaubten, solche Dinge würden einen Eindringling aufhalten.«
»Jedes noch so kleine Fünkchen Macht, das der Feind verbraucht, könnte ein gerettetes Leben bedeuten«, meinte Lorkin.
Orton sah den jungen Mann an und nickte. »Vielleicht.« Die Kutsche tauchte aus dem Tunnel auf, und der Fahrer hielt die Pferde neben ihnen an. Orton wandte sich an Dannyl. »Frische Pferde sowie Futter und Wasser für die drei Tage, die Ihr für die Durchquerung des Ödlands benötigen werdet. Außerdem haben wir Vorräte für Euch selbst eingepackt, und ich habe den Koch gebeten, für Eure nächste Mahlzeit etwas Besonderes zusammenzustellen. Nichts Großartiges, aber es könnte für einige Zeit Eure letzte kyralische Mahlzeit sein.«
»Vielen Dank, Wächter Orton.«
Der Mann lächelte. »Es war mir ein Vergnügen, Botschafter Dannyl.« Dann sah er Lorkin an. »Ich hoffe, Ihr und Lord Lorkin werdet sicher ans Ziel kommen und könnt bei Eurer Rückkehr nach Kyralia für ein Weilchen hier haltmachen.«
Dannyl nickte. »Wir werden unser Bestes tun, um mögliche Eindringlinge davon abzuhalten, Eure neuen Verteidigungseinrichtungen zu erproben.«
Orton lachte leise und drehte sich zu der Kutsche um. »Ich weiß, dass Ihr das tun werdet.«
Die Kutschentür schwang auf, geöffnet zweifellos durch Ortons Magie. Dannyl stieg ein und setzte sich, dann wappnete er sich gegen das Schaukeln des Gefährts, als Lorkin ihm eifrig folgte. Sie winkten Orton zum Abschied zu und riefen noch einige Dankesworte, während die Kutsche davonrollte und Orton außer Sicht geriet.
Dannyl sah Lorkin an, der zurückgrinste.
»Ich nehme an, Wächter Orton bekommt nicht viele Besucher zu Gesicht.«
»Nein. Ihr seht erheblich besser gelaunt aus als heute Morgen«, bemerkte Dannyl.
Lorkins Grinsen wurde breiter. »Wir sind in Sachaka.«
Ein Schauder überlief Dannyl. Er hat recht. Als wir aus dem Tunnel traten, waren wir nicht länger in unserem eigenen Land. Wir sind im exotischen Sachaka, dem Herzen des ehemaligen Reiches, das einst Kyralia und Elyne umschloss. Dem Land der Schwarzmagier. Alle so viel mächtiger als ich…
So musste sich ein Händler oder Diplomat fühlen, der in den Verbündeten Ländern mit Magiern zu tun hatte und sich stets darüber im Klaren war, wie hilflos er im Angesicht von Magie sein würde, der sich jedoch auf Diplomatie verließ und auch die Drohung eines Vergeltungsschlags von Seiten seines Heimatlandes, um sicher vor Schaden zu sein. Dannyl dachte an den Blutring, den Administrator Osen ihm gegeben hatte, geschaffen von Schwarzmagier Kallen aus Osens Blut, damit Dannyl sich mit ihm in Verbindung setzen konnte. Für allmonatliche Berichte. Davon abgesehen darf er nur in Notfällen benutzt werden. Als ob er aus dieser Entfernung einen Schwarzmagier daran hindern könnte, mich zu töten…
Plötzlich war die Felswand neben ihm verschwunden und hatte einer großen, hellen Fläche Platz gemacht. Lorkin stieß einen überraschten Laut aus, wechselte auf den Sitzplatz Dannyl gegenüber und rückte nah ans Fenster, um hinauszuschauen.
»Das ist also das Ödland«, sagte er leise.
Ein baumloser Hang fiel steil vom Rand der Straße zu den felsigen, erodierten Hügeln unter ihnen ab. An ihnen züngelte wie ein gefrorenes Meer die Wüste, deren Dünen sich durchs Land wellten. Die Luft war trocken, wie Dannyl plötzlich bemerkte, und schmeckte nach Staub.
»Ich schätze, so ist es«, erwiderte er.
»Es ist… größer, als ich dachte«, sagte Lorkin.
»Man lehrt uns, dass das Ödland eine Barriere sein soll«, erklärte Dannyl. »Aber die älteren Aufzeichnungen besagen nur, dass es als eine solche dienen könne. Das legt die Vermutung nahe, dass das Ödland nicht ganz absichtlich geschaffen wurde. Dass es zumindest nicht von der Gilde geplant worden war.«
»Also weiß niemand mit Bestimmtheit, warum es geschaffen wurde, geschweige denn, wie?«
»In einigen Unterlagen findet sich der Hinweis, dass die Schöpfer des Ödlandes Sachaka schwächen wollten, indem sie sein fruchtbarstes Land zerstörten. Ich habe Briefe gefunden, in denen Magier die Idee unterstützten, und andere, wo es für eine schreckliche Idee gehalten wurde. Aber die Briefe machen den Eindruck, als drehten sie sich um Gerüchte, nicht um eine offizielle Entscheidung.«
Lorkin verzog das Gesicht. »Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass jemand unabhängig von der Gilde gehandelt hätte.«
»Nein.« Dannyl fragte sich, ob Lorkin auf seine Eltern anspielte. Sein Tonfall war trocken gewesen.
Einige Minuten lang betrachteten sie das Ödland, ohne zu sprechen. Dann schüttelte Lorkin den Kopf und seufzte.
»Das Land hat sich nie erholt. Nicht nach siebenhundert Jahren. Hat irgendjemand versucht, es wiederherzustellen?«
Dannyl zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht.«
»Vielleicht ist es gut, dass niemand weiß, wie es entstanden ist. Wenn wir es jemals mit einem richtigen Krieg zu tun bekämen – statt mit einem Haufen Ausgestoßener –, wären wir in ernsten Schwierigkeiten.«