»Es wird Norrins Aufgabe sein sicherzustellen, dass das Geld, das er seiner Mutter gibt, nicht in Feuel umgesetzt wird«, erklärte Sonea ihnen in einem Tonfall, von dem sie hoffte, dass er versöhnlicher klang. »Es ist offensichtlich nicht sein Ziel, seine Mutter umzubringen.« Dann hatte sie plötzlich eine Inspiration. »Wenn er sich bereit erklärt zu bleiben, schickt ihn zur Arbeit in die Hospitäler, als Strafe, wenn es sein muss. Ich werde dafür sorgen, dass seine Familie ihn dort besuchen kann. Auf diese Weise kann er sie sehen, und wir machen deutlich, dass er wegen des Verstoßes gegen das Gesetz bestraft wird.«
Die Magier im Raum nickten.
»Eine hervorragende Lösung«, sagte Lord Osen. »Vielleicht könnt Ihr seine Mutter gleichzeitig dazu überreden, die Droge aufzugeben.« Er sah sie erwartungsvoll an. Sie erwiderte nichts, sondern schaute ihm nur direkt in die Augen. Ich bin nicht dumm genug, um irgendwelche Versprechungen zu machen, wenn es um Feuel geht.
Osen wandte den Blick ab und drehte sich zu den anderen um. »Hat irgendjemand Einwände oder einen anderen Vorschlag?«
Die Höheren Magier schüttelten den Kopf. Osen rief die Eskorte und Norrin herein. Als man ihm Soneas Vorschlag unterbreitete, sah er mit offener Dankbarkeit zu ihr empor. Da ist ein bisschen zu viel Bewunderung, ging es ihr durch den Kopf. Ich sollte besser dafür sorgen, dass er hart arbeiten muss, damit er nicht anfängt, mich zu idealisieren – oder, wichtiger noch, zu denken, dass das Brechen von Regeln dazu führt, dass er seinen Willen bekommt.
Als Osen die Anhörung und die Versammlung für beendet erklärte und Sonea sich erhob und die Stufen hinabsteigen wollte, vertrat Lady Vinara ihr den Weg.
»Es ist schön zu sehen, dass Ihr endlich Eure Meinung sagt«, erklärte die ältere Heilerin. »Ihr solltet das häufiger tun.«
Sonea blinzelte überrascht und wusste nichts zu erwidern, das nicht abgedroschen geklungen hätte. Vinaras Lächeln wich einem ernsteren Ausdruck. Sie blickte zu der Stelle hinab, an der Norrin gestanden hatte.
»Dieser Fall demonstriert eindeutig die Notwendigkeit, eine prompte Entscheidung darüber zu treffen, ob die Regel gegen die Verbindung mit Kriminellen und Personen schlechten Rufes verändert oder abgeschafft werden soll.« Sie senkte die Stimme. »Ich bin für eine Klärung. Die Regel lässt sich zu leicht auf eine Weise auslegen, die die Arbeit meiner Heiler einschränken würde.«
Sonea nickte und brachte ein Lächeln zustande. »In meinem Fall ist es noch schlimmer. Was denkt Ihr, wann der Administrator zu einer Entscheidung rufen wird?«
Vinara runzelte die Stirn. »Er hat noch nicht festgelegt, ob es eine Entscheidung für uns oder für die Gilde sein sollte. Es mag als ungerecht angesehen werden, sollte er sich für Ersteres entscheiden, da Ihr die einzige Höhere Magierin seid, die die Magier und Novizen von niederer Herkunft repräsentieren würde. Aber wenn wir die Frage der ganzen Gilde vorlegen…«
»Dann würde das vielleicht keinen allzu großen Unterschied machen«, beendete Sonea ihren Satz. »Und es würden gewiss Bemerkungen fallen, die, wenn sie öffentlich gemacht werden, dauerhaften Groll verursachen könnten.«
Vinara zuckte die Achseln. »Oh, ich glaube nicht, dass wir das vermeiden können. Aber es wird erheblich mehr Aufhebens und Arbeit verursachen, und Osen ist sich nicht sicher, ob das Thema diesen Aufwand rechtfertigt.«
»Nun denn.« Sonea lächelte grimmig und trat an der Frau vorbei. »Vielleicht wird Norrins Fall seine Meinung ändern.«
Lorkin blickte über die Felder neben der Straße und fragte sich, wie lange er brauchen würde, um sich an all das Grün zu gewöhnen. Drei Tage lang waren sie durch das Ödland gereist, und es fühlte sich so an, als hätte die staubige Trockenheit jede Falte seiner Haut und jeden Hohlraum seiner Lunge gefüllt. Er freute sich mehr als je im Leben auf ein Bad.
