»Was? - entflohen! -« rief der Baron ganz bestürzt, »entflohen aufs neue?« Der Rittmeister erfuhr nun von dem Baron in aller Eil genug, um einzusehen, welches interessante Abenteuer unterbrochen. - »Sie ist es - Sie ist es! Ha, meine Ahnung hat mich nicht getäuscht!« So schrie der Baron, da der Rittmeister als etwas Absonderliches bemerkte, daß die Dame eine kleine himmelblaue Brieftasche an einer goldnen Kette um den Hals gehängt gehabt. Herr Fuchs, der gerade in der Türe des Ladens gestanden, hatte gesehen, wie der kleine Alte einen herbeieilenden Halbwagen heranwinkte, mit der Dame hineinstieg und dann wegfuhr mit Blitzesschnelle. Man erblickte noch den Wagen ganz am Ende der Linden nach dem Schlosse zu.
»Ihr nach - ihr nach« , rief der Baron, »nimm mein Pferd!« der Rittmeister.
Der Baron schwang sich auf und setzte dem mutigen Roß die Hacken in die Rippen, das aber bäumte sich und brauste dann, freie Kraft und freien Willen übend, wie der Sturmwind fort durch das Brandenburger Tor geraden Strichs nach Charlottenburg, wo der Baron wohlbehalten und eben zu rechter Zeit ankam, um bei der Madame Pauli mit mehreren Bekannten ein Abendessen einzunehmen. Man hatte ihn kommen sehen und rühmte allgemein den scharfen und mutigen Ritt um so mehr, da man gar nicht gewußt, daß der Baron sicher und gewandt genug reite, um es mit einer solchen scheuen wilden Bestie aufzunehmen, als des Rittmeisters Pferd es sei.
Dem Baron war im Innern zumute, als müsse er sein Dasein verfluchen.
Der griechische Heerführer. Das Rätsel
Vielen Trost gab dem Baron die Überzeugung, daß der Gegenstand seines Sehnens und Hoffens doch nun gewiß in den Mauern von Berlin sich befinde und daß jeden Augenblick ein günstiger Zufall ihm das seltsame Paar wieder zuführen könne. Unerachtet der Baron aber mehrere Tage unablässig vom frühen Morgen bis in den späten Abend die Linden durchstrich, so ließ sich doch keine Spur sehen, weder von dem Alten noch von der Dame.
Sehr vernünftig und geraten schien es daher, sich auf das Fremden-Bureau zu begeben und dort nachzuforschen, wo das seltsame Paar, das am vierundzwanzigsten Julius in der Nacht einpassiert, hingekommen.
Dies tat der Baron und entwarf zugleich dem Beamten ein sehr treues Bild des wunderlichen Kleinen und der griechischen Dame. Der Beamte meinte indessen, da von den einpassierten Fremden keine Steckbriefe entworfen würden, so könne ihm jene Schilderung wenig helfen, nachsehen wolle er jedoch, was für Fremde überhaupt in jener Nacht angelangt. Außer dem griechischen Kaufmann Prosocarchi von Smyrna fand sich indessen kein Ankömmling von fremdartiger Natur, lauter Amtsräte, Justizaktuarien und so weiter aus der Provinz waren am vier- und fünfundzwanzigsten Julius durch die Tore von Berlin hineingefahren. Besagter Kaufmann Prosocarchi war aber ohne alle Begleitung angekommen, schon deshalb konnte es nicht der kleine Alte sein, zum Überfluß begab sich aber der Baron zu ihm hin und fand einen schönen großen Mann von angenehmer Bildung, dem er mit Vergnügen einige Pastilles du serail und auch Balsam von Mekka, der das verstauchte Bein des Magus kuriert, abkaufte. Prosocarchi meinte übrigens auf Befragen, ob er nichts von einer griechischen Fürstin wisse, die sich in Berlin aufhalte, daß dies wohl nicht der Fall sein werde, da er sonst schon gewiß einen Besuch von ihr erhalten. Übrigens aber sei es gewiß, daß sich ein vertriebener Primat von Naxos aus einer uralten fürstlichen Familie mit seiner Tochter in Deutschland umhertreibe, den er indessen niemals gesehen.
