Als der Mann Dannyl das Buch abnahm und es zusammen mit dem Stapel Briefe zurück in den Schrank legte, durchzuckte Dannyl ein Stich der Enttäuschung. In den wenigen kurzen Augenblicken, die er Zugang zu der Bibliothek dieses Mannes gehabt hatte, hatte er etwas bestätigt gefunden, das jahrelang an ihm genagt hatte. Wie viel mehr konnte er hier noch lernen?
Aber es war spät, und er durfte seinem Gastgeber nicht allzu sehr zur Last fallen. Und zweifellos würde Ashaki Achati bald nach Hause zurückkehren wollen. Vielleicht kann ich irgendwann einmal hierher zurückkommen. Dann verließ ihn plötzlich der Mut. Aber es wird wohl eine ganze Weile dauern, denn ich muss zuerst alle anderen Sachakaner besuchen, die den neuen Gildebotschafter kennenlernen wollen, sonst könnte man mir vorwerfen, dass ich einen von ihnen bevorzuge. Verflucht sei die Politik dieses Landes!
Er würde sein Bestes tun, um einen weiteren Besuch zu arrangieren. In der Zwischenzeit musste er sich sämtliche Möglichkeiten zunutze machen, die sich ihm boten. Als Ashaki Itoki ihnen voran den Raum verließ, um ihm die Schlachtenkarten zu zeigen, schluckte Dannyl seine Ungeduld herunter und folgte ihm.
Heilerin Nikea erwartete Sonea an der Tür zum Hospital.
»Ich habe einen Raum für uns beschafft, Schwarzmagierin Sonea«, sagte sie lächelnd und drehte sich um, um Sonea den Weg zu weisen. »Er ist klein, aber wir werden uns alle hineinzwängen können.« »Alle?«
Nikea blickte über die Schulter. »Ja. Einige der Heiler, mit denen ich gesprochen habe, hatten interessante Geschichten zu erzählen, und wir waren uns alle einig, dass Ihr sie aus erster Hand hören solltet.«
Sonea bedachte den Rücken der jungen Frau mit einem schiefen Lächeln. Die meiste Zeit ist es eine Erleichterung, mit jemandem zusammen zu sein, der mir nicht mit Furcht oder Argwohn begegnet, aber manchmal hat es auch seine Nachteile. Ich wünschte, Nikea hätte mich in dieser Angelegenheit zuerst gefragt. Ich möchte nicht, dass zu viele Leute erfahren, dass ich mich nach reichen Magiern erkundige, die mit Kriminellen Umgang pflegen.
Der Raum, zu dem die junge Heilerin sie führte, war ein schmaler Lagerraum mit beunruhigend wenigen Vorräten darin. Entlang der Wände waren mehrere Stühle aufgestellt worden. Nikea trat nicht ein, sondern wartete, bis ein anderer Heiler im Flur an ihr vorbeiging, und fragte ihn: »Heiler Gejen, könntet Ihr die Übrigen zusammenrufen?«
Er nickte und eilte davon. Einige Minuten später kehrte er mit fünf weiteren Frauen zurück. Zwei waren Helferinnen, wie Sonea bemerkte. Alle traten in den Raum und setzten sich, dann bedeutete Nikea Sonea, ihnen zu folgen. Schließlich schloss sie die Tür hinter sich.
Eine Lichtkugel mit scharfer Helligkeit leuchtete auf. Alle sahen Sonea erwartungsvoll an, bis auf Nikea.
»Nun denn«, begann Nikea. »Wer möchte als Erster sprechen?«
Nach einer kurzen Pause räusperte sich eine der Helferinnen. Es war Irala, eine stille Frau in mittleren Jahren. Eine tüchtige Frau, wenn auch bisweilen ein wenig kalt zu den Patienten.
»Ich werde sprechen«, erbot sie sich. Ihr Blick wanderte zu Sonea hinüber. »Es wird langsam Zeit, dass die Gilde aufhört, dieses Problem zu ignorieren.«
»Von welchem Problem genau sprecht Ihr?«, fragte Sonea.
»Feuel. Und jenen, die es verkaufen. Es ist überall. In den Häusern heißt es, die Droge habe sich wie eine Seuche von den Hüttenvierteln aus verbreitet, aber hier draußen heißt es, die Häuser verbreiteten sie, um die Armen zu unterdrücken und ihre Zahl zu verringern. Niemand weiß wirklich, woher sie kommt. Ich habe jedoch Gerüchte und Geschichten gehört, die besagen, dass diejenigen, die Feuel verkaufen, reich sind und so mächtig wie die Häuser, dass sie aber mit den Füßen in der Unterwelt verwurzelt seien.«
»Ich habe viele Leute sagen hören, die Diebe benutzten es, um die Stadt zu übernehmen«, fügte Gejen hinzu. »Eine Person erzählte mir, Feuel würde von Fremdländern eingeführt, um uns zu schwächen, bevor sie Kyralia überfallen wollten. Der Betreffende hatte die Elyner in Verdacht.« Die anderen belächelten diese Idee. Offensichtlich glaubte keiner von ihnen daran.
