Bisher hatte noch niemand die simple Veränderung vorgeschlagen, den Ausdruck »und Personen von unzuträglicher Art« aus der Regel herauszunehmen. Sonea holte tief Luft und machte Anstalten, sich zu erheben.
»Ich habe noch etwas zu sagen«, erklärte der Hohe Lord Balkan. Sonea sah ihn an, dann entspannte sie sich. Er stand auf. »Eine kleine Veränderung kann einen großen Unterschied ausmachen. Ich schlage vor, dass wir den Wortlaut der Regel verändern und den Teil über Personen von unzuträglicher Art weglassen, da er unklar ist und zu ungerechter Deutung einlädt.«
Osen nickte. »Danke.« Er wandte sich wieder der Halle zu. »Es besteht wohl Einigkeit darüber, dass wir vier annehmbare Möglichkeiten haben: Wir können die Regel als Ganzes abschaffen, sie so belassen, wie sie ist, den Hinweis auf Personen von unzuträglicher Art streichen oder die Regel dahingehend zuspitzen, dass sie nur die Verstrickung in und Profit durch kriminelle Aktivitäten verbietet. Formt jetzt eure Lichtkugeln und bringt sie in die richtige Position.«
Sonea konzentrierte ein wenig Macht, schuf eine Lichtkugel und sandte sie empor zu der kleinen Wolke anderer Lichtkugeln, so dass sie unter der Decke der Gildehalle schwebte. Hunderte weiterer Lichter gesellten sich dazu. Die Wirkung war sinnbetörend.
»Diejenigen, die für eine Abschaffung der Regel sind, färben ihre Lichter blau«, befahl Osen. »Diejenigen, die für eine Veränderung der Regel sind, machen ihr Licht grün. Wer überhaupt keine Veränderung will, lässt sein Licht rot leuchten.«
Das blendende Weiß verwandelte sich in eine strahlende Mischung von Farben. Sonea blinzelte nach oben. Viele rote Lichter sind nicht dabei. Ein wenig mehr blaue als rote. Aber die grünen Lichter sind eindeutig in der Mehrheit.
»Die Magier, die sich für eine Abschaffung der Regel oder einen Verzicht auf jewede Veränderung ausgesprochen haben, mögen ihre Lichtkugeln bitte entfernen«, rief Osen. Die roten und blauen Lichter erloschen. »Jetzt bewegen bitte alle, die für die Streichung der ›Personen von unzuträglicher Art‹ plädieren, ihr Licht in den vorderen Teil der Halle, und alle, die die Regel so geändert sehen wollen, dass sie lediglich Verstrickung in und Profit durch kriminelle Machenschaften verbietet, lenken ihr Licht bitte in den hinteren Teil der Halle.«
Bälle grünen Lichts schossen in unterschiedliche Richtungen. Es folgte ein langer Augenblick, während Osen zur Decke hinaufschaute. Seine Lippen bewegten sich, während er zählte. Dann wandte er sich den Höheren Magiern zu.
»Wie viele Lichter von jeder Sorte zählt Ihr?«
»Fünfundsiebzig hinten, neunundsechzig vorn«, erwiderte Lord Telano.
Soneas Herz setzte einen Schlag aus. Aber das bedeutet…
Osen nickte. »Meine Zählung stimmt mit der von Lord Telano überein.« Er wandte sich der Halle zu. »Die Abstimmung ist beendet. Wir werden die Regel verändern. Sie wird fortan Magiern verbieten, sich an kriminellen Aktivitäten zu beteiligen oder davon zu profitieren.«
Sonea, die zu den Lichtkugeln hinaufblickte, beobachtete, wie sie erloschen, bis nur noch eine übrig war. Ihre. Sie löschte sie ebenfalls, dann sah sie zu Regin hinab. Seine Miene spiegelte wider, was sie selbst empfand. Überraschung. Erstaunen. Sie haben eine Möglichkeit gewählt, die im letzten Moment eingeführt wurde und die die Regel vollkommen verändert hat. Die sie schwächt und ihre Wirksamkeit enger eingrenzt. Magier und Novizen können nicht länger für Besuche in Lusthäusern bestraft werden, weil es ihnen nicht länger verboten ist, Umgang mit Verbrechern zu pflegen. Aber zumindest dürfen sie sich nicht zu kriminellen Taten verleiten lassen, und das zu verhindern war der ursprüngliche Sinn der alten Regel.
