»Nun denn«, sagte er. »Wie wär’s, wenn du das tätest? Zeig mir, wie alt und langsam Gol ist.«
Bei dem Ausdruck auf dem Gesicht seines Leibwächters hätte er beinahe laut aufgelacht. Gols gekränkter, entsetzter Blick machte Wachsamkeit Platz, als Anyi sich ihm zuwandte und in die Hocke ging. In einer Hand blitzte Metall auf. Cery hatte sie nicht nach dem Messer greifen sehen. Er bemerkte, wie sie das Messer hielt, und nickte anerkennend.
Das könnte interessant werden.
»Aber töte ihn nicht«, erklärte er ihr.
Gol hatte sich inzwischen von seiner Überraschung erholt und näherte sich Anyi mit den vorsichtigen, gut ausbalancierten Schritten, die Cery so vertraut waren, und langsam zog er ein Messer. Der große Mann mochte nicht schnell sein, aber er war so massig wie eine Mauer und wusste, wie er den Schwung und das Gewicht eines Gegners gegen ihn einsetzen konnte.
Anyi bewegte sich ebenfalls auf Gol zu, aber Cery stellte zu seiner Freude fest, dass sie nichts überstürzte. Doch sie umkreiste Gol, und das war nicht gut. Ein Leibwächter sollte sich zwischen einem Angreifer und seinem Schutzbefohlenen halten. Das werde ich ihr noch beibringen müssen.
Dann fasste Cery sich wieder und runzelte die Stirn. Werde ich das tun? Sollte ich sie überhaupt in meiner Nähe halten, geschweige denn sie in eine Position bringen, in der die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf sie noch größer wird? Ich sollte ihr Geld geben und sie wegschicken.
Irgendwie wusste er, dass sie damit nicht zufrieden sein würde. Ob er sie wegschickte oder sie bei sich behielt, sie würde irgendetwas tun wollen. Und sie hat kein Versteck. Wie kann ich sie wegschicken?
Aber sie war zäh. Wenn er sie aus der Stadt schickte – vor allem wenn er ihr Geld gab –, würde sie neue Orte finden und sich dort verstecken. Oder sie wird zu dem Schluss kommen, dass sie es nicht länger ertragen kann, eingesperrt zu sein, und alle Vorsicht in den Wind schlagen.
Ein Wirbel von Bewegungen lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Kampf. Anyi hatte Gol angegriffen, wie er bemerkte. Wiederum nicht der beste Schritt für einen Leibwächter. Gol war ihrem Messer geschickt ausgewichen, hatte ihren Arm gepackt und ihren Sprung genutzt, um sie hinter sich auf den Boden zu befördern. Sie stieß ein Heulen des Protestes und des Schmerzes aus, als er ihr den Arm hinter den Rücken drehte und sie damit daran hinderte, sich zu erheben.
Cery trat vor, wand ihr das Messer aus der Hand und wich dann zurück.
»Lass sie aufstehen.«
Gol ließ sie los und zog sich zurück. Er begegnete Cerys Blick und nickte knapp. »Sie ist schnell, aber sie hat einige schlechte Angewohnheiten. Wir werden sie neu ausbilden müssen.«
Cery sah den Mann stirnrunzelnd an. Er hat bereits beschlossen, dass ich sie behalten werde!
Anyi erhob sich, musterte Gol mit zusammengekniffenen Augen, sagte jedoch nichts. Sie sah Cery an, dann blickte sie zu Boden.
»Ich werde lernen«, sagte sie.
»Du hast eine Menge zu lernen«, entgegnete Cery.
»Also wirst du mich als Leibwächterin zu dir nehmen?«
Er hielt inne, bevor er antwortete: »Ich werde darüber nachdenken, sobald du richtig ausgebildet bist, und wenn ich dich für gut genug halte. So oder so, du arbeitest jetzt für mich, und das bedeutet, dass du tun musst, was ich dir befehle. Keine Widerrede. Selbst wenn du nicht weißt, warum.«
Sie nickte. »Das ist gerecht.«
Er ging auf sie zu und gab ihr das Messer zurück. »Und Gol ist nicht alt. Er ist ungefähr im gleichen Alter wie ich.«
Anyi zog die Augenbrauen hoch. »Wenn du glaubst, das bedeute, dass er nicht alt ist, dann brauchst du wirklich einen neuen Leibwächter.«
23
Neue Helfer
Heilerin Nikea kam in den Untersuchungsraum, als Soneas letzte Patientin ging – eine Frau, die erfolglos versuchte, Feuel aufzugeben. Sonea hatte die Frau geheilt, aber ihr Verlangen war dadurch nicht gestillt worden. »Ich muss Euch etwas zeigen«, sagte Nikea. »Ja?« Sonea blickte von den Notizen auf, die sie sich gemacht hatte. »Und was?«
»Etwas«, antwortete Nikea. Sie lächelte und riss vielsagend die Augen auf.
