Er notierte sich jeden Hinweis auf Magie sowie die Namen der Besucher im Haus des Magiers. Als er fertig war, legte er das Buch zurück und begann, ein Bündel Briefe zu lesen. Diese waren alt, aber gut erhalten, geschrieben auf kleinen, quadratischen Papieren, die nicht zusammengefaltet worden waren, so dass sie nicht in Stücke brachen. Ein Freund in Imardin hatte die Briefe an den Magier geschickt. Lorkin konnte nicht ermitteln, ob der Freund ein Magier gewesen war oder nicht, da er wusste, dass der Titel »Lord« zu jener Zeit nur von Landbesitzern und ihren Erben benutzt worden war. Der Freund erkundigte sich in den meisten Briefen nach Fortschritten in dem Bemühen, der Sklaverei in Sachaka ein Ende zu machen, was ihm und anderen in Imardin ein ernsthaftes Anliegen war.
Wie es sich anhört, war das eine Angelegenheit von größter Dringlichkeit, überlegte Lorkin. Aber ich nehme an, es war damals noch nicht so lange her, seit Kyralier Sklaven gewesen waren.
Als er mit den Briefen fertig war, untersuchte er die Pergamentrollen, die sich als Rechnungsbücher erwiesen. Andere Mappen enthielten weitere Briefe, diesmal von der Schwester des Magiers. Sie schien sich sehr dafür zu interessieren, wie es den befreiten Sklaven erging, und Lorkin stellte fest, dass ihm die mitfühlenden und auch praktischen Vorschläge der Frau gefielen.
Ich wünschte, ich könnte seine Erwiderungen lesen. Ich würde die Antworten auf die Fragen, die sie nach den Plänen der Gilde für Sachaka stellte, wirklich gern erfahren. Vielleicht würde uns das Hinweise darauf geben, warum die Gilde Sachaka verlassen hat.
Ein Sklave kam mit Essen und Trinken. Lorkin aß schnell, dann machte er sich wieder an die Arbeit. Als er schließlich alles im Schrank gelesen hatte, wurde ihm klar, dass mehrere Stunden vergangen waren. Er betrachtete sein Notizbuch und verspürte eine vage Enttäuschung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas besonders Nützliches gefunden habe, aber vielleicht wird Dannyl ja etwas auffallen, was mir nicht aufgefallen ist.
Als er die Hand ausstreckte, um die Schranktüren zu schließen, wurde ihm bewusst, dass er noch immer das Buch, das er als Stütze für sein Notizbuch benutzt hatte, in Händen hielt. Er schlug es auf und stellte fest, dass es sich um weitere Aufzeichnungen handelte. Es schien dort einzusetzen, wo das vorige geendet hatte, aber nur ein Drittel der Seiten war beschrieben.
Nachdem Lorkin den letzten Eintrag erreicht hatte, begann er zu lesen. Sofort begann seine Haut zu kribbeln. Die Eintragung war kurz und hastig hingekritzelt worden.
Schreckliche Neuigkeiten. Der Lagerstein ist verschwunden. Lord Narvelan ist ebenfalls verschwunden, und viele halten ihn für den Dieb. Der Narr weiß, dass wir den Stein unbedingt für die Kontrolle der Sachakaner benötigen. Ich muss jetzt aufbrechen und mich der Suche nach ihm anschließen.
Die leeren Seiten nach diesem Eintrag waren plötzlich voller Fragen und Möglichkeiten. Warum hatte der Magier seine Aufzeichnungen nicht fortgesetzt? War er gestorben? Hatte er diesen Lord Narvelan zur Rede gestellt und war infolge dieser Begegnung ums Leben gekommen?
Und was hat es mit diesem »Lagerstein« auf sich, der offenbar so wichtig für die Kontrolle der Gilde über Sachaka war? Wurde er wiedergefunden? Wenn nicht, war das der Grund, warum die Gilde die Kontrolle über Sachaka aufgab?
Und wenn der Stein nie wiedergefunden wurde – was war mit ihm geschehen? Gab es einen magischen Gegenstand, dessen Macht so groß war, dass man damit eine Nation – ein gefürchtetes Reich schwarzer Magier – unterwerfen konnte? Lorkin setzte sich wieder auf den Hocker und begann den Eintrag zu kopieren.
Ich habe recht. Es gibt eine Art alter Magie, die helfen könnte, Kyralia zu schützen. Sie ist seit über siebenhundert Jahren verloren, und ich werde sie finden.
