»Nein«, erwiderte Dannyl. »Bring die Sklaven zu mir. Sie sollen sich draußen im Flur in einer Reihe aufstellen, und sag ihnen, dass sie nicht miteinander sprechen sollen.« Der Mann eilte davon. Ich nehme an, sie hatten bereits Zeit, ihre Aussagen aufeinander abzustimmen und sich gute Alibis oder Entschuldigungen auszudenken. Aber sie werden ihre Geschichte nicht abändern können.
Er würde unverzüglich eine Nachricht an Ashaki Achati schicken müssen. Die Sklaven gehörten dem König. Dannyl war sich nicht sicher, ob die Ermordung eines dieser Sklaven ein großes Problem darstellen würde. Aber Lorkins Verschwinden war ein Problem. Vor allem wenn man ihn gegen seinen Willen aus dem Gildehaus weggebracht hatte. Vor allem wenn er die Sklavin ermordet hatte.
Achati wird zweifellos alle Sklaven selbst befragen. Er wird wahrscheinlich ihre Gedanken lesen. Es ist möglich, dass er Informationen, die er vor mir geheim halten will, verbergen wird. Also muss ich so viel wie möglich in Erfahrung bringen, bevor Achati eintrifft.
Er richtete sich auf, als ihn ein kalter Schauer überlief.
Ist es ein Zufall, dass ich in der Nacht in den Palast eingeladen werde, in der eine der Sklavinnen des Königs hier ermordet wird?
Hatte Lorkin die Sklavin getötet? Gewiss nicht. Aber es sah eindeutig so aus. War es Selbstverteidigung gewesen? Ich sollte auch nach Beweisen für das eine oder das andere suchen, bevor die Männer des Königs erscheinen. Dannyl ging weiter in den Raum hinein und starrte die Leiche an. Abgesehen von der Messerwunde sah er auf ihrem Arm eine Linie roten, geperlten Blutes entlang eines flachen Schnitts. Interessant. Das sieht aus wie ein Beweis für schwarze Magie. Er zwang sich, den Schenkel der Frau zu berühren und mit seinen Sinnen zu suchen. Und tatsächlich, jemand hatte die Energie aus dem Körper gesogen. Es war schwarze Magie benutzt worden. Seine Erleichterung war überwältigend. Es kann nicht Lorkin gewesen sein.
Warum war Lorkin dann verschwunden? War er ein Gefangener eines sachakanischen Schwarzmagiers? Plötzlich wurde Dannyl übel.
Wenn Sonea das herausfindet… Aber würde sie es erfahren müssen? Wenn es ihm gelang, Lorkin schnell aufzuspüren, würde es keine schlechten Nachrichten zu überbringen geben.
Er musste Lorkin finden, und zwar schnell. Geräusche aus dem Flur verrieten ihm, dass die Sklaven zu der Befragung eingetroffen waren. Er seufzte. Es würde eine lange Nacht werden. Aber nicht aus den Gründen, die er vorgezogen hätte.
Zweiter Teil
16
Der Jäger
Während Sonea die besudelten Verbände mit Magie in der Luft hielt, sandte sie einen Hitzeblitz in den Stoff. Die Verbände gingen in Flammen auf und zerfielen schnell zu Asche. Der Geruch von verbranntem Tuch, vermischt mit einem widerwärtigen Gestank nach gekochtem Fleisch, lag in der Luft. Sonea ließ die Asche in einen Eimer fallen, der eigens zu diesem Zweck im Raum stand, dann erhitzte sie mit Magie ein wenig Duftöl in einer Schale, bis dessen würziger Geruch die anderen, weniger angenehmen überlagerte. Nachdem sie hinter dem letzten Patienten sauber gemacht hatte, ließ sie die Tür zum Untersuchungsraum aufspringen.
Der Mann, der hereinkam, war in mittleren Jahren, vertraut und eher klein. Ihr Herz machte einen Satz, als sie ihn erkannte.
»Cery!«, flüsterte sie. Sie sah sich hastig im Raum um, obwohl sie wusste, dass niemand außer ihr da war. »Was tust du hier?«
Er zuckte die Achseln und setzte sich auf einen der Stühle für Patienten und ihre Familien. »Ich habe es in deinen Räumen in der Gilde versucht, aber du warst nicht da.«
»Du hättest morgen Nacht zurückkommen können«, sagte sie. Wenn er erkannt wurde und jemand der Gilde seinen Besuch meldete, würden alle wissen, dass sie Verbindung zu einem Dieb hatte. Obwohl das jetzt nicht länger gegen irgendwelche Regeln verstößt. Aber man würde es als verdächtig ansehen, so kurz nachdem sie auf die Veränderung der Regel gedrängt hatte. Wenn es so aussah, als benutzte sie das Hospital, um sich mit Dieben zu treffen, konnte das alles gefährden, was sie hier erreicht hatte.
