Er richtete sich auf und zog die Augenbrauen leicht hoch. »Ich verstehe.«
»Aber ich glaube immer noch, dass die Regel ungerecht gegenüber Novizen und Magiern aus den unteren Klassen ist und dass wir etwas tun müssen, um dieses Problem zu lösen, oder wir werden talentierte und mächtige Novizen verlieren oder sie sogar zur Rebellion verleiten.«
Regin nickte. »Ich gebe Euch in diesem Punkt inzwischen recht. Und aus gänzlich anderen Gründen habe ich das Gefühl, dass wir einen Punkt gewährleisten müssen: Die Magier, die damit beauftragt sind, dafür zu sorgen, dass die Regel befolgt wird, und jene zu bestrafen, die dagegen verstoßen, müssen dies gerecht und ohne Begünstigung tun.«
Lange Sekunden musterten sie einander, dann lächelte Sonea. »Nun, das war einfacher, als ich gedacht hatte.«
Er lachte leise. »Ja. Jetzt kommen wir zu dem schwierigen Teil. Wie sollte die Regel verändert werden, und wie überzeugen wir die Höheren Magier – oder den Rest der Gilde –, so abzustimmen, wie wir es wollen?«
»Hm.« Sonea runzelte die Stirn. »Es wäre vielleicht einfacher, unser Vorgehen zu planen, wenn wir wüssten, wer abstimmen wird.«
Regin legte die Fingerspitzen aneinander. »Die Wahrscheinlichkeit, dass Osen in unserem Sinne entscheidet, wird größer sein, wenn wir beide das Gleiche vorschlagen. Wir müssen getrennt zu ihm gehen und ihn über unsere Wünsche in Kenntnis setzen. Oder Ihr müsst Lord Pendel dazu überreden, es zu tun, da er der Anführer jener ist, die die Abschaffung der Regel erstreben.«
Sonea nickte. »Ich denke, er wird auf mich hören. Aber ich werde ihm gute Gründe nennen müssen, warum er das eine oder das andere vorschlagen sollte.«
»Dann müssen wir die Vor- und Nachteile beider Möglichkeiten ausloten.«
»Angesichts der Entscheidung zwischen einer Abschaffung der Regel, ihrer Beibehaltung oder ihrer Veränderung vermute ich, dass die meisten Höheren Magier dafür stimmen würden, die Dinge so zu belassen, wie sie sind.«
»Wahrscheinlich habt Ihr recht. Wenn wir die ganze Gilde abstimmen lassen, ist der Ausgang vielleicht weniger berechenbar, wird aber höchstwahrscheinlich zu der Suche nach einem Kompromiss führen – und das wird die Veränderung der Regel sein. Der eigentliche Kern der Debatte wird die Frage sein, wie die Regel verändert werden soll.«
»Ja.« Sonea lächelte schief. »Was uns zu der schwierigsten Frage zurückführt: Wie wollen wir die Regel verändern?«
Regin nickte. »Nun, ich habe einige Ideen. Soll ich anfangen?« Sie nickte. »Nur zu.«
Während er begann die Veränderungen zu erklären, die ihm vorschwebten, konnte Sonea nicht umhin, eine widerstrebende Bewunderung für die Umsicht zu empfinden, mit der er an das Problem herangegangen war. Es war offenkundig, dass er nicht erst während der wenigen Wochen darüber nachgedacht hatte, seit das Thema in der Gilde diskutiert wurde. Doch im Gegensatz zu einigen der Frauen und Männer, die sie befragt hatte, waren die Lösungen, die er vorschlug, praktisch und unvoreingenommen. Wo ist der arrogante, mit Vorurteilen behaftete Snob, den ich als Novizen gekannt habe? Versteht er sich heute lediglich besser darauf, diese Dinge zu verbergen?
Oder hatte er sich wirklich verändert? Selbst wenn dem so war, würde es mehr brauchen als einige kluge Lösungen für ein Klassenproblem innerhalb der Gilde, um sie davon zu überzeugen, dass sie ihm trauen konnte. Ganz gleich, was er sagte, sie würde immer darauf warten, dass die grausame Seite, von der sie wusste, dass Regin sie besaß, wieder an die Oberfläche trat.
Nachdem Dannyl für den Abend ausgegangen war und die Sklaven das Essen serviert hatten, war Lorkin in seine Räume zurückgekehrt. Noch gab es nicht viel für ihn zu tun. Abgesehen von dem einen Besuch in Ashaki Itokis Haus hatte er das Gildehaus nicht verlassen. Dannyl konnte von der Arbeit, die er tagsüber erledigte, nur einen kleinen Teil Lorkin überlassen, so dass dieser die Abende damit verbrachte, zu lesen oder die Sklaven zu befragen.
