Er stellte das Glas ab und seufzte. »Ich denke, ich weiß jetzt, wie Sonea sich vor all jenen Jahren gefühlt hat, als sie in Farens Versteck eingesperrt war. Obwohl ich nicht versuche zu lernen, wie man Magie kontrolliert, und stattdessen die Möbel in Brand stecke.«
»Nein, aber es geht trotzdem nur um Magie.« Gol nippte an dem Wein und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich habe neulich abends über diesen Jäger nachgegrübelt. Was denkst du, wie gut er sich auf seine Magie versteht?«
Cery zuckte die Achseln. »Gut genug, um ein Schloss zu öffnen.« Er runzelte die Stirn. »Er muss Kontrolle darüber haben, da er die Magie seit Jahren benutzt, wenn die Gerüchte der Wahrheit entsprechen. Wäre es anders, hätte die Magie ihn schon vor langer Zeit getötet.«
»Dann muss ihn jemand unterwiesen haben, richtig?«
»Ja.«
»In dem Fall gibt es entweder einen anderen wilden Magier, der es ihm beigebracht hat, oder ein Gildemagier war sein Lehrer.« Gol blinzelte, als ihm ein Gedanke kam. »Vielleicht war es Senfel, bevor er starb.«
»Ich denke nicht, dass Senfel derart vertrauensvoll gewesen wäre.«
Gols Augen weiteten sich. »Hast du mal in Erwägung gezogen, dass der Jäger ein Gildemagier sein könnte, der versucht, die Stadt von allen Dieben zu befreien?«
»Natürlich.« Ein kalter Schauer überlief Cery. Der verstorbene Hohe Lord hatte jahrelang in der Stadt sachakanische Schwarzmagier gejagt, ohne dass die Gilde davon wusste. Ein Magier, der versuchte, die kriminellen Unterweltführer auszulöschen, war im Vergleich dazu gar keine so weit hergeholte Idee.
Nun, wenn der Jäger in meine Falle tappt, werden wir es herausfinden.
»Ich wünschte, es würde nicht so lange dauern«, seufzte Cery. Er erwog seinen früheren Gedanken, dass er dem Jäger vielleicht Grund zu der Annahme geben könnte, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Dass die Chance kurzlebig sein würde. Vielleicht setze ich das Gerücht in Umlauf, dass ich Imardin in Bälde verlassen werde.
Doch ein solches Gerücht würde den Jäger der Diebe wahrscheinlich von seinem Vorhaben abhalten. Der Mann musste bereit sein, sich Zeit zu lassen, da er die Diebe im Laufe vieler Jahre getötet hatte. Ich bin die Art von Köder, die Geduld haben muss. Niemand wird einen Dieb ohne ausgiebige Planung angreifen.
Gab es noch eine andere Art von Köder, bei dem der Jäger vielleicht nicht so vorsichtig oder geduldig wäre? Etwas, das man an einem Ort liegen lassen konnte, der weniger gut geschützt war, ohne dass es untypisch und verdächtig wirkte?
Was würde einen wilden Magier so in Versuchung führen, dass er Jagd darauf machen oder es stehlen wollte?
Die Antwort wurde von einer Woge der Erregung begleitet, und Cery sog scharf die Luft ein.
Magisches Wissen! Cery richtete sich in seinem Sessel auf. Wenn unser Jäger ein wilder Magier ist, muss er außerhalb der Gilde Magie gelernt haben. Denn wenn ein Magier die Gilde verlassen hätte, aber in Imardin geblieben wäre, hätte die Gilde ihn inzwischen gewiss zur Strecke gebracht. Also muss es ihn nach der großen Menge an Wissen gelüsten, über das die Gilde verfügt. Selbst wenn er ein Gildemagier wäre, wäre er verpflichtet, einem solchen Gerücht nachzugehen und jedwedes magisches Wissen auszulöschen, das in die falschen Hände geraten war oder geraten könnte.
»Was ist los?«, fragte Gol. Er sah sich um. »Ist ein Alarm losgegangen?«
»Nein«, versicherte ihm Cery. »Aber ich glaube nicht, dass es noch länger eine Rolle spielt. Mir ist eine noch bessere – und schnellere – Möglichkeit eingefallen, unsere Beute dazu zu verlocken, sich zu offenbaren.« Er begann seine Idee zu erklären und beobachtete, wie Gols Miene von Überraschung zu Aufregung wechselte und dann zu Bestürzung.
»Du wirkst enttäuscht«, bemerkte Cery.
