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»Ja. Und jetzt, da es dunkel ist, denke ich, ist es an der Zeit, dass wir aufbrechen. Wir werden an dieser Mauer herunterspringen und dann die Mauern entlang bis zur Straße gehen. Bist du bereit?«

Er nickte, dann grinste er kläglich, als ihm klar wurde, dass sie ihn nicht sehen konnte.

»Ja«, sagte er. »Ich bin bereit.«

Die junge Frau im Untersuchungsraum hatte dunkle Ringe unter den Augen. Auf ihrem Schoß zappelte ein kleines Kind, das das Gesicht verzog, während es mit beinahe unmenschlicher Stärke heulte.

»Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll«, gestand die Frau. »Ich habe alles versucht.«

»Lass mich mal sehen«, erbot sich Sonea.

Die Mutter reichte ihr das Kind. Sonea setzte sich den kleinen Jungen auf den Schoß und untersuchte ihn gründlich, sowohl mit den Händen und den Augen als auch mit ihrer Magie. Zu ihrer Erleichterung gab es keine Anzeichen für Verletzungen oder Krankheiten. Sie spürte jedoch ein alltäglicheres Problem.

»Es geht ihm gut«, versicherte sie der Mutter. »Er hat nur Hunger.«

»Jetzt schon?« Die junge Frau griff sich an die Brust. »Ich scheine nicht genug Milch –«

Plötzlich wurde die Tür geöffnet, und Heilerin Nikea schlüpfte in den Raum.

»Es tut mir leid, dass ich stören muss«, sagte sie und sah die junge Frau entschuldigend an. Dann blickte sie zu Sonea hinüber. »Hier ist ein Bote für Euch. Er sagt, es sei dringend.«

Soneas Herz setzte einen Schlag aus. War es Cery? Sie erhob sich und gab das Kind seiner Mutter zurück. »Ihr schickt ihn besser herein. Und könntet Ihr diese junge Frau zu Adrea bringen?« Sie sah die Mutter an und lächelte. »Adrea ist eine Expertin, was solche Probleme und alternative Speisen betrifft. Ich wünschte, ich hätte sie gekannt, als mein Sohn geboren wurde. Sie wird dir helfen.«

Die junge Frau nickte und folgte Nikea aus dem Raum. Die Tür schloss sich hinter ihnen. Sonea starrte sie an, während sie auf Cery wartete. Als die Tür endlich geöffnet wurde, war es jedoch ein massiger Mann, der den Raum betrat. Er kam ihr bekannt vor, und nach einem Moment des Nachdenkens fiel ihr wieder ein, wer er war.

»Gol, nicht wahr?«, fragte sie.

»Ja, Mylady«, antwortete er.

Sie lächelte. Es war lange her, seit jemand sie das letzte Mal »Mylady« genannt hatte statt »Schwarzmagierin«. »Was gibt es Neues?«

»Wir haben sie gefunden«, sagte der große Mann, dessen Augen sich vor Aufregung weiteten. »Ich habe sie bis zu ihrem Wohnort verfolgt, und jetzt behält Cery sie im Auge, bis Ihr sie erreichen könnt.«

Abermals setzte Soneas Herz kurz aus, aber dann wurde ihr flau im Magen. Ich werde sie nicht erreichen. Ich muss nach Rothen schicken und nach Regin. Konnte sie es einfach unterlassen, Regin zu rufen? Nein, wenn diese Frau eine starke Magierin ist, könnte sie Rothen überwältigen. Vielleicht ihn sogar töten. Es ist besser, wenn zwei Magier sie zur Rede stellen als nur einer. Oh, ich wünschte, ich könnte mit ihm gehen! Aber wenn ich Regin vertrauen muss, dass er nichts darüber verlauten lässt, dass ich Informationen über eine Magierin zurückgehalten habe, dann muss er sich ebenfalls die Hände schmutzig machen.

»Wie viel Zeit haben wir?«, fragte sie.

Gol zuckte die Achseln. »Als wir sie das letzte Mal gesehen haben, war sie gerade ins Bett gegangen, also… Ich nehme an, es hat keine Eile.«

»Dann würde ich gern nach Hilfe schicken. Zwei Magier sind in dieser Situation besser als einer.« Sie nahm ein Stück Papier und kritzelte hastig die Wort »Nordseite« und »Jetzt?« darauf. Dann faltete sie das Blatt zusammen, schrieb auf die Rückseite Regins Namen und Titel und verfasste anschließend die gleiche Nachricht für Rothen. »Gib dies Heilerin Nikea – der Frau, die dich hereingeführt hat.«

Gol nahm die Papiere entgegen und schlüpfte aus dem Raum.

