Cery nickte. »Wenn es ums Geschäft geht, ziehe ich es vor, mir gegenüber ehrlich zu sein. Ich wollte wohlhabender sein als die meisten Hüttenbewohner. Ich wollte nicht als Bettler sterben. Und ich werde nicht so tun, als verfolgte ich höhere Ziele als dieses.«
»Du brauchst also Geld. Und um Geld zu bekommen, brauchst du Macht. Und wenn du nicht aus einem der Häuser stammst, hast du keine Chance, durch ein ehrliches Gewerbe Macht zu gewinnen.«
»Es geht stets ums Überleben. Und ich denke, genau das tut Skellin. Er sagte, er habe versucht, Feuel zu importieren, weil es eine Möglichkeit war, sich als Dieb zu beweisen.«
»Es hat funktioniert.«
Cery seufzte. »Das hat es. Und sein Gewissen plagt ihn nicht so sehr, dass er sich von dem Gewerbe abgewandt hätte.«
»Aber er sagte, er würde es tun.«
»Das werde ich erst glauben, wenn ich es sehe. Feuel hat ihn zu einem der mächtigsten Männer der Stadt gemacht. Die meisten Diebe arbeiten für ihn oder schulden ihm Gefälligkeiten. Ich glaube nicht, dass er das allzu schnell aufgeben wird.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich es irgendwie vermeiden kann, werde ich nicht das Risiko eingehen, in diese Sache hineingezogen zu werden.«
Gol schnaubte. »Du bist zu klug, um dich von ihm zu irgendetwas überreden zu lassen, Cery.«
Cery sah seinen Freund und Leibwächter an. »Du denkst, ich sollte es ihm erzählen?«
Der große Mann schürzte die Lippen. »Wenn dir irgendetwas sagt, dass du es nicht tun sollst, dann lass es. Aber wenn wir Schwierigkeiten haben, den Jäger der Diebe zu finden, schätze ich, wäre es interessant zu sehen, wozu Skellin imstande ist.« Er zuckte die Achseln. »Vielleicht ist es nicht viel. Oder vielleicht würde er offenbaren, wie mächtig er wirklich ist.«
17
Gejagt
Obwohl er inzwischen mehrere Stunden in dem Raum verbracht hatte, brannten Lorkins Augen noch immer. Die Luft war schwer vom Gestank des Urins, der in offenen Fässern auf einer Seite des Raums gelagert wurde. Tyvara hatte ihm geraten, in flachen Zügen zu atmen, um sich nicht die Lunge zu verätzen, und die Augen geschlossen zu halten. Sie hatte ihm auch erklärt, dass nur Sklaven den Raum betreten würden und dass er Stillschweigen bewahren solle. Dann war sie wieder verschwunden.
Die Zeit verging sehr langsam, wenn jeder Atemzug einem die Kehle mit sauren Dämpfen von Exkrementen versengte. Außerdem machte es die Flucht in die Nacht hinaus zu einem weit weniger aufregenden Abenteuer, als es zuerst den Anschein gehabt hatte.
Nicht dass ich es um des Kitzels wegen getan hätte. Ich glaube tatsächlich, dass es meine einzige Chance war. Dass ich in Gefahr war. Und es immer noch sein könnte.
War er ein Narr, Tyvara zu glauben? Sein einziger Beweis dafür, dass sie die Wahrheit sagte, war die Reaktion der Sklavin, die sie getötet hatte.
»Du! Aber …er muss sterben. Du… Du bist eine Verräterin!«
Daraus hatte er drei Dinge geschlossen: Die Sklavin hatte Tyvara gekannt, sie hatte geglaubt, dass er getötet werden sollte, und sie hatte Tyvara für eine Verräterin gehalten. Was hatte Tyvara geantwortet?
»Ich habe dir gesagt, dass ich dir nicht erlauben würde, ihn zu töten. Du hättest meine Warnung ernst nehmen und verschwinden sollen.«
Daraus konnte er den Schluss ziehen, dass Tyvara um die Absicht der Frau gewusst und der Sklavin eine Chance gegeben hatte, von ihrer Mission abzulassen. Oder sie hatte es in der Hoffnung gesagt, dass ich genau das glauben würde. Aber welchen Grund könnte sie dafür haben, ihn zu täuschen? Vielleicht um mich davon zu überzeugen, dass sie der Frau eine Chance gegeben hatte fortzugehen. Dass sie keine so gnadenlose Mörderin war, wie es den Anschein hatte.
Eines war klar. Wenn Tyvara ihn hätte töten wollen, hätte sie es getan. Schließlich verstand sie sich auf schwarze Magie. Sie konnte ihn mühelos töten, wenn sie es wollte.
