»Sprecherin Savara«, sagte sie respektvoll. Dann deutete sie mit einer anmutigen Bewegung auf Lorkin. »Lorkin, Gehilfe des Gildebotschafters Dannyl aus dem Land Kyralia.«
Die Frau lächelte. »Lord Lorkin«, sagte sie. »Falls ich mich nicht irre.«
»Du irrst dich nicht«, erwiderte er und neigte den Kopf. »Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen, Sprecherin Savara.«
Die Frau zog die Augenbrauen hoch. »Es ist höflich von dir, das zu sagen nach allem, was du durchgemacht hast.« Sie holte tief Luft. »Zuerst möchte ich dir von der Königin, aber auch von mir selbst, eine von Herzen kommende Entschuldigung wegen der Störung, der Furcht und der Bedrohung für dein Leben zukommen lassen. Ob Tyvaras Taten für gerechtfertigt gehalten werden sollten oder nicht, du hast eine Menge erdulden müssen, und dafür fühlen wir uns verantwortlich.«
Es schien kein guter Augenblick zu sein, um Tyvara zu verteidigen, daher nickte er nur. »Danke.«
»Wenn du zum Gildebotschafter zurückkehren willst, können wir dich seinem sicheren Schutz überstellen. Ich kann auch veranlassen, dass Führer dich an die kyralische Grenze bringen. Was würdest du vorziehen?«
»Noch einmal danke«, erwiderte Lorkin. »Ich bin mir darüber im Klaren, dass es eine Verhandlung geben wird, bei der Tyvaras Tun beurteilt werden wird, und ich würde wenn möglich gern zu ihrer Verteidigung aussagen.«
Savara zog die Augenbrauen hoch, und ein überraschtes Raunen ging durch die Reihen der Versammelten.
»Das würde bedeuten, dass man ihn ins Sanktuarium bringen müsste«, bemerkte jemand.
»Die Königin würde dem niemals zustimmen.«
»Es sei denn, wir halten die Verhandlung außerhalb des Sanktuariums ab.«
»Nein, das wäre zu gefährlich. Sollte es einen Hinterhalt geben, würden wir zu viele wertvolle Leute verlieren.«
»Niemand wird uns in einen Hinterhalt locken«, sagte Savara entschieden.
Sie drehte sich zu ihren Leuten um, und diese verfielen in Schweigen. Nachdem sie sich wieder Lorkin zugewandt hatte, musterte sie ihn nachdenklich. »Was du dir vorgenommen hast, ist bewundernswert. Ich werde darüber nachdenken. Wie viel weiß die Gilde über uns?«
Lorkin schüttelte den Kopf. »Überhaupt nichts. Nun, zumindest haben sie von mir nichts erfahren. Ich habe mich mit niemandem dort in Verbindung gesetzt.«
»Und was ist mit dem anderen Gildemagier hier?«
Er runzelte die Stirn. »Botschafter Dannyl?«
»Ja. Er ist euch gefolgt, seit ihr Arvice verlassen habt. Zusammen mit einem sehr mächtigen sachakanischen Ashaki.«
»Ich hatte auch keine Verbindung zu Dannyl«, erwiderte Lorkin mit fester Stimme. »Aber es überrascht mich nicht, dass er nach mir sucht. Er ist klug, und es ist unwahrscheinlich, dass er aufgeben wird.« Er hielt inne, während ihm die Wahrheit seiner Worte bewusst wurde. War Dannyl scharfsinnig und entschlossen genug, um ihm bis zum Sanktuarium zu folgen? »Wenn er mich bisher nicht aus den Augen verloren hat, dann geschah es ohne mein Zutun.«
»Aber zweifellos mit reichlich Hilfe von Verräterinnen«, murrte Tyvara.
Savara sah sie an. »Du hast den wahrscheinlichen Preis für das Betreten der Stadt erläutert?«
Tyvara zögerte kurz, dann wandte sie den Blick ab. »Nein. Ich hatte gehofft, dass wir eine Möglichkeit finden würden, das zu umgehen.«
Die Sprecherin runzelte die Stirn, dann seufzte sie und nickte. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Ruht euch aus und esst.«
Daraufhin zerstreute sich die Gruppe; einige der Leute gingen in die Hütten, andere setzten sich auf grobe, schmale Holzbänke, die er für einen primitiven Zaun gehalten hatte. Er, Chari und Tyvara gingen zu einer der Bänke und streiften ihre Bündel ab. Eine junge, wie eine Sklavin gekleidete Frau brachte ihnen kleine, mit Beeren gebackene Kuchen. Als er ihr dankte, lächelte sie.
»Lorkin«, sagte Tyvara.
