»Die Straße der Diebe«, erklärte er. »Oder ein Tunnel, der dort hinführt.«
Sonea lachte leise. »Also doch nicht zwei Eingänge. Es überrascht mich, dass du nicht nach unterirdischen Eingängen gesucht hast.«
Cery zuckte die Achseln. »Es ist eine neue Straße. Wenn der König die alten abreißt, sorgt er dafür, dass auch die Straße der Diebe verschwindet.«
»Diesmal war er nicht gründlich genug«, erwiderte sie. Sie trat näher und strich mit der Hand über das Mauerwerk. »Oder vielleicht war er es doch. Dies hier ist neu – kaum Staub oder Spinnweben darauf. Sollen wir feststellen, wo sie hinführt?«
»Wenn du die Gegend erkunden willst, nur zu«, entgegnete Cery. »Aber dies ist nicht mein Territorium. Ich darf nicht ohne Genehmigung eintreten. Wenn ich es doch tue, wird der Jäger einen Dieb weniger haben, den er um die Ecke bringen muss.«
»Ist dieser Tunnel ein Hinweis darauf, dass unsere wilde Magierin mit dem ansässigen Dieb zusammenarbeitet?«, fragte Regin.
Sonea sah Cery an. »Wenn sie der Jäger der Diebe ist, dann bezweifle ich es. Wenn sie es nicht ist, dann hat sie Fähigkeiten, die ein Dieb sehr nützlich finden würde.«
Mit anderen Worten, sie hält dies für einen Beweis, dass die wilde Magierin nicht der Jäger ist, dachte Cery.
Regin spähte mit konzentrierter Miene in den Tunnel. Er sah aus, als wolle er hineintreten, aber dann zog er sich zurück und richtete sich auf.
»Ich vermute, dass sie schon lange fort ist. Welches Vorgehen empfiehlst du uns jetzt, Cery?«, erkundigte er sich.
Cery sah den Magier überrascht an. Ein Magier, der ihn nach seiner Meinung fragte, war ein seltenes Ereignis. »Ich stimme zu, dass Ihr sie wohl kaum in den Tunneln finden werdet.« Er streckte die Hand aus und drehte die Ziegelsteine wieder in ihre frühere Position. »Wenn sie nicht bemerkt, dass wir in ihren Raum eingedrungen sind, benutzt sie ihn vielleicht weiterhin als Zugang zu den Tunneln. Wir sollten sicherstellen, dass alles genauso ist, wie wir es vorgefunden haben. Ich werde eine Wache vors Haus stellen und es Euch wissen lassen, sollte sie zurückkehren.«
»Und wenn sie doch etwas bemerkt?«, hakte Regin nach.
»Dann müssen wir hoffen, dass ein weiterer Glücksfall uns abermals zu ihr führen wird.«
Regin nickte, dann sah er Sonea an. Sie zuckte die Achseln. »Es gibt nicht viel, was wir jetzt noch tun können. Falls irgendjemand sie wiederfinden kann, dann ist es Cery.«
Freude stieg in Cery auf, gefolgt von einer nagenden Sorge, dass sie sich irren könnte. Er hatte die wilde Magierin durch Zufall entdeckt. Es würde vielleicht nicht so einfach sein, sie wiederzufinden. Zu viert bewegten sie sich eilig durch den Raum und sorgten dafür, dass alles wohlgeordnet war, bevor sie auf dem gleichen Weg wieder gingen, auf dem sie gekommen waren. Sonea verschluss die Vordertür mit Magie, dann schlüpften sie durch den Hintereingang hinaus. Wieder auf der Straße, tauschten sie Blicke, verhielten sich jedoch still. Die beiden Magier hoben zum Abschied die Hand, bevor sie davongingen. Cery und Gol kehrten in das verlassene Haus des Ladenbesitzers zurück.
»Nun, das war enttäuschend«, bemerkte Gol. »Ja«, pflichtete Cery ihm bei.
»Denkst du, die wilde Magierin wird zurückkommen?«
»Nein. Sie wird irgendeine Vorsichtsmaßnahme getroffen haben, die ihr verrät, ob jemand zu Besuch war.« »Was tun wir dann als Nächstes?«
»Das Haus beobachten und hoffen, dass ich mich irre.« Er sah sich in dem Raum um. »Und herausfinden, wann der Besitzer des Ladens zurückerwartet wird. Wir wollen ihn und seine Familie doch nicht halb zu Tode erschrecken, indem sie einen Dieb im Haus antreffen.«
Bevor er sich zu ihren Füßen auf den Boden warf, wirkte der Sklavenmeister überrascht, Dannyl und Ashaki Achati zu sehen – aber nicht weil ein mächtiger Sachakaner und ein kyralischer Magier zu Besuch gekommen waren. Auf dem Gut war man darauf vorbereitet, dass irgendjemand eintreffen würde.