Regin sah zu ihr auf und zog leicht die Augenbrauen hoch. Sie hob die Schultern ein wenig und ließ sie wieder sinken. Er schaute weg, und sie folgte seinem Blick zu Pendel hinüber. Der junge Mann lächelte und winkte seinen Anhängern zu.
Er hat ein besseres Ergebnis erzielt, als er sich erhofft hatte. Aber Regin wirkt jetzt besorgt, dachte Sonea. Oje. Ich kann nicht glauben, dass ich es tatsächlich kaum erwarten kann, mich abermals mit ihm zu treffen und zu hören, was er davon hält.
Aber sie hätte auch nie gedacht, dass sie sich jemals mit ihm beraten und mit ihm Pläne schmieden würde. Ich schätze, das ist der Preis, den man bezahlt, wenn man sich in die Politik der Gilde hineinziehen lässt. Plötzlich muss man zu alten Feinden höflich sein. Nun, glücklicherweise ist jetzt alles entschieden. Ich brauche nicht noch einmal mit Regin zu sprechen.
Sie schaute noch einmal zu ihm hinab. Er wirkte definitiv besorgt. Sie seufzte.
Ich schätze, es wird nichts schaden, noch einmal mit ihm zu reden.
15
Nächtliche Besucher
Die Wände des Raums waren rund wie das Innere einer Kugel. Wie die Kuppel in der Gilde, dachte Lorkin. Sind wir bereits zu Hause?
Ein großer Stein lag auf dem Boden, an der tiefsten Stelle. Er hatte ungefähr die Größe eines kleinen, zusammengerollten Kindes, aber als Lorkin die Hand danach ausstreckte, stellte er fest, dass der Stein klein genug war, um auf seine Handfläche zu passen. Als er die Finger um den Stein legte, schrumpfte er schnell und verschwand dann.
Oh nein! Ich habe den Lagerstein gefunden, aber ich habe ihn wieder verloren. Ich habe ihn zerstört. Wenn die Sachakaner das herausfinden, werden sie erzürnt werden! Sie werden mich und Dannyl töten!
Doch das Gefühl der Furcht verblasste schnell. Stattdessen fühlte er sich gut. Nein, er fühlte sich sehr gut. Als würden die Laken auf seinem Bett über seine Haut gleiten und ziemlich persönliche Stellen seines Körpers berühren…
Plötzlich war er hellwach.
Da war noch jemand, ganz nah. Der sich über ihn beugte. Glatte Haut strich über seine. Ein angenehmer Duft drang an seine Nase. Das Geräusch von Atem liebkoste sein Ohr.
Er konnte nichts sehen. Es war vollkommen dunkel im Raum. Tyvara!
Er konnte spüren, dass sie nackt war. Und jetzt machte sie es sich auf ihm bequem. Er hätte entsetzt sein sollen – hätte sie wegstoßen sollen –, doch stattdessen durchflutete ihn eine Woge des Interesses. Sie wählte diesen Augenblick, um seine Erregung auszunutzen, und er keuchte angesichts der unerwarteten Wonne, die ihr Körper und ihre nunmehr innige Verbindung ihnen verschafften. Verräter, tadelte er seinen Körper. Ich sollte sie aufhalten. Aber er tat es nicht. Es ist nicht so, als wäre sie nicht willig, kam ihm ein anderer Gedanke.
Er dachte kurz an die Zeit, die sie im Gespräch verbracht hatten, und dass er unter der erzwungenen Unterwürfigkeit eine kluge, starke Frau gesehen hatte, die er zu mögen gelernt hatte. Du magst sie, versicherte er sich. Das bedeutet, dass es in Ordnung ist, nicht wahr? Aber es fiel ihm immer schwerer zu denken. Seine Gedanken lösten sich wieder und wieder unter Wellen puren körperlichen Vergnügens auf.
Ihre Atmung und ihre Bewegungen begannen sich zu beschleunigen, und das Gefühl wurde intensiver. Er hörte auf zu versuchen, an irgendetwas zu denken, und gab nach. Dann versteifte sich ihr Körper; sie zuckte und bäumte sich über ihm auf. Er lächelte. Nun, das beweist, dass sie es ebenfalls genießt. Dann stieß sie einen gedämpften Schrei aus.
Gedämpft?
Plötzlich drang grelles Licht an seine Augen. Er blinzelte, während seine Augen sich an das Licht gewöhnten, dann wurden ihm zwei Dinge klar.
Eine Hand bedeckte Tyvaras Mund.
Und es war nicht Tyvara.
Eine andere Frau ragte über ihm und der Fremden auf, und ihn durchzuckte jähes Begreifen, als er sie erkannte. Dies war Tyvara.