»Ihr habt recht«, sagte Achati, während er mit einer Grimasse des Abscheus die Hand zurückzog. »Aber das bedeutet, dass, wer immer sie getötet hat, in schwarzer Magie unterwiesen wurde.«
»Eine der anderen Sklavinnen, eine Frau namens Tyvara, ist ebenfalls verschwunden. Ich habe die meisten Sklaven hier befragt, und sie steht als die wahrscheinlichste Schuldige da.«
Statt Überraschung auszudrücken, wie Dannyl es erwartete, wirkte Achati besorgt. »Ihr habt ihre Gedanken gelesen?«
»Nein. Gildemagiern ist es nicht gestattet, ohne Erlaubnis die Gedanken anderer zu lesen.«
Achati zog die Augenbrauen hoch. »Woher wollt Ihr dann wissen, ob sie Euch die Wahrheit gesagt haben?«
»Die Sklaven haben damit gerechnet, dass ich ihre Gedanken lesen würde. Sie würden sich keine falsche Geschichte ausgedacht oder Antworten zurechtgelegt haben, bevor ich begann, sie zu befragen. Ich hatte dafür gesorgt, dass sie schweigend im Flur warten mussten, damit sie das nicht nachholen konnten, sobald ihnen klar wurde, dass ich ihre Gedanken nicht lesen würde.«
Der Sachakaner wirkte fasziniert. »Aber was könnt Ihr durch eine Befragung der Sklaven herausfinden, das Ihr nicht herausfinden würdet, indem Ihr ihre Gedanken lest?«
»Vielleicht gar nichts.« Dannyl zog sein Notizbuch hervor und lächelte. »Aber es hat möglicherweise Vorteile. Das werden wir erst wissen, wenn wir unsere Methoden vergleichen.«
Achati wirkte erheitert. »Soll ich jetzt ihre Gedanken lesen, um festzustellen, welche Methode die bessere ist, oder wollt Ihr mir erzählen, was Ihr herausgefunden habt?«
Dannyl betrachtete den Leichnam. »Es wäre besser, wenn ich es Euch erzählte, um Zeit zu sparen. Gebt Ihr mir recht, dass dies eher den Eindruck eines spontanen Mordes macht und nicht den eines geplanten?«
Achati nickte.
»Ich habe erfahren, dass Tyvara und die Tote, Riva, häufig miteinander gestritten haben. Riva scheint Tyvara unterstellt gewesen zu sein. Riva wollte am Tag von Lorkins Ankunft dessen Dienstsklavin werden, aber Tyvara hat ihren Platz eingenommen. Beide Frauen stammten offiziell aus Ashaki Tikakos Haushalt und erhielten oft Nachrichten von dortigen Sklaven – aber jede der beiden von einer anderen Person. Sie haben keine Nachrichten von Sklaven aus anderen Häusern erhalten, daher scheint mir Tikakos Haus der wahrscheinlichste Ort zu sein, an dem Tyvara und Lorkin vielleicht zu finden sein könnten.«
Achati runzelte die Stirn. »Wenn wir dort nach ihnen suchen sollen, müssen wir unserer Sache sicher sein. Könnte jemand anders ihn von hier fortgebracht haben?«
»Lorkin hatte keine anderen Besucher. Wenn er gegen seinen Willen weggebracht wurde, muss es sich bei dem Entführer um einen mächtigen Magier handeln. Wenn nicht…«
Dannyl zuckte die Achseln. »Dann muss der Betreffende über große Überredungskraft verfügen.«
Achati seufzte und nickte. »Wenn diese Tyvara tatsächlich über höhere Magie verfügt, ist sie wahrscheinlich keine echte Sklavin. Sie muss eine Spionin sein.«
»Eine Spionin für wen?«, fragte Dannyl.
»Das weiß ich nicht.« Achati verzog das Gesicht. »Keine Spionin des Königs, da er mir davon erzählt hätte. Aber wenn ihr Auftraggeber Lorkin hätte tot sehen wollen, wäre er tot. Wenn der Betreffende ihn lebendig haben wollte, muss er ein bestimmtes Ziel verfolgen.«
»Welches Ziel?«
»Vielleicht Erpressung?« Achati blickte nachdenklich drein. »Die Frage ist: Ist das Ziel König Amakira oder die Gilde – oder beide?«
Dannyl lächelte schief. »Es muss die Gilde sein. Wenn Tyvaras Auftraggeber den König in Verlegenheit stürzen wollte, hätte er mich entführen lassen. Ein entführter Botschafter ist für das Gastland viel peinlicher als ein bloßer Gehilfe.«
»Aber er ist kein bloßer Gehilfe«, bemerkte Achati und zog die Augenbrauen hoch. »Ihr habt doch nicht geglaubt, wir wüssten nicht um seine Herkunft, oder?«
Dannyl seufzte. »Ich schätze, es war naiv zu hoffen, Ihr hättet es nicht bemerkt.«
»Wenn es Euch beruhigt, wir dachten nicht, dass ihm deswegen Gefahr drohen würde. In Wahrheit glaubten wir, dass die Aussicht, seine Mutter könne ihre gerechte Rache üben, falls ihm etwas zustieße, genug sei, um törichte Taten wie diese zu verhindern. Obwohl…« Er brach ab, wandte sich wieder der toten Frau zu und runzelte die Stirn, als sei ihm ein Gedanke gekommen.