Gol hatte bei seinen Nachforschungen gute Arbeit geleistet. Der Laden war auf den Kauf und Wiederverkauf der Besitztümer von Schuldnern und Verzweifelten spezialisiert. Außerdem lag er in einem Stadtteil, in dem man Cery wahrscheinlich nicht erkennen würde. An einer Ecke lehnten papierene Fensterschirme aller Größen und Formen an der Wand. An Ständern hingen Mäntel und Umhänge, und darunter standen zu Paaren angeordnete Schuhe. Alle möglichen Haushaltsgegenstände aus Ton, Glas, Metall und Stein sowie andere Dinge füllten Regale hinter dem Stuhl und dem Tisch des Besitzers. Und in einem schweren, kunstvollen Käfig aus Schmiedeeisen lagen Tabletts mit Schmuck – obwohl es sich bei den meisten Stücken allem Anschein nach um Fälschungen handelte oder Dinge, die einfach schlecht gemacht waren.
Auf weiteren Regalen standen Bücher aller Größen. Einige waren in Papier gebunden, und die Fäden der Bindung lagen bloß und waren ausgefranst. Mehrere waren in Leder gebunden, und auch von denen waren die meisten abgenutzt und brüchig, aber einige glänzten noch immer, als seien sie neu.
»Bücher über Magie?«, fragte der Besitzer des Pfandgeschäfts. Seine Stimme schwoll an, und dann lachte er. »Ich bekomme von Zeit zu Zeit welche herein. Oh, dort werdet Ihr keine finden, junger Mann.«
Cery drehte sich um und stellte fest, dass der Mann ihn ansah. Sein Lächeln geriet für einen Moment ins Schwanken, als er seinen Fehler erkannte.
»Die Gilde nimmt sie Euch ab?«, fragte Cery.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, die Wache kommt ab und zu vorbei, um nachzusehen, aber ich bin kein Narr, dass ich derartige Dinge zur Schau stellen würde. Außerdem gehen die Bücher dafür zu schnell weg.«
»Wie bringt Ihr sie denn in Euren Besitz – wenn Ihr mir die Frage gestattet?«
Der Mann zuckte die Achseln. »Meistens bekomme ich sie von Novizen. Von denjenigen, die hier aus der Gegend stammen. Aus irgendeinem Grund können sie ihren Familien nicht direkt Geld schicken, daher stehlen sie Bücher und verkaufen sie mir, und ich leite das Geld dann weiter.«
»Gegen ein Honorar«, ergänzte Cery.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Oh, ich mache genug Profit beim Verkauf der Bücher. Ich behandle meine Novizen gut, denn wenn ich es nicht täte, gäbe es jede Menge anderer Leute, an die sie sich wenden könnten.« Er runzelte die Stirn. »Natürlich versuchen einige von ihnen, mich dazu zu bewegen, das Geld stattdessen an Feuelverkäufer weiterzuleiten. Das dulde ich nicht. Abscheuliche Leute, diese Feuelverkäufer. Mit denen will ich nichts zu tun haben.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Cery. »Woher wisst Ihr, ob ein Buch echt ist oder eine Fälschung?«
Der Mann straffte sich. »Viele Jahre Erfahrung. Und einige davon habe ich für die Gilde gearbeitet, als ich noch ein junger Mann war.«
»Wirklich? Ihr habt für die Gilde gearbeitet?« Cery beugte sich zu dem Mann vor. »Weshalb hat man Euch hinausgeworfen?«
Der Mann verschränkte die Arme vor der Brust. »Habe ich etwa gesagt, dass ich hinausgeworfen wurde?«
Cery sah den Mann mit hartem Blick an. »Ihr habt eine solche Stellung aufgegeben?«
Der Verkäufer zögerte, dann zuckte er die Achseln. »Es gefiel mir nicht, ständig gesagt zu bekommen, was ich tun soll. Wie meine verstorbene Frau sagte, es ist nichts für jeden. ›Makkin der Aufkäufer‹. ist der Name, der am besten zu mir passt.«
»Kann ich verstehen«, erwiderte Cery. »Ich glaube, ich könnte mich auch nicht damit abfinden. Also… was denkt Ihr, wann Ihr vielleicht einige neue Bücher hereinbekommen werdet und welche Art von Büchern ich kaufen kann?«
Makkins Augen glänzten vor Freude. »In ein paar Tagen. Ich kann versuchen, Euch zu beschaffen, was Ihr wollt, aber es ist nicht immer möglich – oder aber es wird länger dauern. Der Preis hängt von der Schwierigkeit ab, und ich muss Euch warnen, manchmal interessiert sich einer meiner, ähm, einflussreicheren Kunden für mein Geschäft und kauft alles, was ich habe.« Der Mann rieb sich die Hände. »Worauf seid Ihr denn besonders aus?«