Als die Tür wieder geöffnet wurde, erwartete Sonea, dass Gol noch einmal zurückgekommen war. Stattdessen war es Heilerin Nikea. Als die junge Frau näher trat, sah sie Sonea in die Augen und wandte den Blick dann wieder ab. Soneas Haut begann sofort zu kribbeln. Sie wird mich fragen, was es damit auf sich hatte. Vielleicht hat sie Gol erkannt oder herausgefunden, dass er für einen Dieb arbeitet. Ich bezweifle, dass sie mich schelten wird, aber Nikea ist nicht die Art Frau, die etwas, das sie missbilligt, unerwähnt lässt und ignoriert.

»Äh… ich wollte sagen…«, begann die junge Frau und rieb sich mit untypischer Nervosität die Hände.

»Ja?«, hakte Sonea nach.

»Was immer Ihr tut, ich weiß, dass es einem guten Zweck dienen muss.« Nikea straffte sich. »Wenn Ihr hier jemanden braucht, der… der ›Eure Spuren verwischt‹, wie man so schön sagt, könnt Ihr Euch auf mich verlassen. Und auch auf einige der anderen Heiler. Wir werden den Leuten erzählen, dass Ihr hier wart, falls Ihr ausgehen müsst.«

Sonea wurde bewusst, dass ihr vor Überraschung der Unterkiefer heruntergeklappt war, und sie schloss hastig den Mund.

»Wie viele von euch denken so?«, brachte sie schließlich heraus.

»Wir sind zu viert. Sylia, Gejen, Colea und ich.«

Erheitert unterdrückte Sonea den Drang zu lächeln. »Ihr habt das bereits besprochen?«

Nikeas Blick war fest. »Ja. Wir waren uns nicht sicher, was vorgeht, falls überhaupt etwas vorgeht. Aber wir alle dachten, es müsse wichtig sein und dass wir bereit wären, Euch zu helfen.«

Sonea spürte, dass ihr Gesicht heiß wurde. »Danke, Nikea.«

Die junge Frau zuckte die Achseln, dann ging sie rückwärts auf die Tür zu. »Natürlich würden wir liebend gern wissen, was vorgeht, falls Ihr es uns erzählen könnt.« Sie berührte die Klinke, dann blickte sie noch einmal hoffnungsvoll zurück.

Sonea lachte leise. »Wenn ich es kann, werde ich es tun.« Nikea grinste. »Ich werde den Boten wieder hereinschicken.«

»Vielen Dank. Noch einmal.«

Als sich die Tür hinter der Heilerin schloss, konnte Sonea sich ein Grinsen nicht verkneifen. Anscheinend denken nicht alle in der Gilde, dass ich mich, sobald sie mich nicht mehr sehen können, in eine verrückte, schwarze Magie benutzende Mörderin verwandle. Das Vertrauen der Heilerin berührte sie. Vielleicht konnte sie es doch riskieren, das Hospital zu verlassen. Was für Rothen und Regin sicherer wäre. Obwohl nichts darauf hindeutet, dass es sich bei der wilden Magierin um eine Schwarzmagierin handelt, könnte das Ganze sehr unangenehm werden, falls sich herausstellt, dass sie tatsächlich eine ist.

Und Sonea musste zugeben, dass die Vorstellung, wieder mit Cery in der Stadt umherzuschleichen, sie sowohl mit Wehmut als auch mit Erregung erfüllte. Es wäre nicht gerecht, wenn Rothen und Regin den ganzen Spaß haben würden, während sie nur dasitzen und auf Neuigkeiten warten durfte.

19

Das Versteck

Wie Gol berichtet hatte, war der Stadtteil, in dem die wilde Magierin lebte, überraschend respektabel und nicht die Art von Ort, an dem man herumlungern konnte, ohne aufzufallen. Cery hatte einige seiner Leute in umliegende Läden geschickt, um festzustellen, ob er die Frau aus einem von ihnen beobachten konnte. Einer seiner Männer hatte einen Ladenbesitzer sagen hören, dass sein Nachbar abgereist sei, um die Familie seiner Frau in Elyne zu besuchen, und einige aufgebrochene Schlösser später saß Cery im Gästezimmer des abwesenden Ladenbesitzers entspannt in einem gemütlichen Sessel an dem Fenster, das zur Straße hinausging, und beobachtete, wie die Nacht sich herabsenkte und Lampenanzünder die Straße nach und nach in helles Licht tauchten.