»Hat einer von euch von Novizen oder Magiern gehört, die nach Feuel süchtig sind? Die nicht aufhören können, es zu nehmen?«
Die andere Helferin und eine der Heilerinnen nickten. »Ein… ein Verwandter von mir«, sagte die Helferin, dann zuckte sie entschuldigend die Achseln. »Er hat mich schwören lassen, es niemals jemandem zu erzählen, daher werde ich seinen Namen nicht nennen. Er sagt, ganz gleich, wie lange er widerstehe, das Verlangen gehe nicht weg. Ich erkläre ihm immer wieder, dass er einfach so lange aufhören müsse, bis sein Körper wirklich geheilt ist, aber er tut es nicht.«
Sonea wurde schwer ums Herz. »Wisst Ihr, von wem er das Feuel kauft?«
»Nein, er will es mir nicht sagen, aus Furcht, dass ich seinen Nachschub irgendwie zum Erliegen bringen könnte.« Die Frau runzelte die Stirn. »Und er sagte etwas des Sinnes, dass die Quelle ein Freund sei. Wenn er einen anderen Verkäufer finden müsste, würde der Betreffende vielleicht mehr als Geld verlangen.«
Sonea nickte und sah die anderen an. »Habt Ihr je von Novizen oder Magiern gehört, die sich mit Verbrechern eingelassen haben – seien es Feuelverkäufer oder andere? Ich rede nicht von Besuchen in Freudenhäusern. Ich meine solche Personen, die über Verbrecher oder mit ihnen Geschäfte machen und Magie gegen Geld oder Gefälligkeiten wirken?«
»Ich habe etwas Derartiges gehört«, sagte die andere Heilerin. Sie war in den Dreißigern und hatte eine junge Familie, über die ihr nichtmagischer Ehemann wachte, während sie im Hospital arbeitete – ein praktisches Arrangement, das nur die Heiler nicht bemerkenswert zu finden schienen. »Vor einigen Jahren, vor meiner Heirat mit Torken, hat ein Freund, den ich seit unseren Universitätstagen kannte, sich aus unserer Gesellschaft zurückgezogen – das heißt von uns und meinen anderen Freunden von der Universität. Er bevorzugte einige nichtmagische Freunde in der Stadt, die sich in einem dieser Lusthäuser trafen. Er erzählte uns, er habe kein Interesse an den Dingen, die die Leute dort kauften; es gehe ihm nur um das Arrangement, das er mit den Besitzern hätte. Eine Art von Importarrangement. Er wollte uns nie verraten, worum es sich handelte. Jetzt lebt er nicht einmal mehr in der Gilde. Er ist in ein Haus in der Stadt umgezogen und verbringt seine ganze Zeit damit, seinen neuen Freunden zu helfen.«
»Denkt Ihr, die Geschäfte sind illegal?«
Sie nickte. »Aber ich habe keinen Beweis dafür.«
»Ist er süchtig nach Feuel?«
Die Heilerin schüttelte den Kopf. »Dafür ist er zu klug.«
Sonea runzelte die Stirn. Das waren schlimme Neuigkeiten und etwas, für das Regin sich interessieren würde, aber es bewies nicht, dass Feuel benutzt wurde, um Magier zu kriminellen Taten zu verlocken.
»Nun, es war immer bekannt, dass einige Novizen aus den Häusern mit Dieben zu tun haben«, sagte die andere Frau. Sie war eine dünne Frau namens Sylia und eine mächtige und begabte Heilerin.
»Aber sind das Gerüchte, oder gibt es Beweise?«, fragte Sonea.
»Es gibt niemals Beweise.« Sylia zuckte die Achseln. »Aber junge Novizen haben immer damit geprahlt. Häufig um sich aus Schwierigkeiten mit anderen Novizen herauszuwinden, aber wenn man genug Fragen stellte, stieß man immer auf einige Gerüchte, die einen höheren Wahrheitsgehalt zu haben schienen als andere.«
Die übrigen Frauen nickten. »Es steckt Wahrheit in diesen Gerüchten«, bekräftigte Gejen. »Es ist nur schwierig zu wissen, welches Gerücht ein Körnchen Wahrheit in sich trägt.«
»Nun… denkt Ihr, dass die Regel gegen die Verbindung von Novizen oder Magiern mit Verbrechern oder Personen von schlechtem Ruf überhaupt eine Wirkung auf Novizen höherer Klassen hat?«
Sie tauschten erwartungsvolle Blicke.
»Ja und nein«, antwortete Gejen. »Es besteht kein Zweifel daran, dass die Regel einige daran hindert, das Risiko einzugehen, aber jene, die töricht sind oder deren Familien bereits mit Verbrechen zu tun haben, wird das nicht abhalten.« Die anderen nickten zustimmend, und einige lächelten wissend.