Dies war der schwierigste Teil der Reise. Die Öffnungen bildeten das untere Ende von Schächten oder Kaminen, die bis zum Dach des Gebäudes darüber führten. Durch diese Schächte floss ständig frische Luft herunter. Cery hatte zwei Lieblingstheorien: Entweder handelte es sich um ein Belüftungssystem, um zu verhindern, dass die Luft in der Kanalisation allzu giftig wurde, oder es waren Abfallrohre, die so angelegt waren, dass der Geruch der Kanalisation nicht in ihnen aufsteigen konnte.
Die Schächte waren eng, aber glücklicherweise trocken. Er kletterte langsam hinauf, wobei er sich Zeit ließ und häufig Pausen einlegte. Eines Tages werde ich zu alt dafür sein. Dann werde ich vorn durch die Tore gehen müssen. Oder Sonea wird zu mir kommen müssen.
Endlich erreichte er die Wand hinter ihren Räumen. Er hatte vor langer Zeit einen Teil des Mauerwerks entfernt und die Holzvertäfelung dahinter bloßgelegt. Jetzt legte er ein Auge an das Guckloch, das er in das Holz gebohrt hatte.
Der Raum dahinter war dunkel und leer. Aber das war die gewohnte Situation zu dieser Zeit der Nacht. Vorsichtig und leise legte er die Hände auf die Griffe, die er an die hintere Seite der Vertäfelung angebracht hatte, hob sie hoch und drehte.
Die Vertäfelung quietschte ein wenig, als sie sich löste. Ich sollte heim nächsten Mal etwas Wachs mitbringen, um das zu beheben, dachte er. Er trat durch die Öffnung, dann schob er die Vertäfelung wieder an ihren Platz.
Es erfüllte ihn mit einigem Stolz und Befriedigung, dass Sonea ihn nie auf diese Weise hatte hereinkommen sehen. Sie bestand darauf, nicht zu erfahren, wie er in ihre Räume gelangte oder sie wieder verließ. Je weniger sie wusste, desto besser war es für sie beide. Es war nicht lebensgefährlich hierherzukommen, aber die Konsequenzen für Sonea würden nicht gut sein, sollten seine Besuche entdeckt werden, und dieses Wissen dämpfte seine schelmische Freude darüber, ihr Quartier unbemerkt erreichen zu können.
Er machte bewusst einige Geräusche, polterte gegen Möbelstücke und trat auf ein Dielenbrett, von dem er wusste, dass es knarrte, dann wartete er ab. Aber sie kam nicht aus dem Schlafzimmer. Also bewegte er sich auf die Tür zu und öffnete sie einen Spaltbreit. Das Bett war gemacht und unbenutzt. Der Raum war leer.
Enttäuschung ließ die verbliebene Erregung über seine Wanderung durch die Tunnel erlöschen. Er setzte sich. Er hatte sie bisher stets angetroffen. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass sie nicht hier sein könnte. Was mache ich jetzt? Auf sie warten?
Aber wenn sie nicht allein, sondern in Begleitung zurückkehrte, könnte es ein wenig unangenehm werden. Er würde keine Zeit haben, in den Schacht zu entkommen. Und der Schacht war ein zu unbequemer Ort, um dort zu warten und nach ihr Ausschau zu halten.
Leise fluchend stand er wieder auf und untersuchte sorgfältig den Inhalt ihrer Möbelstücke. Schließlich fand er Papier und einen Stift. Er riss eine kleine Ecke von einem Blatt ab, zeichnete ein winziges Bild eines Ceryni, des Nagetiers, das sein Namensvetter war, und schob es unter der Tür zu ihrem Schlafzimmer hindurch.
Dann kehrte er zu der Vertäfelung zurück und machte sich auf den langen Heimweg.
Der Sklave, der Dannyl an der Tür des Gildehauses begrüßte, hatte es besonders eilig, sich zu erniedrigen. Zu viele aufregende Entdeckungen beschäftigten Dannyl jedoch, und er nahm nicht wahr, was der Mann sagte. Auf dem Rückweg vom Palast hatte er in seinem Notizbuch so viel wie möglich von dem, was der König ihm über sachakanische Geschichte erzählt hatte, niedergeschrieben, aber noch während er den Flur entlangging, fiel ihm etwas ein, das er vergessen hatte.
Ich muss mich hinsetzen und all das zu Papier bringen. Es wird eine lange Nacht werden, vermute ich. Ich frage mich, ob Achati morgen für mich einen stillen Abend arrangieren könnte… Was ist das?