Ironischerweise war die Gefahr, dass er erkannt wurde, im Hospital größer als in der Gilde. Sonea bezweifelte, dass irgendjemand außer Rothen sich nach all den Jahren noch an Cery erinnern würde. Aber bei den Patienten im Hospital war es eher wahrscheinlich, dass sie wussten, wie Cery aussah, und sie könnten einem Helfer oder einem Heiler erzählen, mit wem sie sich traf.
»Es ist zu wichtig, um zu warten«, erklärte Cery.
Sie blickte ihm direkt in die Augen. Seine ernste Miene ließ ihn so anders aussehen als den Straßenjungen, mit dem sie als Kind so viel Zeit verbracht hatte. Er wirkte ausgezehrt und traurig, und ein frischer Stich des Mitgefühls durchzuckte sie. Er trauerte weiter um seine Familie. Sie holte tief Luft und stieß den Atem langsam wieder aus.
»Wie kommst du zurecht?«
Er hob die Schultern. »Recht gut. Ich beschäftigte mich mit der Suche nach einem wilden Magier in der Stadt.«
Sie blinzelte, dann konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ein wilder Magier, hm?«
»Ja.«
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Sprich weiter. Fang am Anfang an.«
Er lächelte. »Nun, begonnen hat alles, als mein Schlossmacher behauptete, die Schlösser zu meinem Versteck seien mit Magie geöffnet worden.«
Während er weitersprach, beobachtete sie ihn genau. Bei der Erwähnung seiner Familie zuckte er zusammen, als litte er Schmerzen. Die Trauer war noch frisch. Aber wann immer er von dem Jäger der Diebe sprach, glänzten seine Augen, und sein Kinn verhärtete sich. Diese Suche ist ebenso sehr eine Möglichkeit, sich von dem Verlust abzulenken, wie sie der Rache gilt.
Schließlich erzählte er ihr triumphierend, dass er die fremdländische Frau beobachtet habe, wie sie Magie benutzte, um den Tresor zu öffnen.
»Eine Frau«, wiederholte er. »Mit dunkler Haut wie ein Lonmar und glattem, schwarzem Haar. Aufgrund ihrer Stimme würde ich sagen, dass sie alt war, aber sie bewegte sich nicht wie ein alter Mensch. Und ihr Akzent war fremdländisch, aber keiner, den ich schon einmal gehört habe. Ich würde wetten, dass sie nicht aus einem der Verbündeten Länder kommt.«
»Sachakanerin?«
»Nein. Eine Sachakanerin hätte ich erkannt.«
In der Gilde gab es niemanden, auf den diese Beschreibung passte. Cery könnte sich geirrt haben, und die Frau war eine Lonmar, aber die Lonmar schickten keine Frauen in die Gilde. Obwohl das der Grund sein könnte, warum die Frau der Gilde nicht beigetreten ist. Wenn sie ein Naturtalent war und ihre Macht sich spontan entwickelt hatte, hätten die Lonmar sie lehren müssen, wie sie ihre Macht kontrollieren konnte. Aber danach… Wir sind uns nicht sicher, was die Lonmar tun. Wir nehmen an, dass sie den Frauen einfach verbieten, Magie zu benutzen, aber es ist möglich, dass sie ihre Kräfte blockieren. Diese wilde Magierin könnte weggelaufen sein, um einem solchen Schicksal zu entgehen.
Aber warum sollte sie nach Imardin kommen? Gewiss wusste sie, dass die Bedingungen des Bündnisses die Gilde zwangen, Lonmars Gesetze in Bezug auf weibliche Magier zu respektieren. Wenn sie sie fanden, würden sie sie nach Hause zurückschicken müssen.
Cery hat die Antwort darauf erraten: Bücher. Wenn sie weggelaufen ist, um frei zu sein, Magie zu erlernen und zu benutzen, dann war Imardin der Ort, an dem für sie die größte Wahrscheinlichkeit bestand, an magische Informationen heranzukommen. Aber Bücher über Magie können nicht billig sein. Stiehlt sie sie oder das Geld dafür den Dieben, die sie tötet, oder verdingt sie sich als Mörderin von Dieben?
Oder es war keins von beidem. Cery hatte gesagt, dass das Schloss zu seinem Versteck mit Magie geöffnet worden sei, nicht dass seine Familie damit getötet wurde. Sie runzelte die Stirn. »Wie kannst du dir sicher sein, dass diese Frau und der Jäger der Diebe ein und dieselbe Person sind?«