Aber ihr Gesicht war zu einer grimmigen Maske verzerrt. Sie mühte sich, die Fremde festzuhalten, die immer noch gedämpfte Laute von sich gab. Etwas Warmes und Nasses tropfte ihm auf die Brust. Er blickte hinab. Es war rot, und ein Rinnsal davon lief die Seite der Fremden hinunter.
Blut!
Er fror plötzlich, dann gab ihm das Entsetzen neue Kraft, und er stieß die Fremde und Tyvara von sich und kroch von den beiden weg. Durch den Stoß hatte Tyvara die Hand vom Mund der Fremden genommen und wäre beinahe vom Fußende des Bettes gefallen. Als die Fremde sich auf die Seite rollte, starrte sie Tyvara wild in die Augen.
»Du! Aber… er muss sterben. Du…« Blut sickerte aus ihrem Mund. Sie hustete. Ihre Miene verzerrte sich vor Hass, während sie gleichzeitig an Kraft zu verlieren schien. »Du bist eine Verräterin an deinem Volk«, zischte sie.
»Ich habe dir gesagt, dass ich dir nicht erlauben würde, ihn zu töten. Du hättest meine Warnung ernst nehmen und verschwinden sollen.«
Die Frau öffnete den Mund zu einer Antwort, dann erstarrte sie, als ein Krampf ihre Muskeln erfasste. Tyvara packte den Arm der Frau.
Sie stirbt, durchzuckte es Lorkin. Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber ich kann sie nicht einfach sterben lassen. Er sandte seine Magie aus, umfasste Tyvara damit, um sie wegzustoßen, sprang aufs Bett und griff nach der sterbenden Frau.
Und spürte, dass ihm selbst und seiner Magie mühelos eine andere Kraft entgegengesetzt wurde. Sie zerschmetterte seine magischen Bande und rollte ihn vom Bett, so dass er hart auf dem Boden aufschlug. Benommen lag er da. Sie hat Magie. Tyvara hat Magie. Sie ist nicht, was sie zu sein vorgibt. Und… autsch!
»Es tut mir leid, Lord Lorkin.«
Als er aufblickte, sah er, dass Tyvara über ihm stand. Wie stark ist sie? Er musterte sie zweifelnd. Ist sie eine sachakanische Schwarzmagierin? Aber sie lehren Frauen keine Magie. Nun, ich nehme an, sie würden es vielleicht tun, wenn sie einen Spion brauchten…
»Diese Frau stand im Begriff, Euch zu töten«, erklärte sie ihm.
Er starrte sie an. »Da habe ich aber einen anderen Eindruck gewonnen.«
Sie lächelte, doch es lag keine Freude in diesem Lächeln. »Doch, sie wollte Euch töten. Sie ist hierhergeschickt worden, um es zu tun. Ihr habt Glück, dass ich rechtzeitig gekommen bin, um sie daran zu hindern.«
Sie ist wahnsinnig, dachte er. Aber sie war auch eine Magierin, und er hatte keine Ahnung, wie groß ihre Macht war. In jedem Fall wäre es sicherer, mit ihr zu reden, anstatt zu versuchen, um Hilfe zu rufen. Und wenn er mit ihr reden wollte, würde es überzeugender sein, wenn er nicht unbekleidet auf dem Boden hockte.
Langsam stand er auf. Sie machte keine Anstalten, ihn daran zu hindern. Er sah, dass die Frau, die sie erstochen hatte, zur Decke emporstarrte. Oder darüber hinaus. Und sie sieht absolut nichts – und wird nie wieder etwas sehen. Er schauderte.
Dann wich er rückwärts zu den an der Wand hängenden Roben zurück, die die Sklaven für ihn gereinigt und bereitgelegt hatten, und ergriff die Hose. Auf seiner Brust waren Blutflecken. Er wischte das Blut mit einem Tuch ab, das die Sklaven jeden Abend in seinem Zimmer ließen, zusammen mit einer Schale Wasser, damit er sich am Morgen waschen konnte.
