Außerdem hatte er einige Leute ausgeschickt, den Hintereingang des Hauses der wilden Magierin zu beobachten. Sie wohnte im Keller, den man durch den Laden darüber und durch eine eingefallene Hintertür erreichte. Regelmäßige Berichte versicherten ihm, dass sie nicht weggegangen war.
Doch Gol brauchte länger, als er hätte brauchen dürfen. Habe ich Soneas Nachricht missverstanden? Sie sagte, sie werde sich um »die Angelegenheit« kümmern und dass ich Informationen ins Hospital schicken solle. Nun, das habe ich getan.
Im unteren Stockwerk wurde eine Tür geöffnet, und Cery straffte sich. Die Schritte von zwei oder drei Leuten waren zu hören, die die Treppe heraufgestapft kamen. Waren es seine Leute, oder kehrten der Ladenbesitzer und seine Familie zurück? Er versteckte sich schnell hinter der offenen Tür, wo er hoffentlich unbemerkt aus dem Raum schlüpfen konnte, wenn es sein musste. Für den Fall, dass sie doch etwas bemerkten, schob er eine Hand in seinen Mantel, wo er sein beeindruckendstes Messer aufbewahrte.
»Cery?«, erklang eine vertraute Stimme.
Gol. Cery stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und trat hinter der Tür hervor. Sein Leibwächter und zwei Personen in langen Umhängen, die ihr Züge verbargen, näherten sich dem oberen Ende der Treppe. Er erkannte Sonea. Mit schmalen Augen betrachtete Cery den anderen Mann. Irgendwie kam er ihm vertraut vor. Als die drei ins Licht traten, stieg eine alte Erinnerung in Cerys Gedächtnis an die Oberfläche.
»Regin«, sagte er. »Oder heißt es jetzt Lord Regin?«
»So ist es«, erwiderte der Mann.
»So hieß er übrigens immer, Cery«, rief Sonea ihm ins Gedächtnis. »Aber es kommt einem immer ein wenig verfrüht vor, Novizen ›Lord‹ oder ›Lady‹ zu nennen. Lord Regin und Lord Rothen haben sich erboten, mir zu helfen, die wilde Magierin einzufangen, was sich als überaus wichtig erweisen könnte, sollte ich mich irgendwann einmal nicht unbemerkt aus dem Hospital fortschleichen können.«
»Wenn das Glück auf unserer Seite ist, wirst du dich nicht noch einmal davonstehlen müssen«, erwiderte Cery. »Kommt Lord Rothen ebenfalls?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hielt es für überflüssig, wenn ich hingehe.«
Cery beobachtete Regin, der Sonea in den Raum folgte. Sonea hatte früher einmal nicht viel für ihn übrig. Er hat ihr das Leben als Novizin schwer gemacht. Aber als Cery Regin während der Ichani-Invasion kennengelernt hatte, hatte der junge Mann sich freiwillig erboten, als Köder zu dienen, der einen sachakanischen Magier in Soneas und Akkarins Falle gelockt hatte. Es war ein mutiger Schritt gewesen. Wäre der Zeitpunkt falsch gewesen, hätte der Sachakaner Regin alle Magie und alles Leben ausgesaugt – und soweit Cery sich erinnerte, wäre es tatsächlich beinahe dazu gekommen.
Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Cery niemals geglaubt, dass dieser Mann der Novize war, über dessen Streiche Sonea sich so bitter beklagt hatte. Lord Regins Gesicht schien zu einem permanenten Ausdruck der Ernsthaftigkeit verzogen zu sein. Obwohl sein Körperbau das gesunde Gewicht eines Menschen hatte, der ein privilegiertes Leben führte, sprachen die Linien um seine Brauen und seinen Mund von Sorge und Resignation. Aber in diesen Augen liegt unbestreitbar Intelligenz, bemerkte er. Ich würde wetten, dass er heute nicht weniger gefährlich ist als während seiner Novizenzeit. Trotzdem, Sonea vertraut ihm genug, um ihn in dieser Angelegenheit hinzuzuziehen. Dann blickte er sie an und sah die Wachsamkeit in ihrer Haltung, während sie ihren magischen Helfer betrachtete. Oder vielleicht hat sie keine andere Wahl. Ich sollte sie besser nach ihm fragen, sobald ich die Möglichkeit habe, allein mit ihr zu reden.
»Also, wo ist unsere wilde Magierin?«, fragte Sonea.