Letzteres erwies sich als schwieriger, als er erwartet hatte. Obwohl die Sklaven seine Fragen immer beantworteten, boten sie ihm nie mehr als die grundlegendsten Tatsachen an. Wenn er sie fragte, ob es noch irgendetwas sonst gebe, das er wissen müsse, wirkten sie verwirrt und ängstlich.
Aber es ist wahrscheinlich unmöglich für sie zu ahnen, was ich wissen muss, dachte er. Und es widerstrebt ihnen, einfach nur zu raten für den Fall, dass sie etwas falsch machen und mich verärgern. Initiative ist wahrscheinlich eine Eigenschaft, zu der man einen Sklaven nicht gerade ermutigt.
Er hatte das Gefühl, dass das dunkeläugige Mädchen, das ihn an ihrem ersten Tag in sein Zimmer geführt hatte – Tyvara –, vielleicht offener wäre, obwohl er sich nicht sicher war, warum er so dachte. Seit jenem ersten Abend hatte sie ihn jedoch nicht wieder bedient. Heute Abend hatte er nichts Wichtiges zu tun, daher bat er die Sklavin, die ihn bediente, sie zu ihm zu bringen.
Sie denken wahrscheinlich alle, dass ich sie in mein Bett nehmen will, überlegte er und dachte an ihr Missverständnis an jenem ersten Abend. Tyvara wird wahrscheinlich das Gleiche vermuten. Ich werde ihr versichern müssen, dass dies nicht meine Absicht ist. Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie ich sie dazu ermutigen kann, frei zu sprechen?
Er schaute sich um, und sein Blick blieb an dem Schrank haften, in dem Wein und Gläser für seine eigene Benutzung oder für eventuelle Gäste bereitstanden. Bevor er den Raum durchqueren konnte, um sie zu holen, sah er eine Bewegung an der Tür. Tyvara kam herein und blieb einige Schritte entfernt stehen, um sich zu Boden zu werfen.
»Steh auf, Tyvara«, sagte er. Sie erhob sich, hielt den Blick jedoch weiterhin zu Boden gerichtet. Ihr Gesicht war ausdruckslos, und er war sich nicht sicher, ob er sich nur einbildete, dass sie ein wenig angespannt wirkte. »Hol mir zwei Gläser und etwas Wein«, befahl er.
Sie gehorchte; ihre Bewegungen waren schnell, aber anmutig. Er setzte sich auf einen der Hocker in der Mitte des Raums und wartete auf sie. Sie stellte die Gläser und eine Flasche auf den Boden, dann kniete sie daneben nieder.
»Öffne die Flasche«, wies er sie an. »Und füll beide Gläser. Eins ist für dich.«
Sie hatte die Hände nach der Flasche ausgestreckt, aber dann zögerte sie. Einen Moment später tat sie wie geheißen. Als beide Gläser gefüllt waren, reichte sie ihm eins davon. Er nahm es entgegen und deutete auf das andere.
»Trink. Ich habe einige Fragen an dich. Nur Fragen«, fügte er hinzu. »Hoffentlich nichts, was dich irgendwie gefährden wird. Wenn ich etwas frage, für dessen Antwort du Schwierigkeiten bekommen wirst, sag mir das einfach.«
Sie betrachtete das Glas, dann ergriff sie es mit offenkundigem Widerstreben. Er nippte an dem Wein. Sie folgte seinem Beispiel, und die Muskeln um ihren Mund verzogen sich zu einer schwachen Grimasse.
»Der Wein schmeckt dir nicht?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf.
»Oh.« Er sah sich um. »Dann trink ihn nicht. Stell ihn beiseite.«
Die Art, wie sie das Glas so weit entfernt von sich wegstellte wie möglich, verriet deutliche Abneigung. Er nahm noch einen Schluck von seinem eigenen Glas und überlegte, was er als Nächstes fragen sollte.
»Sollte… sollte ich mich den Sklaven hier gegenüber auf eine Art benehmen, die ich bisher vermissen lasse… oder falsch anwende?«
Sie schüttelte schnell den Kopf. Zu schnell. Er überdachte die Frage.
»Könnte ich mein Verhalten gegenüber den Sklaven hier irgendwie verbessern? Die Dinge einfacher machen?«
Wieder schüttelte sie den Kopf, aber nicht so schnell wie zuvor.