Gol zuckte die Achseln und deutete mit einer Handbewegung auf den Raum. »Ich schätze, wir werden all das jetzt nicht mehr benötigen. So viel Arbeit und Geld sind in dieses Versteck geflossen. Und wir haben all diese Mängel eingebaut, so dass du später nicht zurückkommen und hierbleiben kannst. Das scheint mir eine Schande zu sein.«
Cery sah sich nachdenklich um. »Das ist es wohl. Wenn all dies vorüber ist und die Leute es vergessen haben, können wir die Mängel vielleicht beheben. Aber für den Augenblick ist es kein guter Ort, um unseren neuen Köder auszulegen. Wir brauchen etwas, das weniger sicher ist, so dass er umso schneller zuschlagen wird.«
»Dann sollte ich wohl besser gehen und dir einige Bücher über Magie kaufen«, meinte Gol und stellte sein Glas weg.
»So ohne Weiteres wirst du sie nicht finden. Wenn du es könntest, hätte es keinen Sinn, sie als Köder zu benutzen.«
Gol lächelte. »Oh, ich habe nie gesagt, dass es echte Bücher sein würden. Gute Fälschungen werden viel mehr Gerede verursachen als nicht existente Bücher. Und vielleicht ist alles, was wir brauchen, das Gerücht, dass irgendwo Bücher zu finden seien.«
»Also schön, dann lass einige Fälschungen herstellen.« Cery verzog das Gesicht. »Nur… sieh zu, dass die Fälscher nicht so lange brauchen wie richtige Buchkopierer, oder ich kann genauso gut hierbleiben und darauf warten, dass der Jäger mich findet.«
Dannyl überließ seinen Teller der Sklavin und widerstand dem Drang, sich zufrieden auf den Bauch zu klopfen. Langsam gewann er Gefallen an der seltsamen Art und Weise, in der man in Sachaka Mahlzeiten servierte. Indem man die Gäste Speisen von den dargebotenen Tabletts wählen ließ, gestattete man es ihnen, so viel oder so wenig zu essen, wie sie mochten. Zuerst hatte er sich verpflichtet gefühlt, jede Speise zu kosten, aber ihm war aufgefallen, dass andere Gäste das nicht taten – wenn überhaupt, so trugen sie einen wählerischen Geschmack zur Schau, der dem Gastgeber nichts auszumachen schien.
Außerdem war ihm aufgefallen, dass niemand hier eine Bemerkung zu dem Essen machte. Was eine Erleichterung war, denn einige der Speisen waren so scharf gewürzt oder aber unerwartet bitter oder salzig, dass er nicht aufessen konnte, was er sich genommen hatte. In Sachaka gab es anscheinend keinen Nachtisch, obwohl man, wenn man tagsüber Besuch empfing, dafür Sorge trug, dass auf den Tischen Teller mit Nüssen, süßen Früchten oder Konfekt standen.
An diesem Abend war Dannyls Gastgeber ein wohlbeleibter Sachakaner namens Ashaki Itoki. Er wusste, dass der Mann zu den mächtigsten in Sachaka zählte und ein Cousin des sachakanischen Königs war. Anscheinend hatte man Ashaki Achati, dem Mann, der Dannyl und Lorkin bei ihrer Ankunft im Gildehaus begrüßt hatte, die Aufgabe übertragen, dafür zu sorgen, dass Dannyl den richtigen Leuten in der richtigen Reihenfolge vorgestellt wurde. Obwohl er Dannyl dies nicht offen erklärt hatte, hatte er es doch angedeutet.
»Was wollen wir jetzt tun?«, fragte Itoki und blickte zwischen Dannyl und Achati hin und her. »Trinken oder reden? Meine Bäder sind groß genug, um Gäste aufzunehmen, und meine Sklaven sind gut ausgebildet in der Kunst der Massage.«
»Botschafter Dannyl interessiert sich vielleicht für diese alten Karten, die Ihr sammelt«, schlug Achati vor.
Hoffnung blitzte in Dannyl auf. Er hatte alte Karten immer faszinierend gefunden, und es war jederzeit möglich, dass sie für seine Forschungen wichtige Informationen enthielten.
»Ich möchte meinen Gast nicht gern langweilen«, erwiderte Itoki zweifelnd.
»Vergesst nicht, ich habe Euch erzählt, dass Botschafter Dannyl Historiker ist. Ich bin mir sicher, dass er sie sehr interessant finden wird.«
Itoki sah Dannyl hoffnungsvoll an. Dannyl nickte zustimmend. »Es wäre mir ein Vergnügen.«
Der Mann lächelte breit, dann rieb er sich die Hände. »Oh, Ihr werdet beeindruckt sein, davon bin ich überzeugt. Die fortschrittlichsten Karten, die je gezeichnet wurden.« Er erhob sich, und Achati und Dannyl folgten seinem Beispiel. »Ich werde Euch in die Bibliothek bringen.«