»Alles in Ordnung?«, fragte er. Trautman nickte. »Ja, auch wenn ich nicht weiß, wie lange noch.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ja schon eine Menge verrückter Dinge erlebt, aber mich in einem Vulkankrater zu verstecken, um vor einem Vulkanausbruch in Sicherheit zu sein ... also das ist verrückt!«
»Hauptsache, es ist sicher«, sagte Singh. Er wirkte ein bisschen nervös. Wie um sich selbst zu beruhigen, fügte er hinzu: »Delamere wird schon wissen, was er tut. Immerhin ist er Spezialist auf diesem Gebiet.« »Wo ist er überhaupt?«, fragte Serena. Mike sah dorthin, wo sich Jacques' Frau und die übrigen Mitglieder seiner Expedition aufhielten. Delamere war jedoch nicht dort, sondern befand sich bereits wieder am Ausgang der Höhle. »Was macht er da?«, wunderte sich Trautman. Draußen schien die Welt unterzugehen. Der Sturm hatte die Wolken davongefegt und das Licht war jetzt eher rot als grau. Trümmer und Lavabrocken regneten vom Himmel und der Boden zitterte noch immer. »Sind wir hier sicher?«, fragte Mike und trat neben den Vulkanologen.
Delamere hob die Schultern, ohne ihn auch nur anzusehen. »Für eine Weile«, sagte er. »Das kommt darauf an.«
»Worauf?«, hakte Trautman nach. Delamere zuckte erneut mit den Schultern. Diesmal sagte er gar nichts.
Trautman schwieg ebenfalls und sah wie Delamere und Mike hinaus. Er wirkte nicht minder besorgt als Delamere, aber nach einigen Augenblicken erschien ein nachdenklicher Ausdruck auf seinem Gesicht. Mike konnte nicht genau sagen, wohin er blickte, aber seine Aufmerksamkeit schien nun nicht mehr allein dem Sturm und den Trümmerbrocken zu gelten, die vom Himmel regneten.
»Was haben Sie?«, fragte Mike alarmiert. »Ich weiß nicht«, gestand Trautman. »Aber irgendetwas ...« Er brach ab, zuckte mit den Schultern und trat wieder einen Schritt zurück. »Ich komme nicht darauf.«
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Jacques. »Es müsste aufhören, aber es scheint immer schlimmer zu werden.«
»Was heißt das?«, fragte Mike erschrocken. »Dass der Vulkan ausbricht? Während wirhier drinnensind? « Bei den letzten Worten hatte seine Stimme eindeutig hysterisch geklungen, selbst in seinen eigenen Ohren.
»Wenn der Vulkan ausbricht«, sagte Delamere betont, »spielt es keine Rolle, wo wir sind. Dann bleibt nämlich von dieser Insel nichts mehr übrig. Aber das wird er nicht.«
Ogdys Zorn verschonte sie tatsächlich; zumindest für die nächste halbe Stunde. Der Sturm wurde für eine kurze Weile noch schlimmer und verlor dann allmählich an Kraft und der tödliche Steinregen hörte ebenfalls langsam, aber sicher auf. Mike hatte Delamere nicht noch einmal gefragt, wie er ihre Chancen einschätzte, lebendig hier herauszukommen, und auch von den anderen hatte keiner eine entsprechende Frage gestellt. Es war überhaupt fast unheimlich still in der Höhle geworden. Von draußen drang weiter das Heulen des Sturmes und das entfernte Grollen des Vulkans herein, aber niemand sprach. Selbst die Gebete der Pahuma waren zu einem gemurmelten Singsang herabgesunken, der sich fast wie ein natürliches Geräusch in das Heulen des Sturmes und das Grollen der protestierenden Erde einfügte.
Ob es nun Zufall war -das Ergebnis dessen, was die NAUTILUS getan hatte, oder die Antwort auf die Gebete der Insulaner -, nach und nach verebbte der Sturm. Der Lavaregen hörte auf und dann verstummte auch der Vulkan.
Schließlich wagten sie es, die Höhle am Ufer des Kratersees wieder zu verlassen und abermals zum Kraterrand hinaufzusteigen.
Es war ein unheimlicher Anblick. Mikes Herz klopfte bis zum Hals, als er neben Serena auf den Grat hinaustrat und nach unten blickte. Er wusste nicht, was er erwartet hatte -aber die Wirklichkeit war schlimmer.
Der Himmel hatte eine bleigraue, unangenehme Färbung angenommen und er schien so tief zu hängen, dass man fast meinte ihn anfassen zu können, wenn man den Arm ausstreckte. Das Meer, das noch vor einer halben Stunde in Aufruhr gewesen war, lag glatt und reglos wie ein zerkratzter matter Spiegel da und statt einer Flammenwand stieg nun im Norden eine gewaltige brodelnde Säule aus weißem Rauch in den Himmel.