Aber in der Frage, ob es notwendig gewesen war, mit ihr zu fliehen, war er sich nicht sicher. Sobald Dannyl erfahren hätte, was geschehen war, hätte er gewiss einen besseren Schutz für ihn arrangiert. Aber wie sollte er das tun? Es wird mehrere Tage dauern, bis irgendwelche Magier von der Gilde hier ankommen, und keiner von ihnen ist so stark wie die meisten sachakanischen Magier. Nicht einmal Mutter oder Kallen, die sich mit schwarzer Magie würden stärken müssen, bevor sie aufbrechen. Was die sachakanischen Magier betrifft… Würden einige von ihnen sich dazu herablassen, als Leibwächter für den Gehilfen eines Gildebotschafters zu dienen? Wie könnten wir wissen, dass nicht gerade sie Riva geschickt hatten, um mich zu töten?
Was die Frage betraf, wer ihn tot sehen wollte, konnte er nur vermuten, dass es die Familien der Sachakaner waren, die seine Eltern während der Ichani-Invasion getötet hatten. Seine Mutter musste recht haben. Ihre Familien fühlten sich offensichtlich immer noch verpflichtet, Rache für den Tod ihrer Verwandten zu üben, obwohl diese Verwandten Ausgestoßene gewesen waren.
Die Höheren Magier waren davon überzeugt, dass diese Gefahr nicht bestand. Das Gleiche gilt für Lord Maron und die anderen Gildebotschafter, die hier gelebt haben. Haben diese Familien ihre Absichten in der Hoffnung verborgen, dass Mutter oder ich eines Tages nach Sachaka reisen würden?
Er dachte an den Ring in seiner Tasche. Sollte ich mich mit meiner Mutter in Verbindung setzen? Was wird sie sagen? Wahrscheinlich wird sie verlangen, dass ich ins Gildehaus zurückkehre und es Dannyl überlasse, sich um alles zu kümmern. Sie wird jetzt keine Mühe haben, die Gilde dazu zu überreden, meine Rückkehr zu befehlen. Ein Gefühl der Rebellion stieg in ihm auf, verebbte jedoch schnell wieder. Sie hatte recht, rief er sich ins Gedächtnis. Es war zu gefährlich für mich hierherzukommen. Doch irgendetwas sagt mir, dass eine Rückkehr ins Gildehaus im Augenblick auch nicht sicher wäre. Wenn Tyvara mich gerettet hat, will sie mich am Leben erhalten, und sie denkt offensichtlich nicht, dass ich im Gildehaus –
Die Tür zu dem Raum wurde abrupt geöffnet, und Lorkin zuckte zusammen. Es waren immer wieder Sklaven gekommen und gegangen, aber sie schienen nicht überrascht gewesen zu sein, ihn hier zu sehen. Beim ersten Mal war er gerade drauf und dran gewesen, den Blutring seiner Mutter zu benutzen, und hatte ihn gerade noch im Rücken seines Notizbuches verbergen können. Danach hatte er es nicht gewagt, es noch einmal zu versuchen, für den Fall, dass sie es mitbekamen und den Verdacht schöpften, dass er versuchte, sie zu verraten, und ihm den Ring wegnahmen.
Aber es war Tyvara, die in der Tür stand. Wie bei ihrer ersten Begegnung durchzuckte ihn der Gedanke, dass sie verlockend rätselhaft und exotisch war. Diesmal stand sie jedoch nicht mit gesenktem Blick vor ihm. Noch warf sie sich auf den Boden. Stattdessen musterte sie ihn voller Erheiterung, und ihre Haltung war selbstbewusst und entspannt.
Was definitiv eine Verbesserung ist, befand er.
»Wie geht es Euch?«, fragte sie und verzog angesichts des Geruchs das Gesicht.
»Ich atme noch«, antwortete er. »Obwohl ich beinahe wünschte, ich täte es nicht. Werdet Ihr mir das alles jetzt erklären?«
Sie lächelte schwach. »Ja. Kommt mit nach draußen.«
Er erhob sich und ging zur Tür, und als sie beiseitetrat, gelangte er in einen großen Arbeitsraum. Vier Sklavinnen saßen an einem breiten Tisch und beobachteten ihn mit unverhohlener Neugier, jedoch ohne eine Spur Freundlichkeit. Zwei von ihnen waren etwa in Tyvaras Alter, die beiden anderen waren älter, aber es ließ sich schwer einschätzen, ob ihre Falten von harter Arbeit und Sonnenlicht herrührten oder von vorgerückten Jahren. Als er sie anschaute, wandten sie den Blick ab, dann strafften sie sich und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Als triebe Gewohnheit sie dazu, zunächst einmal jeden Blickkontakt zu vermeiden. Tyvara muss jedoch so tun, als sei sie eine Sklavin … Ich denke… ich denke, diese Frauen wurden als Sklavinnen erzogen, während Tyvara als freie Frau zur Welt kam.