Nachts hatten sie abwechselnd Wache gehalten für den Fall, dass sich ihnen Ichani näherten, oder in der Kutsche geschlafen. Das Ödland galt als der gefährlichste Teil ihrer Reise – daher die Vorsichtsmaßnahmen –, aber niemand hatte jemals Magier der Gilde überfallen. Frühere Gildebotschafter hatten in der Ferne Gestalten gesehen, die sie beobachteten, aber keine davon hatte sich je genähert.
Lorkin bezweifelte, dass sie einem Überfall durch Ichani-Banditen lange hätten trotzen können, aber der frühere Botschafter hatte ihnen erklärt, dass sie sich immer darauf verlassen hatten, dass es Abschreckung genug sei, den Eindruck zu erwecken, als seien sie auf einen Kampf vorbereitet. Die Ichani, die im Ödland und in den Bergen umherstreiften, wussten, dass die Gilde es geschafft hatte, Kariko und seine Bande zu töten, obwohl sie keine Ahnung von dem Wie hatten, und so hielten sie sich von jedweden in Roben gewandeten Besuchern fern.
Am zweiten Tag hatte ein Sandsturm Dannyl gezwungen, neben dem Fahrer Platz zu nehmen und mit einer magischen Barriere Pferd und Kutsche zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Straße sichtbar blieb. Am dritten Tag hatte die Sandfläche Grasbüscheln und verkümmerten Büschen Platz gemacht. Während die Pflanzenwelt dichter wurde, waren auch grasende Tiere erschienen. Dann wichen diese Flächen den ersten kümmerlichen Getreidefeldern, die langsam gesünder und üppiger wirkten, bis alles angenehm und ländlich aussah – solange man nicht allzu genau zum südwestlichen Horizont blickte.
Ab und zu tauchten Ansammlungen weißer Gebäude und Mauern mehrere hundert Schritte von der Straße entfernt auf. Es waren die Güter von Sachakas mächtigen Landbesitzern, den Ashaki. Erst als sie die ersten dieser Güter passierten, wurde Lorkin klar, dass die Ruinen im Ödland wahrscheinlich einst genauso ausgesehen hatten.
Heute Abend sollten Lorkin und Dannyl bei einem Ashaki übernachten. Lorkin war sich nicht sicher, wie viel von seiner nervösen Gespanntheit, endlich einem Sachakaner zu begegnen, auf Aufregung zurückzuführen war und wie viel auf Furcht. Dannyl hatte sich in Imardin mit dem sachakanischen Botschafter getroffen, aber Lorkin war damals offiziell noch nicht sein Gehilfe gewesen und hatte daher nicht an dem Treffen teilgenommen.
Ich will, dass wir uns beeilen und unser Ziel erreichen, aber wie viel davon ist auf Hunger und den Wunsch nach einem bequemen Bett und einer durchgeschlafenen Nacht zurückzuführen?
Die Kutsche verlangsamte ihr Tempo, dann bog sie von der Hauptstraße ab. Lorkins Herz begann zu rasen. Als er sich dichter zum Fenster hinüberbeugte, sah er weiße Gebäude am Ende der schmalen Straße, der die Kutsche folgte. Die Wände waren glatt und gewölbt, ohne scharfe Kanten. Als sie näher kamen, konnte er durch einen Torbogen vor ihnen schlanke, umherhuschende Gestalten sehen. Eine davon blieb im Torbogen stehen, dann drehte sie sich um und winkte den anderen, bevor sie verschwand.
Als sie durch das Tor fuhren, fanden sie sich in einem beinahe verlassenen Innenhof wieder. Wer immer die Leute waren, sie hatten sich zurückgezogen. Ein einzelner Mann trat aus einer schmalen Tür, als die Kutsche zum Stehen kam, und ließ sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden fallen.
Er war offensichtlich ein Sklave. Lorkin sah Dannyl an, der grimmig nickte und ausstieg. Der Mann auf dem Boden rührte sich nicht. Lorkin folgte Dannyl und schaute zu dem Fahrer auf. Der Mann runzelte missbilligend die Stirn.
Nun, man hat uns gesagt, dass wir dies erwarten müssten. Das macht es allerdings nicht weniger beunruhigend. Trotzdem, die Dinge werden hier anders gehandhabt. Der Herr des Hauses erscheint nicht, um seine Gäste zu begrüßen. Er heißt sie willkommen, sobald sie eingetreten sind.
»Bring uns zu deinem Herrn«, wies Dannyl den Mann an. Sein Tonfall war weder befehlend, noch klang er wie eine Bitte. Lorkin kam zu dem Schluss, dass dies ein guter Kompromiss sei, und nahm sich vor, das Gleiche zu tun, wenn er einen Sklaven ansprach.