»Nun, Ihr müsst müde sein, und nachdem Ihr jetzt gegessen habt, will ich Euch nicht länger von einem Bad und Eurem Bett fernhalten.«
Dannyl wirkte enttäuscht, als ihr Gastgeber sich erhob, protestierte jedoch zu Lorkins Erleichterung nicht dagegen. Ein Gong erschallte, und zwei junge Frauen kamen hereingeeilt, um sich auf den Boden zu werfen.
»Bringt unsere Gäste in ihre Zimmer«, befahl er. Dann lächelte er Dannyl und Lorkin zu. »Ruht wohl, Botschafter Dannyl und Lord Lorkin. Ich werde Euch morgen früh wiedersehen.«
Cery schob die Kappe darüber nach oben, legte ein Auge an das Guckloch hin und spähte in den Raum dahinter. Er war schmal, aber sehr lang, so dass er insgesamt geräumig wirkte. Die Form hatte ihm nicht gefallen, aber man konnte den Raum in eine Reihe kleinerer Zimmer mit zahlreichen Fluchtmöglichkeiten unterteilen.
Mehrere Männer arbeiteten in dem Raum; sie bedeckten die Ziegelsteinmauern mit Vertäfelung, bauten das Gerüst für die Trennwände und kachelten den Boden. Zwei arbeiteten am Kamin und beseitigten eine Verstopfung. Sobald sie alle fertig waren und man gründlich sauber gemacht hatte, würde es ans Einrichten gehen, und Cerys neues Versteck – und die Falle für den Jäger der Diebe – würde zu einer geschmackvollen, luxuriösen Wohnung werden.
»Bist du dir sicher, dass du denselben Schlossmacher benutzen willst?«, fragte Gol.
Cery drehte sich um und sah das Auge seines Leibwächters, das von einem kleinen Lichtkreis hinter einem anderen Guckloch erhellt wurde.
»Warum sollte ich nicht?«
»Du hast gesagt, du glaubtest nicht, dass Dern dich verraten habe, und wenn niemand dich verrät, dann wird der Diebesjäger auch niemals in unsere Falle tappen.«
Cery, der sich wieder dem Guckloch zuwandte, beobachtete die Männer bei der Arbeit. »Ich will nicht, dass die Leute denken, ich gäbe ihm die Schuld.«
»Ich bin trotzdem immer noch ein wenig argwöhnisch, was das Schloss betrifft. Warum sollte Dern es so bauen, dass man erkennen kann, ob Magie benutzt wurde, wenn es so unwahrscheinlich ist, dass Magie überhaupt benutzt werden würde?«
»Vielleicht dachte er, es sei durchaus wahrscheinlich. Schließlich bin ich ein Dieb. Diebe werden jetzt schon seit einigen Jahren ermordet.«
»Dann muss er einen Grund zu der Annahme haben, sie seien durch Magie getötet worden.«
»Vielleicht hat er diesen Grund. Vielleicht ist das, was Auftragsmörder wissen, nicht so geheim, wie sie glauben. Aber mir schien Dern stets gewohnheitsmäßig so gründlich zu sein, dass es schon ans Lächerliche grenzte, und ich denke, das ist der Grund, warum er das Schloss so gebaut hat, nicht der Umstand, dass er etwas über den Jäger und dessen Methoden wusste.«
Gol seufzte. »Ja… manchmal macht er tatsächlich diesen Eindruck. Und obwohl er dankbar dafür war, weitere Aufträge von dir zu erhalten, wirkte er auch, nun ja, nervös. Angespannt. Er sagte immer wieder, wenn der Jäger und der wilde Magier tatsächlich real seien und ein und dieselbe Person, welche anderen Legenden könnten dann noch wahr sein? Wie die Legende von den Riesen-Ravis, die Menschen bei lebendigem Leib fressen, wenn sie sich in die Kanalisation begeben, oder plötzlich daraus auftauchen und Leute von der Straße der Diebe wegreißen.«
»Es ist nur natürlich, dass er sich solche Fragen stellt.« Cery schüttelte den Kopf. »Ich habe den wilden Magier auch immer für einen Mythos gehalten. Die Leute erzählen sich, es habe sich zwanzig Jahre lang ein Magier in der Stadt versteckt, obwohl Senfel sich der Gilde wieder angeschlossen hat, nachdem man ihm Straffreiheit gewährt hatte, und er ist an Altersschwäche gestorben… Wann war das noch? Vor neun oder zehn Jahren?«
»Senfel hat die Leute auf diese Idee gebracht – genauso wie Sonea. Jetzt ist jedes seltsame Ereignis, das magischer Natur sein könnte, Beweis dafür, dass weitere wilde Magier in der Stadt leben.«
»Sieht so aus, als könnten sie da recht haben.« Cery runzelte die Stirn. »Aber das ist ein Grund mehr, warum wir uns sicher sein müssen, bevor wir es Sonea sagen.«
Gol brummte zustimmend. »Denkst du, wir sollten Skellin erzählen, was wir tun?«
»Skellin?« Einen Moment lang fragte sich Cery, warum, dann fiel ihm die Übereinkunft wieder ein, die er mit dem anderen Dieb geschlossen hatte. »Wir wissen nicht mit Bestimmtheit, ob die Person, die wir in die Falle locken wollen, tatsächlich der Jäger ist. Es könnte auch jemand sein, der es einfach auf mich abgesehen hat. Und der Magie benutzt.«
»Der wilde Magier?«
»Vielleicht. Wir werden es bald wissen. Und wenn es dann einen guten Grund zu der Annahme gibt, er sei der Jäger, werden wir es Skellin erzählen.«
Für eine Weile blickten sie beide nur schweigend durch die Gucklöcher, dann ließ Cery die Kappe seines Gucklochs zurückschwingen. Die Arbeiter kannten die Fluchtwege, die sie bauten, aber keinen von denen, die bereits existierten. Ebenso wenig wussten sie von den Gucklöchern, durch die Cery und Gol sie beobachteten.