Irgendwie brachte Soneas Herz es fertig, einen Schlag auszusetzen und ihr direkt danach in die Magengegend zu sinken. Wenn Cery eine Nachricht geschickt hatte, hätte Nikea sie ihr überbracht. Dieser vielsagende Blick legte die Vermutung nahe, dass mehr als eine Notiz angekommen war, und Sonea vermutete, dass dieses »Etwas« Cery war.
Er wusste, dass es ihr nicht recht war, wenn er hierherkam. Trotzdem, er musste einen guten Grund dafür haben.
Sie stand auf, verließ den Raum und folgte Nikea den Flur entlang. Sie kamen in den nicht öffentlichen Teil des Hospitals. Zwei Heiler standen im Gang und hatten tuschelnd die Köpfe zusammengesteckt. Ihr Blick ruhte auf der Tür zu einem Lagerraum, wanderte jedoch zu Sonea hinüber, als sie erschien. Sofort richteten sie sich auf und nickten ihr höflich zu.
»Schwarzmagierin Sonea«, murmelten sie, bevor sie davoneilten.
Nikea führte Sonea zu der Tür, die die beiden so interessant gefunden hatten, und öffnete sie. Darin saß auf einer kurzen Leiter eine vertraute Gestalt zwischen Regalreihen voller Bandagen und anderer Krankenhausvorräte. Er lächelte und stand auf. Seufzend trat Sonea ein und zog die Tür hinter sich zu.
»Cery«, sagte sie. »Gibt es gute Neuigkeiten oder schlechte?«
Er lachte leise. »Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Wie geht es dir?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Bestens.« »Du wirkst ein wenig reizbar.«
»Es ist mitten in der Nacht, doch aus irgendeinem Grund haben wir genauso viele Patienten wie tagsüber, nichts, was ich versuche, heilt die Feuelsucht, in der Stadt streunt eine wilde Magierin umher, und statt der Gilde davon zu erzählen, riskiere ich das wenige an Freiheit, was ich habe, indem ich mit einem Dieb zusammenarbeite, der darauf besteht, mich an einem öffentlichen Ort aufzusuchen, und mein Sohn ist noch immer in Sachaka verschollen. Und da soll ich guter Laune sein?«
Cery verzog das Gesicht. »Wohl eher nicht. Also… keine Neuigkeiten über Lorkin?«
»Nein.« Sie seufzte abermals. »Ich weiß, dass du nicht hergekommen wärst, wenn du keinen guten Grund hättest, Cery. Erwarte nur nicht von mir, dass ich dein Erscheinen hier vollkommen ruhig und gelassen aufnehme. Was gibt es Neues?«
Er setzte sich wieder. »Was würdest du davon halten, wenn noch ein Dieb dir helfen würde, die wilde Magierin zu finden?«
Sonea sah ihn überrascht an. »Ist es jemand, den ich kenne?«
»Das bezweifle ich. Er ist einer von den Neuen. Farens Nachfolger. Sein Name ist Skellin.«
»Er muss eine Menge zu bieten haben, wenn du sein Angebot in Erwägung ziehst.«
Cery nickte. »Das hat er. Er ist einer der mächtigsten Diebe in der Stadt. Er hat ein spezielles Interesse am Jäger der Diebe. Vor einer Weile hat er mich gefragt, ob ich ihn auf dem Laufenden halten würde, sollte mir etwas zu Ohren kommen. Er weiß, dass die wilde Magierin vielleicht nicht der Jäger der Diebe ist, hält es aber für lohnend, sie aufzuspüren, um es herauszufinden.«
»Was hat er davon?«
Er lächelte. »Er würde dich gern treffen. Es klingt, als hätte Faren ihm Geschichten erzählt, daher verspürt er den Wunsch, die Legende kennenzulernen.«
Sonea stieß einen wenig damenhaften Laut aus. »Solange er nicht die gleichen Vorstellungen hat wie Faren, was die Frage betrifft, wie nützlich ich ihm sein könnte…«
»Ich bin davon überzeugt, die hat er, aber er wird nicht erwarten, dass du diese Ideen mit ihm teilst.«
»Hat er eine bessere Chance als du, die wilde Magierin zu finden?«
Cery wurde ernst. »Es hat sich herausgestellt, dass sie einem Feuelhändler Gefälligkeiten erwiesen hat. Der Mann hatte sein Geschäft in meinem Gebiet aufgezogen, bis ich der Sache Einhalt geboten habe. Skellin kontrolliert den größten Teil des Handels, daher hoffe ich, er kann –«