Im Hauptraum bedeckte ein Meer von Sklaven den Boden. Der Türsklave hatte sich neben sie gelegt. Es war ein so unwirklicher Anblick, dass er für einen Moment nicht sprechen konnte.
»Erhebt euch«, befahl er.
Wie aufs Stichwort erhob sich die Gruppe langsam auf die Füße. Er sah Männer und Frauen, die er nicht erkannte: einige in der robusten Kleidung für die Arbeit im Freien, andere mit Lederschürzen mit Essensflecken darauf.
»Warum seid ihr alle hier?«, fragte er.
Die Sklaven tauschten Blicke, dann schauten sie zu dem Türsklaven hinüber. Der Mann beugte sich vor, als hätten ihre Blicke Gewicht.
»L-Lord Lorkin ist… ist… ist…«
Dannyls Herz setzte einen Schlag aus, dann begann es zu rasen. Nur etwas Schreckliches konnte dieses Maß an Unterwürfigkeit rechtfertigen.
»Er ist was? Tot?«
Der Mann schüttelte den Kopf, und eine Welle der Erleichterung schlug über Dannyl zusammen. »Was dann?« »W-weg.«
Der Mann warf sich abermals zu Boden, und der Rest der Sklaven folgte seinem Beispiel. Verärgert holte Dannyl tief Luft und zwang sich, gelassen zu bleiben.
»Wohin weg?«
»Das wissen wir nicht«, antwortete der Türsklave mit erstickter Stimme. »Aber… er hat… in seinem Zimmer… gelassen.«
Er hat etwas in seinem Zimmer zurückgelassen. Höchstwahrscheinlich einen Brief, in dem er erklärt, warum er fortgegangen ist. Und aus irgendeinem Grund denken die Sklaven, dass ich wütend sein werde. Hat Lorkin es sich in den Kopf gesetzt, nach Hause zu reisen?
»Steht auf«, befahl er. »Ihr alle. Kehrt an eure Arbeit zurück. Nein. Wartet.« Die Sklaven hatten begonnen, sich hochzurappeln. Möglicherweise werde ich sie befragen müssen. »Bleibt hier. Du«, er zeigte auf den Türsklaven, »du kommst mit mir.«
Das braune Gesicht des Mannes nahm eine teigige Farbe an. Stumm folgt er Dannyl durch das Gildehaus zu Lorkins Gemächern. Überall im Hauptraum waren Lampen entzündet worden, und im Schlafzimmer brannte ebenfalls noch eine.
»Lord Lorkin?«, rief Dannyl, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Wenn Lorkin ihnen gesagt hatte, dass er fortgehe, würde er wohl kaum hier sein. Trotzdem ging Dannyl zum Schlafzimmer hinüber und schaute hinein.
Bei dem Anblick, der sich ihm bot, gefror ihm das Blut zu Eis.
Eine nackte Sachakanerin lag dort, so verrenkt, dass ihr Gesicht der Decke zugewandt war, ihr Rücken jedoch zu ihm zeigte. Ihre Augen waren starr. Die Laken um sie herum waren voller dunkelroter Flecken. An manchen Stellen glänzten sie noch feucht. Er konnte das Messer sehen, das in ihrem Rücken steckte.
Einen Moment später fuhr Dannyl herum und bedachte den Türsklaven mit einem strengen Blick. »Wie ist das geschehen?«
Der Mann wand sich. »Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Wir haben Geräusche gehört. Stimmen. Nachdem sie verstummt waren, sind wir hergekommen, um nachzusehen.« Sein Blick wanderte zu der Leiche, dann sah er schnell wieder weg.
Hat Lorkin das getan?, hätte Dannyl gern gefragt. Aber wenn der Mann sagt, er wisse nicht, was geschehen ist, wird er auch nicht wissen, ob Lorkin dafür verantwortlich ist.
»Wer ist sie?«, fragte Dannyl stattdessen.
»Riva.«
»Ist sie eine der Sklavinnen dieses Hauses?« »J-ja.«
»Ist sonst noch jemand verschwunden?«
Der Mann runzelte die Stirn, dann weiteten sich seine Augen. »Tyvara.«
»Noch eine Sklavin?«
»Ja. Wie Riva. Eine Dienstsklavin.«
Dannyl betrachtete noch einmal die Tote. Hatte diese Tyvara irgendwie mit dem Mord zu tun? Oder hatte sie das gleiche Schicksal erlitten?
»Waren Riva und Tyvara… miteinander befreundet?«, fragte Dannyl. »Hat irgendjemand sie miteinander sprechen sehen?«
»I-ich weiß nicht.« Der Mann blickte zu Boden. »Ich werde fragen.«