»Nein«, widersprach Lorkin. Als er eine andere Stimme ebenfalls protestieren hörte, drehte er sich um, um Orion dankbar zuzunicken, den die Droge ebenso abstieß wie ihn selbst.
Sie hatten es einmal ausprobiert, und Lorkin hatte die Erfahrung beunruhigend gefunden. Es war nicht der Umstand gewesen, dass das Feuel Dekkers grausame Seite zum Vorschein gebracht hatte, so dass er das Mädchen, das zu jener Zeit in ihn vernarrt gewesen war, gereizt und gequält hatte, sondern vielmehr der Umstand, dass Dekkers Verhalten ihn plötzlich nicht mehr gestört hatte. Tatsächlich hatte er es witzig gefunden, obwohl er später nicht mehr verstehen konnte, warum.
Die Schwärmerei des Mädchens hatte an jenem Tag geendet, und Sherrans Liebesgeschichte mit Feuel hatte begonnen. Vor jener Zeit hätte Sherran alles getan, worum Dekker ihn bat. Seit diesem Tag tat er es nur noch dann, wenn es ihn nicht von seinem Feuel abhielt.
»Lasst uns stattdessen etwas trinken«, schlug Perler vor. »Etwas Wein.« Er betrachtete die Dienstmagd, die zögernd an der Tür stand, und nickte, woraufhin die Frau lächelte und davoneilte.
»Trinken Magier denn?«, fragte Jalie. »Ich dachte, das dürften sie nicht.«
»Wir dürfen durchaus«, erwiderte Reater, »aber es ist keine gute Idee, sich allzu sehr zu betrinken. Wenn man die Kontrolle verliert, wirkt sich das wahrscheinlich auf die Magie genauso aus wie auf den Magen oder die Blase.«
»Ich verstehe«, sagte sie. »Also muss die Gilde sicherstellen, dass keine der ProIiis, die sie aufnimmt, Trinker sind?«
Die anderen sahen Lorkin an, und er lächelte unwillkürlich. Sie wussten genau, dass er den Raum verlassen würde, wenn sie mehr als den gelegentlichen Scherz über die einfachen Leute machten.
»Es gibt wahrscheinlich mehr Schnösis, die Trinker sind, als ProIiis«, erklärte Dekker ihr. »Wir haben Methoden, mit ihnen zu verfahren. Was möchtest du trinken?«
Lorkin wandte den Blick ab, als das Gespräch sich dem Thema Getränke zuwandte. »ProIiis« und »Schnösis« waren die Namen, die die reichen und die armen Novizen einander gegeben hatten, nachdem die Gilde beschlossen hatte, auch junge Leute außerhalb der Häuser zur Magierausbildung an der Universität zuzulassen.
Lorkin passte in keine der beiden Gruppen. Seine Mutter stammte aus den Hüttenvierteln, und sein Vater war der Spross eines der mächtigsten Häuser Imardins gewesen. Er war in der Gilde aufgewachsen, fernab von den politischen Manipulationen und Verpflichtungen der Häuser oder dem harten Leben der Hüttenviertel. Die meisten seiner Freunde waren Schnösis. Er hatte es nicht mit Absicht vermieden, sich mit ProIiis zu befreunden, aber obwohl die meisten ProIiis für ihn nicht die gleiche Abneigung wie für die Schnösis zu empfinden schienen, war es schwierig gewesen, mit ihnen zu reden. Erst nach einigen Jahren, als Lorkin einen festen Kreis von Schnösi-Freunden hatte, war ihm klar geworden, dass die ProIiis sich von ihm – oder vielmehr von dem Mann, der sein Vater gewesen war – eingeschüchtert fühlten.
»… Sachaka? Halten sie dort wirklich immer noch Sklaven?«
Lorkin schaltete sich wieder in das Gespräch ein. Beim Namen des Landes, aus dem der Mörder seines Vaters gekommen war, überlief ihn stets ein Schauer. Doch während es früher ein Schauer der Angst gewesen war, rührte er jetzt auch von einer seltsamen Erregung. Seit der Ichani-Invasion hatten die Verbündeten Länder ihre Aufmerksamkeit auf den zuvor lange ignorierten Nachbarn gerichtet. Magier und Diplomaten hatten sich nach Sachaka hineingewagt, in der Hoffnung, zukünftige Konflikte durch Verhandlungen, Geschäfte und Übereinkünfte vermeiden zu können. Wann immer sie zurückkehrten, brachten sie Beschreibungen von einer seltsamen Kultur und einer noch seltsameren Landschaft mit.
