»Wie gesagt: Du hast eine gewaltige Beule am Kopf«, grinste Ben.
»Als du michHerrgenannt hast, hast du mir irgendwie besser gefallen«, knurrte Mike, während er stöhnend die Handflächen gegen die Schläfen presste und darauf wartete, dass der dröhnende Kopfschmerz ein wenig nachließ.
»Du hast wohlwirklicheins auf die Rübe bekommen, wie?«, fragte Ben fröhlich.
Mike entschloss sich, nicht mehr darauf zu antworten. Bens Anblick entschädigte ihn halbwegs für seine gehässigen Worte, denn auch er sah ziemlich ramponiert aus. Abgesehen von ihm und Mike selbst war der Salon vollkommen leer -und vollkommen verwüstet. Die Regale und Schränke hatten ihren gesamten Inhalt über den Boden verteilt, etliche Möbel und alles, was aus Glas oder anderen empfindlichen Materialien bestand, war zerbrochen. Aber wenigstens stand der Raum nicht mehr auf dem Kopf. »Was ist passiert?«, fragte Mike. »Wo sind die anderen?«
»Sie inspizieren das Schiff«, antwortete Ben, »um nach Schäden zu suchen. Ich fürchte, sie werden mehr finden, als ihnen lieb ist.« »So schlimm?«, fragte Mike.
»Schlimmer«, antwortete Ben ernst. »Wir haben tonnenweise Lava auf dem Rumpf. Die NAUTILUS ist ungefähr so manövrierfähig wie eine Badewanne voller Ziegelsteine. Es grenzt wahrlich an ein Wunder, dass wir es überhaupt geschafft haben, aufzutauchen.«
»Aufzu ...?« Mike drehte mit einem Ruck den Kopf und starrte mit weit aufgerissenen Augen aus dem Fenster. Draußen herrschte vollkommene Dunkelheit, die immer wieder von lodernden roten Lichtblitzen durchdrungen wurde.
»Mein Gott, wie ... wie lange war ich bewusstlos?«, murmelte er.
»Über eine Stunde«, antwortete Ben. »Eine Stunde?! Aber dann müsste hier heller Tag herrschen!« »Das ist der Vulkanausbruch«, sagte eine Stimme von der Tür aus. »Die Staub- und Rauchwolken verdunkeln den Himmel.«
Mike drehte den Kopf und erkannte Delamere, der zusammen mit Trautman, Chris und Ben gerade in diesem Moment hereinkam.
»Der Vulkanausbruch? Soll das heißen, wir ... Sie haben es geschafft?«
»Wirwar schon ganz richtig«, verbesserte ihn Delamere. »Ohne eure Hilfe und vor allem ohne euer fantastisches Schiff wäre es wohl nicht ganz so einfach gewesen. Ich kann es immer noch nicht fassen!
Wir sind tatsächlich auf einem Fluss ausLavagefahren!« »Ja«, knurrte Trautman und trat an sein Kontrollpult. »Aber ich möchte es ungern zu einer schlechten Angewohnheit werden lassen. Ich weiß nicht, wie oft die NAUTILUS so etwas noch mitmacht! Sorgen macht mir vor allem die Tauchkammer.« »Was ist damit?«, fragte Mike. »Sie ist voller Lava«, antwortete Trautman. »Sie ist hereingeflossen, als ich die Schleuse geöffnet habe, aber leider nicht mehr hinaus. Und mittlerweile ist sie natürlich erstarrt.« Er machte ein finsteres Gesicht. »Unsere Tauchkammer besteht im Moment aus einem kompakten Lavablock. Ich hoffe, wir bekommen das Zeug jemals wieder heraus!« Mike sah ihn noch einen Moment lang ernst an, dann stand er auf und trat an das große Aussichtsfenster heran. Nachdem sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, stellte sich die Dunkelheit als nicht mehr ganz so total heraus, wie er im ersten Moment angenommen hatte. Er konnte die dünne, gerade Linie des Horizonts erkennen, vor der sich nur manchmal im flackernden roten Feuerschein eine gezackte Silhouette abhob. Der Himmel darüber war nicht schwarz, wie er im ersten Augenblick angenommen hatte, sondern von einem sehr dunklen Braun, auf dem nicht ein einziger Stern zu sehen war. Das musste die Aschewolke sein, von der Delamere gesprochen hatte. Erst danach fragte er sich, wo sie überhauptherkam.»Ich dachte, der Vulkan bricht auf dem Meeresboden aus!«, sagte er.