Er wandte sich zu ihr um. »Ja?«
»Du solltest Savaras Angebot annehmen. Kehr nach Kyralia zurück.«
»Nicht nach Arvice?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich… ich vertraue der anderen Partei nicht. Sie könnten abermals versuchen, dich zu töten.«
»Und wie willst du beweisen, dass sie es schon einmal versucht haben?«
Sie presste die Lippen zusammen. »Ich werde ihnen erlauben, meine Gedanken zu lesen.«
Er hörte, wie Chari scharf die Luft einsog. »Das kannst du nicht tun«, zischte sie. »Du hast es versprochen…« Sie sah Lorkin an, dann biss sie sich auf die Unterlippe.
Tyvara seufzte. »Wir werden eine Möglichkeit finden, es zu vermeiden«, sagte sie zu Chari. An Lorkin gewandt, fügte sie hinzu: »Der Preis, von dem Savara gesprochen hat… Wenn du ins Sanktuarium kommst, besteht die Möglichkeit, dass man dir nicht gestatten wird, wieder fortzugehen. Wärst du bereit, den Rest deines Lebens dort zu bleiben?«
Er starrte sie ungläubig an. Den Rest seines Lebens? Niemals Mutter oder Rothen oder seine Freunde wiedersehen?
»Du hast es ihm nicht gesagt?«, fragte Chari, und ihre Stimme klang schockiert und ungläubig.
Tyvara wandte sich errötend ab. »Nein. Ich konnte ihn nicht nach Arvice zurückschicken. Irgendjemand hätte versucht, ihn zu töten. Ich wusste, sobald ich jemanden von unserer Partei fand, würde er in Sicherheit sein.« »Partei?«
»Lorkin hat den Ausdruck verwendet. Ich spreche von jenen von uns, die der gleichen Meinung sind wie die Königin und Savara, was die… meisten Dinge betrifft.«
Chari nickte. »Eigentlich kein schlechter Ausdruck.« Sie sah ihn an. »Wir haben es vermieden, uns irgendeinen Namen zu geben, weil das bedeutete, dass es einen Riss innerhalb der Verräterinnen gibt, und wenn wir den beiden Seiten Namen gäben, würde das die Leute nur dazu ermutigen, nun, für eine Seite Partei zu ergreifen.« Sie drehte sich zu Tyvara um. »Sie werden vielleicht nicht wollen, dass Lorkin bleibt, da er einer der Gründe für den Riss ist.«
»Niemand von der anderen Seite wird ihm genug vertrauen, um ihn gehen zu lassen, sobald er weiß, wo die Stadt sich befindet. Und ich denke, das Gleiche wird für die meisten Vertreter unserer Seite gelten.«
»Dann verbinden wir ihm die Augen und sorgen dafür, dass er die Stadt nicht wiederfinden kann.«
Tyvara seufzte. »Wir wissen alle, wie gut das beim letzten Mal funktioniert hat.«
»Beim letzten Mal war es ein Sachakaner, und er war ein Spion«, bemerkte Chari. »Bei Lorkin liegt der Fall anders. Und wie soll das Sanktuarium jemals Bündnisse mit anderen Nationen schließen und Handelsabkommen treffen, wenn wir niemals Besucher in die Stadt hinein- und wieder herauslassen?«
Tyvara öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. »Es ist noch zu früh dafür«, sagte sie. »Wir können nicht einmal einander trauen, geschweige denn Fremdländern.«
»Nun, irgendwann müssen wir damit anfangen.« Chari wandte den Blick ab. »Du hast ihn bis hierher gebracht, und jetzt willst du ihn wegschicken. Ich denke, du hast zu große Angst, für irgendjemanden die Verantwortung zu übernehmen.«
Tyvara riss den Kopf hoch und funkelte ihre Freundin an. »Das ist…« Aber sie unterbrach sich. Ihre Augen wurden schmal. Sie stand auf, stolzierte davon und nahm einige Schritte entfernt wieder Platz. Chari seufzte.
»Keine Sorge«, sagte sie zu Lorkin. »Sie ist nicht immer so mürrisch.« Sie sah ihn an und lächelte. »Ich meine es ernst. Wenn sie nicht gerade krank vor Sorge ist, ist sie klug, witzig und recht liebenswert. Und anscheinend ziemlich gut unter der Decke, wie wir hier sagen.« Sie zwinkerte, dann wurde sie wieder ernst. »Wenn auch wählerisch. Nicht irgendein Mann für unsere Tyvara. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.«
Er sah sie an, überrascht über diesen plötzlichen und unerwarteten Strom persönlicher Informationen, dann blickte er zu Boden und hoffte, dass seine Erheiterung und Verlegenheit nicht allzu offenkundig waren. Also, dies ist noch ein Punkt, in dem sich Verräterinnen von kyralischen Frauen unterscheiden. Er dachte an einige der Frauen zurück, mit denen er im vergangenen Jahr das Bett geteilt hatte. Nun, vielleicht sind sie doch nicht so anders, aber gewiss gehen sie offener damit um.