»Das tun sie allerdings«, erwiderte Perler. Lorkin setzte sich ein wenig gerader hin. Reaters älterer Bruder war vor einigen Wochen aus Sachaka zurückgekehrt, nachdem er dort ein Jahr lang als Gehilfe des Gildebotschafters gearbeitet hatte. »Obwohl man die meisten von ihnen gar nicht zu sehen bekommt. Deine Roben verschwinden aus deinem Zimmer und tauchen gesäubert wieder auf, aber du siehst niemals, wer sie holt. Den Sklaven, der abgestellt wurde, dich zu bedienen, siehst du natürlich. Wir haben alle einen.«
»Du hattest einen eigenen Sklaven?«, fragte Sherran. »Verstößt das nicht gegen das Gesetz des Königs?«
»Sie gehören uns nicht«, erwiderte Perler achselzuckend. »Die Sachakaner wissen nicht, wie man Dienstboten richtig behandelt, daher müssen wir es ihnen erlauben, uns Sklaven zuzuweisen. Entweder das, oder wir müssten unsere Kleider selbst waschen und unsere Mahlzeiten selbst zubereiten.«
»Was entsetzlich wäre«, bemerkte Lorkin mit gespieltem Grauen. Ihre Dienerin war die Tante seiner Mutter, deren Angehörige ebenfalls als Dienstboten für reiche Leute ihr Geld verdienten. Dennoch besaßen sie eine Würde und Findigkeit, die er respektierte. Er war fest entschlossen, dass er, sollte er jemals häusliche Arbeiten verrichten müssen, sich durch diese Tätigkeiten niemals so gedemütigt fühlen würde wie die anderen Magier.
Perler sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Dafür bleibt keine Zeit. Es gibt immer so viel Arbeit zu erledigen. Ah, da sind die Getränke.«
»Welche Art von Arbeit?«, fragte Orion, während Wein eingeschenkt und Gläser herumgereicht wurden.
»Es müssen Geschäftsabschlüsse ausgehandelt werden, und es gilt zu versuchen, die Sachakaner dazu zu ermuntern, der Sklaverei abzuschwören, um sich den Verbündeten Ländern anzuschließen. Außerdem muss man die sachakanische Politik verfolgen – es gibt eine Gruppe von Rebellen, von denen Botschafter Maron gehört hatte und über die er mehr in Erfahrung zu bringen versuchte, bis er zurückkehren musste, um die Probleme seiner Familie zu lösen.«
»Klingt langweilig«, meinte Dekker.
»Tatsächlich war es ziemlich aufregend.« Perler grinste. »Ein wenig beängstigend bisweilen, aber ich hatte das Gefühl, als täten wir etwas, nun, Historisches. Als bewirkten wir etwas. Als veränderten wir die Dinge zum Besseren – und sei es auch nur mit winzigen Schritten.«
Ein seltsames Gefühl der Erregung durchlief Lorkin. »Denkst du, sie werden beim Thema Sklaverei einlenken?«, fragte er.
Perler zuckte die Achseln. »Einige tun es, aber es ist schwer zu sagen, ob sie es nur vortäuschen, um höflich zu wirken oder um etwas dadurch zu gewinnen. Maron denkt, man könne sie viel eher dazu überreden, die Sklaverei aufzugeben als die schwarze Magie.«
»Es wird schwer sein, sie zur Aufgabe der schwarzen Magie zu überreden, solange wir selbst zwei schwarze Magier haben«, bemerkte Reater. »Kommt mir ein wenig scheinheilig vor.«
»Sobald sie schwarze Magie verbieten, werden wir es ebenfalls tun.«
Dekker drehte sich mit einem Grinsen zu Lorkin um.
»Wenn das geschieht, wird Lorkin das Amt seiner Mutter nicht übernehmen.«
Lorkin schnaubte verächtlich. »Als ob sie mir das erlauben würde. Nein, ihr wäre es viel lieber, wenn ich die Leitung der Hospitäler übernähme.«
»Wäre das so schlimm?«, fragte Orion leise. »Nur weil du Alchemie gewählt hast, bedeutet das nicht, dass du den Heilern nicht helfen könntest.«
»Um etwas Derartiges zu tun, muss man von einer absoluten, unbeirrbaren Hingabe angetrieben werden«, erwiderte Lorkin. »Diese Hingabe besitze ich nicht. Obwohl ich beinahe wünschte, ich hätte sie.«
»Warum?«, fragte Jalie.
Lorkin breitete die Hände aus. »Ich würde gern etwas Nützliches mit meinem Leben anfangen.«
»Pah!«, sagte Dekker. »Wenn du es dir leisten kannst, dein Leben in Müßiggang zu verbringen, warum solltest du es dann nicht tun?«
»Langeweile?«, meinte Orion.
»Wer langweilt sich?«, erklang eine neue Frauenstimme.
Eine ganz andere Art von Erregung durchlief Lorkin. Ihm stockte der Atem, und sein Magen krampfte sich unangenehm zusammen. Alle drehten sich um und sahen eine dunkelhaarige junge Frau eintreten. Sie lächelte, als sie sich im Raum umschaute. Als ihr Blick auf Lorkin fiel, geriet ihr Lächeln ins Wanken, aber nur für einen Moment.