»Ja?«, hakte Dannyl nach.
Der Sachakaner schüttelte den Kopf. »Ich habe über eine andere Gruppe nachgedacht, aber sie hätte nichts von einer Entführung Lord Lorkins. Nein. Wir werden Ashaki Tikako einen Besuch abstatten. Wenn wir Glück haben, werden wir Euren Assistenten dort finden und ihn ins Gildehaus zurückbringen, bevor der Tag vorüber ist.« Er hielt inne. »Obwohl Ihr vielleicht den Wunsch habt, Euch vorher noch des Leichnams der Sklavin zu entledigen.«
Dannyl nickte zustimmend. »Nicht gerade ein angenehmes Willkommensgeschenk. Wenn Ihr mit Eurer Untersuchung der Toten fertig seid, werde ich den Sklaven befehlen, mit ihr zu tun, was immer sie mit ihren Toten tun.«
Da sie das neue Versteck nicht als Falle für den Jäger der Diebe benötigten, hatte Cery Anweisung gegeben, es zu versiegeln. Er und Gol waren in seine Wohnung in dem Lager neben der alten Stadtmauer zurückgekehrt.
Cery hatte Gol bis zum Morgen nichts von seinem Gespräch mit Sonea erzählt. Ihre Reaktion auf seine Neuigkeiten war so anders ausgefallen, als er erwartet hatte, dass er Zeit zum Nachdenken brauchte, Zeit, um seine Pläne noch einmal zu untersuchen und sich zu fragen, ob er bereuen würde, wozu er ja gesagt hatte.
»Warum macht sie sich nicht selbst auf die Suche nach der wilden Magierin?«, fragte Gol einmal mehr.
Cery seufzte und hob die Schultern. »Sie meinte, es stünde ihr heutzutage nicht frei, in der Stadt herumzulaufen. Sie muss sich bestimmten Einschränkungen fügen, die festlegen, wohin sie gehen darf und was sie tun kann.«
Gol runzelte die Stirn. »Undankbare Mistkerle. Nach allem, was sie getan hat, um die Stadt zu retten.«
Ja, aber die meisten Kyralier haben Angst vor ihr, dachte Cery. Sie gehen keine Risiken ein. Sie kennen sie nicht, daher trauen sie ihr nicht. Das kann ich verstehen. Aber es macht die Dinge für mich ein wenig unbequem.
»Also werden wir mit der Gilde zusammenarbeiten?«
»Wir müssen.« Cery verzog das Gesicht. »Niemand außer uns kann die wilde Magierin erkennen. Und vielleicht können wir helfen zu verhindern, dass sie das Ganze furchtbar vermasseln.«
Gols Gesichtsausdruck verriet Cery, wie wenig er an diese Möglichkeit glaubte. »Was ist mit Skellin? Wirst du es ihm erzählen?«
»Wir haben keine Beweise dafür, dass die Frau der Jäger der Diebe ist, nur dass sie Magie benutzt.«
»Was der Grund ist, warum du sie jetzt ›die wilde Magierin‹ nennst«, bemerkte Gol.
»Ja. Bis wir mit Bestimmtheit wissen, dass sie der Jäger ist.«
»Und damit du es Skellin nicht zu erzählen brauchst.« Gol verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast Angst, dich zum Narren zu machen.«
Cery sah seinen Freund tadelnd an. »Ich will seine Zeit nicht verschwenden. Oder ihm irgendetwas schuldig bleiben, wenn ich es vermeiden kann.«
»Aber du hast gesagt, er sei nicht das, wofür du ihn gehalten hast.«
Cery schnitt eine Grimasse. »Aber er ist trotzdem ein Dieb und ein Feuel-Händler. Bessere Männer als du und ich haben aus Gründen, die sie für gut hielten, schlimme Dinge getan.«
»Sie sind die Gefährlichen«, pflichtete Gol ihm bei. »Schütze Familie oder den Stolz eines Hauses oder die Verteidigung des Landes vor, und alles ist entschuldbar.«