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»Dann denkst du, die Sklaverei sei besser?«

»Nein. Auf keinen Fall. Ich sage nur, dass die Alternative nicht einfacher ist. Wie gut behandeln die Verräterinnen ihre Diener?«

»Wir sind alle Diener. So wie wir alle Verräterinnen sind«, hatte Tyvara erklärt. »Das ist kein Ausdruck wie ›Ashaki‹ oder ›Lord‹. Es ist ein Wort für einen Menschen.«

»Aber nicht für eine Rasse?«

»Nein. Wir sind Sachakanerinnen, obwohl wir uns nicht häufig so nennen.«

»Also üben selbst Magierinnen die Arbeiten von Dienern aus? Sie putzen und kochen?«

»Ja und nein.« Sie hatte das Gesicht verzogen. »Zuerst sollte es so funktionieren. Wir sollten alle die gleiche Arbeit tun. Eine Verräterin kann in einem Augenblick schmutziges Geschirr waschen und im nächsten dann bei wichtigen Entscheidungen mitstimmen, wie zum Beispiel der Frage, welche Getreidesorten angebaut werden sollen. Aber es hat nicht funktioniert. Es wurden einige schlechte Entscheidungen getroffen, weil die Leute, die nicht klug oder gebildet genug waren, um die Konsequenzen zu überblicken, eine schlechte Wahl trafen.

Wir haben eine Reihe von Prüfungen eingeführt, die dazu gedacht sind, das Talent einer Person zu ermitteln und weiterzuentwickeln, so dass die geeignetste Person am Ende die Aufgaben übernahm, für die ihre jeweiligen Fähigkeiten vonnöten waren. Obwohl das bedeutete, dass wir nicht länger alle die gleichen Dinge taten, war es immer noch besser als Sklaverei. Solange die für die Führung unseres Hauses und die Ernährung unserer Leute notwendigen Arbeiten getan wurden, wurde niemand aufgrund seines familiären Ansehens oder seiner Klasse dazu gezwungen, eine gewisse Aufgabe zu übernehmen, oder daran gehindert, etwas zu tun, für das er Talent hatte.«

»Klingt wunderbar«, hatte Lorkin bemerkt.

Sie zuckte die Achseln. »Meistens funktioniert es, aber wie alle Systeme ist es nicht perfekt. Es gibt einige Magier, die ihre Zeit lieber damit verbringen würden, sich zu beklagen und andere zu manipulieren, als ihre Magie für die Bestellung von Feldern oder die Heizung von Eisenerzöfen einzusetzen.«

»Die meisten Gildemagier würden es genauso sehen. Aber wir arbeiten dennoch für die Menschen. Wir halten den Hafen betriebsfähig. Wir bauen Brücken und andere Gebäude. Wir verteidigen das Land. Wir heilen die Kranken und –«

Bei dem Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, waren ihm die Worte im Hals stecken geblieben. Zuerst hatte sie ihn wild angestarrt, dann hatte sie bekümmert das Gesicht verzogen, und schließlich hatte sie sich von ihm abgewandt.

»Was ist los?«, hatte er gefragt.

»Da kommt jemand«, hatte sie geantwortet und die dunkle Straße vor ihnen entlanggeschaut. »Jeder, an dem wir vorbeikommen, könnte eine Verräterin sein. Wir sollten nicht reden. Irgendjemand könnte uns hören und begreifen, wer wir sind.«

Die herannahende Gestalt entpuppte sich als ein weiterer Sklave. Von da an wollte Tyvara nicht mehr reden und befahl ihm zu schweigen, wann immer er versuchte, ein weiteres Gespräch zu beginnen. Als der Himmel heller wurde, begann sie die Umgebung nach einem geeigneten Versteck abzusuchen, wie sie es am vergangenen Morgen getan hatte. Schließlich verließen sie die Straße und gingen zu einer Stelle, an der einige dünne Bäume nur mit knapper Not eine Feldmauer verdeckten.

Sie hatten sich am vergangenen Tag zwischen dichten, dornigen Büschen versteckt. Diese Bäume würden ihren Zweck jedoch nicht genauso gut erfüllen. Tyvara starrte zu Boden. Er nahm eine Vibration wahr, dann hörte er ein seltsames, reißendes Geräusch, dem ein dumpfer Aufprall und ein Knacken folgten. Eine Staubwolke erhob sich hinter der Mauer, und im nächsten Moment war die Luft erfüllt von Staub und dem Geruch nach Erde.

Vor ihren Füßen tat sich ein Loch auf.

»Hinein mit dir«, sagte Tyvara und deutete auf das Loch.