»Das hatte ich gehofft«, korrigierte ihn Delamere. »Aber die Lava hat sich einen anderen Weg gesucht... keine Sorge. Ich kenne diese Insel dort hinten. Sie war unbewohnt. Und genau genommen ist es so besser.« »Wieso?«
»Sie liegt noch einmal fast zwanzig Meilen von Hathi entfernt«, antwortete Delamere. »Außerdem hätte ein Ausbruch auf dem Meeresboden vielleicht eine gewaltige Springflut zur Folge gehabt. So bekommen sie allenfalls ein bisschen Asche ab.« »Das da sieht nicht gerade harmlos aus«, sagte Mike. Jacques zuckte nur mit den Schultern. »Wir sind über sechzig Seemeilen von Hathi entfernt«, sagte er. »Das sind fast hundert Kilometer. Ich glaube nicht, dass sie in Gefahr sind.«
»In ein paar Stunden wissen wir es«, antwortete Trautman.
»Die Maschinen laufen wieder. Wir werden zwar nicht unsere Höchstgeschwindigkeit erreichen, aber in ein paar Stunden müssten wir zurück sein.«
In einem Punkt irrte sich Delamere: Der Vulkanausbruch, dessen unmittelbarer Zeuge sie geworden waren, war nicht die letzte Eruption. Ungefähr auf halbem Weg nach Hathi beobachteten sie eine weitere, lodernde Feuersäule, die weit im Westen nach dem Himmel griff, und ein paar Mal erbebte das Meer und legte auf diese Weise Zeugnis von weiteren, unterseeischen Ausbrüchen ab. Keiner von ihnen wagte es, den Gedanken laut auszusprechen, nicht nach allem, was sie hinter sich hatten, aber Mike las auf den Gesichtern der anderen einschließlich Trautmans -, dass sie sich ebenso wie er allmählich zu fragen begannen, ob Delameres Plan vielleicht nicht aufgegangen war und möglicherweise alles umsonst gewesen sein mochte.
Der Himmel über ihnen blieb dunkel, auch als sie sich Hathi näherten. Trautman navigierte das Schiff nur nach seinen Instrumenten, und als sie die Insel endlich erreichten, da fuhr er so behutsam in die Bucht ein, wie Mike es selten zuvor erlebt hatte. Wie sich zeigte, mit Recht. Die NAUTILUS schrammte einoder zweimal an plötzlich aufgetauchten Hindernissen vorbei und sie mussten ein gutes Stück weiter von der Küste entfernt anhalten als beim letzten Mal.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Trautman düster. »Diese Felsen waren vorher nicht da.« »Der Meeresboden hat sich verändert«, bestätigte Delamere.
»Ja«, fügte Trautman hinzu. »Und das bedeutet, dass es hier auch nicht unbedingt friedlich geblieben ist.« »Was haben Sie erwartet?«, fragte Delamere in scharfem Ton. »Sie haben dochgesehen,mit welchen Gewalten wir es zu tun haben! Außerdem habe ich nie behauptet, dass es funktioniert!« »Ich frage mich nur, was die Pahuma von der Situation halten«, sagte Ben. »Sie versprechen, ihre Götter zu beruhigen, und kaum ziehen Sie los um Ihr Versprechen einzulösen, da wird der Tag zur Nacht und das Meer fängt an zu beben. Ich hoffe, sie lassen ihre Enttäuschung nicht an ihren Gefangenen aus.« »Es war nichtmeineIdee«, antwortete Delamere ärgerlich, »sondern die deines Freundes.« »Und aus genau diesem Grund werde ich Sie auch begleiten«, sagte Mike.
Aus irgendeinem Grund schien Delamere dieser Vorschlag nicht zu gefallen. Er sah Mike auf sonderbare Weise an, druckste einen Moment herum und schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht nötig«, antwortete er. »Wenn dieser alte Häuptling sein Wort hält, dann kann ich alles genauso gut allein erledigen. Und wenn nicht, gibt es keinen Grund, dein Leben auch noch in Gefahr zu bringen.«
Mike war nicht ganz sicher, was er von diesen Worten halten sollte. Ein solcher Edelmut passte gar nicht zu dem Belgier, so wie er ihn bisher kennen gelernt hatte. Und auch, wenn Jacques' Worte vernünftig klangen, so spürte er doch irgendwie, dass das nicht der einzige Grund war, aus dem er ihn nicht dabeihaben wollte. Plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als dass Astaroth hier wäre.