Die Insel selbst hatte ihr Aussehen so vollkommen verändert, dass sich Mike im ersten Moment ernstlich fragte, ob sie den Krater vielleicht auf der falschen Seite verlassen hatten. Der Strand war buchstäblich leer gefegt. Wo vorhin noch Sand gewesen war, da erblickte er jetzt nackten, feucht glänzenden Fels, von dem die Flutwelle und der nachfolgende Vulkan auch noch den letzten Krümel Sand heruntergefegt hatten. Das Meer reichte jetzt ein gutes Stück weiter ins Innere der Insel als noch am Morgen und der Fluss und der kleine See an seinem Ende waren unter Tonnen von Sand und Felsgestein verschwunden. Der allergrößte Teil der Palmen dort unten war entwurzelt und umgestürzt; die wenigen Bäume, die stehen geblieben waren, zeigten nur noch nackte Stämme. An Dutzenden von Stellen stiegen schwarze oder graue Rauchsäulen in den Himmel, wo sich brennende Lavabrocken in den Boden gebohrt hatten. Und das Pahuma-Dorf selbst ... war verschwunden.
Mike hatte erwartet, es verwüstet oder vollkommen niedergebrannt vorzufinden, aber es wareinfach nicht mehr da.Nicht ein einziges Trümmerstück war zu sehen, kein Blatt, kein Holzsplitter, nichts. Die gesamte Flanke des Berges glänzte wie frisch poliert. »Wenigstens ist die Asche nicht mehr da«, sagte Serena.
Sie lächelte bei diesen Worten und Mike war klar, dass sie versucht hatte die Situation mit einem Scherz zu entspannen. Aber sie war nervös. Der Klang ihrer Stimme verdarb ihr den gewünschten Effekt und auch Mike war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Und das lag nicht nur an dem furchtbaren Anblick.
Mike traute der unheimlichen Stille nicht. Es war keine normale Ruhe. In der Luft lag eine fast greifbare Spannung, so als ... als hielte die Natur selbst den Atem an.
Ganz langsam begannen sie den Abstieg zum Plateau. Auch die Pahuma verhielten sich sehr still. Vermutlich waren sie ebenso erschüttert wie Mike, ihre Heimat nicht einfach nur zerstört, sondern im wahrsten Sinne des Wortesausgelöschtzu sehen. Trotzdem registrierte Mike zugleich voller Erleichterung, dass die Insulaner ihm und den anderen Gefangenen nun keinerlei Beachtung mehr zu schenken schienen. Auf halbem Wege hinunter zum See zog Trautman das Sprechgerät unter seiner Jacke heraus und versuchte Kontakt zur NAUTILUS aufzunehmen, erntete aber nur die schon bekannten Störungen. Mike sagte nichts dazu, registrierte es aber mit einem Gefühl neuerlicher Sorge. Jacques hatte erklärt, dass die Störungen an irgendwelchen elektrischen Feldern lägen, die durch die Aktivität der Vulkane ausgelöst werden würden. Wenn sie anhielten, dann bedeutete das, dass vielleicht auch die Vulkane noch nicht ganz so erloschen waren, wie es den Anschein hatte.
Kurz bevor sie das Ufer des Sees erreichten, blieb Ah'Kal stehen und auch die anderen Pahuma hielten an und nahmen hinter ihm Aufstellung. Trautman, Mike und die beiden anderen wagten es nicht, den Häuptling anzusprechen, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sahen. Zum ersten Mal nach langer Zeit wieder hielt Mike nach Astaroth Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo sehen. Delamere übrigens auch nicht.
Lange Zeit geschah gar nichts. Ah'Kal stand wie zur Salzsäule erstarrt da und blickte dorthin, wo seine Heimat gewesen war. Auf seinem Gesicht rührte sich kein Muskel. Er blinzelte nicht einmal. Schließlich räusperte sich Mike leise und sagte: »Es tut mir unendlich Leid, Ah'Kal. Ich ... ich wollte, ich könnte etwas für euch tun.«
»Es ist nicht eure Schuld«, antwortete Ah'Kal, ohne den Blick von der Stelle am anderen Ufer des Sees, an dem sein Dorf gestanden hatte, zu lösen. »Die Götter haben uns geprüft. Es war nicht das erste Mal und es wird nicht das letzte Mal sein. Sie haben uns das Leben gelassen, und das allein zählt.« Mike wusste im ersten Moment wirklich nicht, was er sagen sollte. Es lag ihm auf der Zunge, Ah'Kal zu sagen, dass das, was hier passiert war, nichts mit dem Wirken irgendwelcher Götter zu tun hatte, aber er tat es nicht. Trotz allem sprach aus den Worten des alten Mannes eine Weisheit, die ihn schaudern ließ. »Können wir euch irgendwie helfen?«, fragte Trautman.