»Dort hinein?« Lorkin ging in die Hocke und spähte in die Dunkelheit. »Hoffst du, mich bei lebendigem Leib begraben zu können?«

»Nein, du törichter Kyralier«, blaffte sie. »Ich versuche, uns beide zu verstecken. Hinein mit dir, bevor uns jemand sieht.«

Er legte die Hände an die Seiten des Lochs und ließ die Beine hinabbaumeln. Da war kein Boden, den er erreichen konnte. Die Aussicht, in die Dunkelheit zu fallen, hatte keinen Reiz für ihn, daher schuf er einen Lichtfunken. Er erhellte einen gewölbten Boden nicht weit unter seinen Füßen. Er ließ sich fallen, dann hockte er sich hin, so dass er sich in dem Raum darunter bewegen konnte.

Es war ein kugelförmiger Hohlraum, der zum größten Teil unterhalb der Mauer lag. Ein weiteres Loch zeigte einen Kreis heller werdenden Himmels über dem Feld auf der anderen Seite. Durch dieses war die Erde entfernt worden, vermutete er. Zweifellos verhinderte Tyvara mit ihrer Magie, dass der ganze Hohlraum in sich zusammenfiel.

Sie ließ sich fallen und glitt neben ihn, wo sie sich sofort hinsetzte und ihm das Gesicht zuwandte. Der Raum war klein für zwei Personen, und ihre Beine berührten die seinen. Er hoffte, dass sich das Aufblitzen von Interesse, das sich in ihm regte, nicht irgendwie zeigte. Sie sah ihm kurz in die Augen, dann seufzte sie und wandte den Blick ab.

»Entschuldige, dass ich dich angefahren habe. Es kann nicht leicht für dich sein, mir zu vertrauen.«

Er lächelte kläglich. Das Problem ist, ich will ihr vertrauen. Ich sollte jeden Schritt, den sie tut, hinterfragen, vor allem nach dem, was sie mir neulich nachts erzählt hat. Nun, ich würde es tun, aber immer wenn ich sie zum Reden bringe, geschieht etwas, und sie verstummt wieder. Sie betrachtete ihn mit entschuldigender Miene. Vielleicht sollte ich es noch einmal versuchen.

»Schon in Ordnung. Aber es ist nicht das erste Mal, dass ich dich heute Nacht verärgert habe. Was habe ich gesagt, als wir heute Abend über Diener und die Verräterinnen sprachen, das dich gestört hat?«, fragte er.

Ihre Augen weiteten sich, dann verzog sich ihr Mund zu einer dünnen Linie des Widerstrebens. Er dachte, dass sie nicht antworten würde, aber sie schüttelte den Kopf.

»Irgendwann werde ich es dir erklären müssen.« Sie verzog das Gesicht und blickte auf ihre Knie hinab. »Vor vielen Jahren bemerkten meine Leute, dass einer der Ichani, die durch das Ödland streiften, einen seltsamen Sklaven hatte. Einen blassen Mann, wahrscheinlich einen Kyralier.« Ihr Blick flackerte zu seinen Augen, dann wandte sie sich wieder ab. »Dein Vater. Sie haben ihn lange beobachtet und irgendwann begriffen, dass der Sklave ein Gildemagier war.

Das war ungewöhnlich, wie du vielleicht bereits weißt, da Sachakaner es nicht dulden, wenn Sklaven sich auf Magie verstehen. Falls ein Sklave auf natürlichem Wege Kräfte entwickelt, töten sie ihn. Die Versklavung eines fremdländischen Magiers – insbesondere eines Gildemagiers – war außerordentlich und verboten. Aber dies war kein gewöhnlicher Ichani. Er war schlau und ehrgeizig.

Während meine Leute die beiden beobachteten, errieten sie, dass dein Vater nicht über höhere Magie gebot. Eines Tages wurde dann die Tochter der Anführerin meiner Leute furchtbar krank, und schon bald war klar, dass sie im Sterben lag. Unsere Anführerin hatte von den Fähigkeiten der Gilde gehört, mit Magie zu heilen. Wir hatten selbst jahrelang versucht, das Geheimnis zu ergründen, doch ohne Erfolg. Also schickte unsere Anführerin eine von uns zu Eurem Vater, um ihm ein Angebot zu unterbreiten.« Tyvaras Miene verdüsterte sich. »Sie wollte ihn im Gegenzug für heilende Magie höhere Magie lehren.«

Sie sah zu ihm auf. Lorkin starrte sie an. Seine Mutter hatte nie erwähnt, dass sein Vater sich bereitgefunden hatte, eine Gegenleistung für schwarze Magie zu erbringen.

»Und?«, hakte er nach.

»Er war einverstanden.«

»Das darf – durfte – er nicht tun!«, platzte Lorkin heraus.

Tyvara runzelte die Stirn. »Warum nicht?«

»Es ist… es ist eine Entscheidung, die nur die Höheren Magier treffen können. Und dann wahrscheinlich auch nur mit Zustimmung des Königs. Ein so wertvolles Wissen einer anderen Rasse zu geben… einem Volk, das nicht zu den Verbündeten Ländern gehört… es ist zu riskant. Und es würde etwas im Gegenzug gegeben werden müssen.«