Cery trat ans Fenster. »Im Keller des Schuhmachers auf der anderen Seite der Straße.«
Sie spähte nach draußen. »Wie viele Eingänge?«
»Zwei. Beide werden beobachtet.«
»Dann sollten wir uns in zwei Gruppen aufteilen. Mit einem Magier in jeder Gruppe.«
Cery nickte zustimmend. »Ich werde mit dir durch die Vordertür gehen. Gol kann Regin durch die Hintertür hineinbringen. Wir werden uns im Keller treffen, wo ihr tun werdet, was immer ihr tun müsst.« Er sah die anderen an. Die beiden Männer nickten. »Irgendwelche Fragen?« Sie tauschten Blicke, dann schüttelten alle den Kopf. »Also schön, gehen wir.«
Am Fuß der Treppe angekommen, demonstrierte Cery einige Signale, die er und Gol als Warnungen benutzen würden oder um einen Rückzug zu veranlassen, dann traten sie ins Freie. Es war jetzt vollkommen dunkel. Die Lampen warfen Kreise aus Licht auf den Boden. Gol führte Regin in Richtung des Hintereingangs. Cery und Sonea gaben ihnen Zeit, ins Haus zu gelangen, dann überquerten sie die Straße zur Schuhmacherwerkstatt.
Sie gingen die Treppe hinauf und näherten sich der Tür. Cery förderte ein Ölkännchen zutage und schmierte die Türangeln hastig ein. Dann zog er einige Einbruchwerkzeuge aus seinem Mantel. Sonea, deren Gesicht im Schatten lag, sagte nichts, während er das Schloss öffnete. Ich schätze, sie könnte das mit Magie erledigen – wahrscheinlich schneller, als ich es kann. Warum schlage ich es dann nicht vor? Gehe ich hier etwa an?
Das Schloss klickte leise. Cery drehte langsam den Knauf, gewappnet für den Moment, in dem der Bügel aufsprang. Er zog die Tür auf, erleichtert, als sie nur ein leises Knarren von sich gab. Sonea trat hindurch, dann wartete sie auf ihn, während er die Tür hinter ihnen schloss.
Es war dunkel in der Werkstatt, und als seine Augen sich daran gewöhnt hatten, konnte er Reihen von Schuhen auf Regalen und einen Arbeitstisch erkennen. Der Tür gegenüber führte eine schmale Treppe nach unten und eine weitere nach oben. Seinen Spionen zufolge lag der Schuhmacher im oberen Stockwerk und schlief.
Sonea ging zur Treppe und betrachtete die Stufen, die nach unten führten. Sie schüttelte den Kopf, dann winkte sie Cery heran. Als er näher kam, fasste sie ihn am Arm und zog ihn an sich. Er starrte sie überrascht an, als ihm klar wurde, dass sie in dem fahlen Licht aussah wie das junge Mädchen, dem er vor so vielen Jahren geholfen hatte, sich vor der Gilde zu verstecken. Ihr Gesicht zeigte den gleichen eindringlichen, besorgten Ausdruck.
Dann spürte er, wie er in die Luft gehoben wurde, und alle Gedanken an die Vergangenheit waren vergessen. Er blickte hinab. Obwohl er etwas unter seinen Füßen fühlen konnte, konnte er es nicht sehen. Was immer es war, es trug ihn und Sonea die Treppe hinunter.
Ich schätze, das bedeutet, dass wir nicht Gefahr laufen, von knarrenden Stufen verraten zu werden.
Ein spärlich möblierter Raum wurde sichtbar, als sie sich dem Boden des Kellers näherten. Blendendes Licht erfüllte den Keller, als eine leuchtende Kugel über Soneas Kopf erschien. Cery suchte nach dem Bett, fand es und wurde dann von Enttäuschung übermannt. Es war leer.
Eine Tür öffnete sich, und sie fuhren beide herum, seufzten dann jedoch, als sie Regin und Gol den Raum betreten sahen. Beide runzelten die Stirn, als sie feststellen mussten, dass die wilde Magierin nirgends zu sehen war.
»Sucht«, sagte Sonea. »Aber vorsichtig.«
Sie entschieden sich jeder für eine Wand, beäugten die Möbel, schauten unter dem Bett nach und öffneten Schränke.
»Dieser Raum wird nicht benutzt«, bemerkte Regin. »Die Kleider in diesem Schrank sind staubig.«
Cery nickte und stieß gegen eine Schale mit schmutzigen Bechern, Tellern und Besteck darin. »Und diese Sachen sind schon so lange schmutzig, dass sie modrig werden.«
»Aha!«, rief Gol leise aus. Sie drehten sich um und sahen, dass er auf die Wand deutete. In einem Bereich waren die Ziegelsteine anders angeordnet als im übrigen Teil der Wand und ließen sich beiseitedrehen, als er gegen ein Ende drückte. Dahinter befand sich ein dunkler Raum. Cery ging hinein und schnupperte.