»Ich entnehme Eurer Skepsis, dass Ihr den ›Liebestod‹ nicht kennt«, sagte Tyvara. »Es ist eine Form höherer Magie. Wenn ein Mann oder eine Frau während der Liebe den Gipfel der Lust erreicht, versagt sein oder ihr natürlicher körpereigener Schutz gegen das Eindringen fremder Magie, und der Betreffende ist so verletzbar, dass man ihm alle Macht – und sein Leben nehmen kann. Sachakanische Männer wissen um den ›Liebestod‹ und sind davor auf der Hut, aber sie wissen nicht, wie er praktiziert wird. Früher wussten sie es anscheinend, verloren das Wissen jedoch, als sie aufhörten, Frauen in Magie zu unterweisen.«
»Du bist eine Frau«, bemerkte Lorkin, während er seine Hose anzog. »Wie kommt es also, dass du Magie beherrschst?«
Sie lächelte. »Männer haben aufgehört, Frauen in der Magie zu unterweisen. Die Frauen jedoch haben nicht damit aufgehört.«
»Weißt du ebenfalls, wie man diesen ›Liebestod‹ wirkt?« Sein Notizbuch und der Blutring seiner Mutter lagen auf dem Tisch. Er hob den Ring auf, während er nach der Robe an der Wand griff, und hoffte, dass sie nur letztere Bewegung wahrnehmen würde. Als er die Robe überstreifte, hielt er den Ring fest in der Hand. Dann griff er nach seinem Notizbuch, schob es in die Innentasche und ließ gleichzeitig den Ring hineinfallen.
»Ja. Obwohl es nicht meine bevorzugte Methode des Auftragsmordes ist.« Sie sah die Fremde an. Lorkin, der ihrem Blick folgte, betrachtete den Leichnam. Wenn Tyvara eine Methode höherer Magie kennt, besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie noch andere kennt. Und dass sie viel, viel stärker ist als ich.
»Was bist du wirklich? Du bist offensichtlich keine echte Sklavin.«
»Ich bin eine Spionin. Ich wurde hierhergeschickt, um Euch zu beschützen.« »Von wem?«
»Das kann ich Euch nicht sagen.«
»Aber wer immer es ist, er oder sie will, dass ich am Leben bleibe?« »Ja.«
Er blickte zu der toten Frau hinüber. »Du… äh, Ihr habt sie getötet, um mich zu retten.«
»Ja. Wenn ich sie nicht hier bei Euch gefunden hätte, wärt Ihr die Leiche gewesen, nicht sie.« Sie seufzte. »Ich entschuldige mich. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich dachte, Ihr wärt in Sicherheit. Schließlich habt Ihr mir erklärt, dass Ihr nicht die Absicht hättet, irgendwelche Sklavinnen in Euer Bett zu nehmen. Ich hätte Euch nicht glauben sollen.«
Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. »Es war auch nicht meine Absicht.«
»Ihr habt nicht gerade versucht, sie aufzuhalten.«
»Es war dunkel. Ich dachte, sie sei…« Er riss sich zusammen. Tyvara war nicht die Person, für die er sie gehalten hatte. Sie war eine Schwarzmagierin, wahrscheinlich eine Spionin, und sie hatte zugegeben, bevorzugte Methoden des Auftragsmordes zu haben. Es war vielleicht keine gute Idee, sie denken zu lassen, dass er Gefallen an ihr gefunden hatte. Und ich bin mir nicht sicher, ob mir die Person, die sie wirklich ist, tatsächlich gefällt.
Ihre Augen waren dunkler denn je. Dann wurden sie schmal. »Ihr dachtet, sie sei was?«
Er sah weg, dann zwang er sich, ihrem Blick zu begegnen. »Jemand anderer. Ich war nicht richtig wach. Ich dachte, ich würde träumen.«
»Ihr müsst interessante und angenehme Träume haben«, bemerkte sie. »Und jetzt nehmt Eure Sachen.«
»Sachen?«
»Was immer Ihr nicht zurücklassen wollt.« »Ich gehe fort?«
»Ja.« Wieder schaute sie zu der toten Frau hinüber.
»Wenn die Leute, die sie geschickt haben, begreifen, dass es ihr nicht gelungen ist, Euch zu töten, werden sie jemand anderen herschicken, der die Aufgabe erledigt. Und sie werden gleichzeitig jemanden ausschicken, der mich tötet. Es ist für keinen von uns sicher hier, und ich brauche Euch lebendig.«
»Und D… Botschafter Dannyl?«
Sie lächelte. »Er ist kein Ziel.«
»Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?«
»Weil er nicht der Sohn des Mannes ist, der ihnen in die Quere gekommen ist.«
Er erstarrte vor Überraschung. Hatte Mutter recht? Sie war sich so sicher, dass jemand wegen meiner Eltern einen Groll gegen mich hegen würde.
Sie machte einen Schritt auf die Tür zu. »Beeilt Euch. Wir haben nicht viel Zeit.«
Er bewegte sich nicht. Glaube ich ihr? Habe ich eine Wahl? Sie versteht sich auf schwarze Magie. Sie kann mich wahrscheinlich dazu zwingen, sie zu begleiten. Und wenn sie mich tot sehen will, warum sollte sie mir dann das Leben retten? Es sei denn, es war eine Lüge, und sie hat soeben eine unschuldige Sklavin getötet, um mich davon zu überzeugen …um mich von irgendetwas zu überzeugen.