»Lass uns gehen.«
Das Loch aus Licht vor Gols Auge verschwand. Cery setzte sich in Bewegung und strich dabei mit einer Hand an der Wand entlang.
Ich frage mich, welcher der Arbeiter, die ich eingestellt habe, den Standort meines neuen Verstecks durchsickern lassen wird. Obwohl Cery Arbeiter immer gut behandelte und sie gerecht und ohne Verzug entlohnte, konnte er sich ihrer Loyalität oder ihrer Fähigkeit, Geheimnisse zu hüten, niemals ganz sicher sein. Er brachte so viel wie möglich über sie in Erfahrung: ob sie Familie hatten, ob ihnen diese Familie am Herzen lag, ob sie Schulden hatten, für wen sie in der Vergangenheit gearbeitet hatten, wer für sie gearbeitet hatte. Ob es jemanden – insbesondere die Wache – gab, dem sie lieber nicht begegnen wollten.
Nicht diesmal. Gol hat begonnen, Informationen zusammenzutragen, aber es ist nicht genug Zeit, um gründlich zu sein. Damit die Falle funktionierte, brauchte Cery jemanden, der Informationen darüber preisgab. Aber wenn ich nicht gewisse Vorkehrungen treffe, könnte der Jäger vielleicht denken, es sei untypisch für mich, und argwöhnisch werden.
Der Gang machte eine Biegung und dann noch eine.
»Du kannst die Lampe jetzt wieder öffnen«, murmelte Cery.
Nach einem Moment der Stille folgte ein schwaches Quietschen, und plötzlich war der Tunnel sichtbar.
»Weißt du, jeder dieser Arbeiter könnte der Jäger sein.«
Cery blickte über die Schulter zu seinem Freund hinüber. »Gewiss nicht.«
Gol zuckte die Achseln. »Selbst der Jäger muss essen und braucht ein Dach überm Kopf. Er muss irgendeine Art von Arbeit haben.«
»Es sei denn, er ist reich«, bemerkte Cery, bevor er sich wieder umdrehte.
»Es sei denn, er ist reich«, pflichtete Gol ihm bei.
Früher hätte man mit Sicherheit davon ausgehen können, dass der Jäger reich war. Nur reiche Leute erlernten Magie. Aber heutzutage konnten alle Klassen der Gilde beitreten. Und wenn der Jäger es sich nicht leisten konnte, Leute zu bestechen, konnte er sie immer noch erpressen und bedrohen – möglicherweise noch wirksamer mit Magie, mit der er seine Opfer einschüchtern konnte.
Ich wünschte, ich könnte Sonea fragen, ob irgendwelche Magier oder Novizen verschwunden sind. Aber ich will kein erneutes Treffen mit ihr riskieren, bis ich Beweise dafür habe, dass sich ein wilder Magier in der Stadt aufhält.
Und in der Zwischenzeit sollte er am besten dafür sorgen, dass er diesen Beweis bekam, ohne dabei getötet zu werden.
10
Eine neue Herausforderung
Der ehemalige Gildebotschafter in Sachaka hatte Dannyl gesagt, dass Arvice nicht von Mauern umschlossen war. Das heißt, nicht von Mauern, die zur Verteidigung gedacht waren. Davon abgesehen gab es jede Menge Grenzmauern in Sachaka. Höher als ein Mann oder so niedrig, dass man darüber hinwegsteigen konnte, und immer weiß getüncht, markierten sie die Grenzen von Besitztümern. Der einzige Hinweis darauf, dass er und Lorkin die Stadt erreicht hatten, war der Umstand, dass jetzt hohe Mauern die Straßen säumten statt niedriger, mit Ausnahme der Stellen, an denen sie eingestürzt und nicht repariert worden waren.