»Ihr seid schneller gekommen, als wir gehofft hatten«, sagte der große Mann, als Achati erklärte, dass sie auf der Suche nach einer entflohenen Sklavin und einem als Sklaven verkleideten Kyralier seien.
»Hast du die beiden, die ich beschrieben habe, gesehen?«, wollte Achati wissen.
»Ja. Vor zwei Nächten. Eine der Sklavinnen dachte, es seien Leute, vor denen man uns gewarnt hatte, aber als wir sie befragen wollten, waren sie bereits weggelaufen.«
»Habt ihr nach ihnen gesucht?«
»Nein.« Der Mann neigte den Kopf. »Man hat uns gewarnt, dass sie Magier wären und dass nur Magier sie fangen könnten.«
»Wer hat euch diese Warnung zukommen lassen?«
»Der Herr, in einer Nachricht.«
»Wann ist die Nachricht eingetroffen?«
»Einen Tag, bevor die beiden hier angekommen sind.«
Achati sah Dannyl an, die Augenbrauen ungläubig hochgezogen. Wenn also Ashaki Tikako die Nachricht nicht geschickt hat, wer war es dann? Dannyls Herz setzte einen Schlag aus. Die Verräterinnen. Sie müssen sehr gut organisiert sein, um so schnell solche Nachrichten an ländliche Güter zu schicken.
»Wie lange ist es her, dass ihr die Nachricht geschickt habt, in der ihr euren Herrn von ihrem Auftauchen hier informiert habt?«
»Das war vor zwei Nächten – gleich nachdem die beiden verschwunden waren.«
Achati drehte sich zu Dannyl um. »Wenn er auf dem Weg hierher ist, wird er erst morgen eintreffen. Ich fürchte, wir werden warten müssen. Ich habe nicht die Befugnis, die Gedanken der Sklaven eines anderen Mannes zu lesen.«
»Habt Ihr die Befugnis, sie zu befragen?«, erkundigte sich Dannyl.
Der Magier runzelte die Stirn. »Es gibt keine Sitte und kein Gesetz, die mich daran hindern. Oder Euch.« »Dann sollten wir sie befragen.«
Achati lächelte. »Wir machen es auf Eure Weise? Warum nicht?« Er lachte leise. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich gern zusehen und von Euch lernen. Ich wüsste nicht, welche Fragen ich stellen müsste, die einen Sklaven dazu bringen könnten, uns mehr zu erzählen, als er will.«
»Es gibt dabei eigentlich keine Tricks«, versicherte ihm Dannyl.
»Welchen Sklaven wollt Ihr als ersten befragen?«
»Diesen Mann und jeden, der Lorkin und Tyvara gesehen hat. Und vor allem die Sklavin, die sie gesehen hat und dachte, sie könnten die Leute sein, vor denen man sie gewarnt hatte.« Dannyl zog sein Notizbuch heraus und betrachtete den Sklavenmeister. »Und ich brauche ein Zimmer – nichts Vornehmes –, wo ich sie allein befragen kann, ohne dass andere unsere Gespräche belauschen können.«
Der Mann blickte unsicher zwischen Dannyl und Achati hin und her.
»Veranlasse es«, befahl Achati. Als der Mann davoneilte, drehte der sachakanische Magier sich mit einem schiefen Lächeln zu Dannyl um. »Ihr müsst lernen, Eure Bitten wie Befehle zu formulieren, Botschafter Dannyl.«
»Ihr habt hier die größere Autorität«, erwiderte Dannyl. »Und ich bin ein Fremdländer. Es wäre unhöflich von mir, mir die Befehlsgewalt anzumaßen.«
Achati musterte ihn nachdenklich, dann zuckte er die Achseln. »Da habt Ihr wahrscheinlich recht.«
Der Sklavenmeister kehrte zurück und führte sie dann in einen kleinen Raum im Haus, der nach Getreide roch. Der Boden war bedeckt mit feinem Staub, durch den sich die Rillen eines Besens zogen. Staubflöckchen hingen in den Sonnenstrahlen, die durch ein hohes Fenster hereinfielen. Unter das Fenster hatte man zwei Stühle gestellt.
»Nun, es ist definitiv nicht vornehm«, bemerkte Achati, der sich nicht die Mühe machte, seine Erheiterung zu verbergen.
»Was würdet Ihr denn vorschlagen, wo wir sie befragen sollen?«, fragte Dannyl.
Achati seufzte. »Ich schätze, es wäre anmaßend, wenn wir sie in Tikakos Herrenzimmer befragten, und Gästezimmer würden allzu deutlich machen, dass wir hier nichts zu sagen haben. Nein, ich nehme an, dies ist ein passender Ort.« Er ging zu einem der Stühle und setzte sich.