Was blieb dem Baron übrig, als jeden Tag, wenn die Witterung günstig, nach jener verhängnisvollen Stelle im Tiergarten zu wallfahrten, wo er die Brieftasche gefunden und die, wie es aus dem darin befindlichen Blättlein zu entnehmen, der Lieblingsplatz der Griechin geworden.
»Es ist« , sprach der Baron, als er auf der Bank saß bei der Statue des Apollo, zu sich selbst, »es ist gewiß, daß sie, die Herrliche, Göttliche, mit ihrem krummen Magus diesen Platz öfters besucht, aber wie ist es möglich, hilft nicht ein glücklicher Zufall, daß ich den Augenblick treffe, wenn sie zugegen? - Nimmer - nimmer sollt ich diesen Ort verlassen, ewig hier weilen, bis ich sie gefunden!«
Aus diesem Gedanken entstand der Entschluß, gleich hinter der verhängnisvollen Bank, neben dem Baum mit der Inschrift eine Einsiedelei anzulegen und fern von dem Geräusch der Welt in wilder Einöde ganz dem Schmerz der sehnsuchtsvollen Liebe zu leben. Der Baron überlegte, auf welche Weise er bei der Regierung zu Berlin um die Erlaubnis nachsuchen müsse zum beschlossenen Bau und ob er nicht zu dem Eremitenkleid auch einen falschen Bart tragen solle, den er dann, wenn er sie gefunden, mit vieler Wirkung herabreißen könne vom Kinn. Während diesen Betrachtungen war es aber ziemlich finster geworden, und der rauhe Herbstwind, der durch die Bäume strich, mahnte den Baron, daß es, da die Einsiedelei noch nicht stehe, geraten sein würde, anderswo Dach und Fach zu suchen. - Wie bebte ihm aber das Herz, als er, aus dem dichten Laubgange herausgetreten, den Alten mit der verschleierten Dame vor sich herschreiten sah. Beinahe besinnungslos stürzte er dem Paar nach und rief ganz außer sich: »O mein Gott - endlich - endlich - ich bin's - Theodor - die blaue Brieftasche!« - »Wo ist sie, die Brieftasche - haben Sie sie gefunden? - Gott sei gedankt!« - So rief der Kleine, indem er sich umwandte. Und dann: »Ha, sind Sie es, bester Baron? - Nun, das ist ein wahres Glück, ich gab mein Geld schon verloren.«
Niemand anders aber war der Kleine, als der Bankier Nathanael Simson, der mit seiner Tochter eben von einem Spaziergange zurückkehrte nach seiner im Tiergarten belegenen Wohnung. Man kann denken, daß der Baron nicht wenig betreten war über seinen Irrtum, und das um so mehr, als er sonst der ganz hübschen, aber ein wenig alternden Amalia (so hieß des Bankiers Tochter) sehr stark den Hof gemacht, sie aber dann verlassen. Mit beißendem Spott hatte Amalia über des Barons verfehlte Reise nach Griechenland gesprochen, und eben deshalb der Baron sie vermieden, wie er nur konnte. »Sieht man Sie endlich wieder, lieber Baron!« So begann Amalia, doch Simson ließ sie nicht zu Worte kommen, sondern fragte unaufhörlich nach der Brieftasche. Es fand sich, daß er vor einigen Tagen, was ihm sonst nie geschehen, in den Gängen des Tiergartens eine Brieftasche, worin ein Funfzigtaler-Tresorschein befindlich, verloren, und diese, glaubt er, hätte der Baron gefunden. Der Baron war ganz verwirrt über das Mißverständnis und wünschte sich hundert Meilen fort. Indem er aber sich loszumachen strebte, hing Amalia ohne Umstände ihren Arm in den seinen und meinte, daß man einen werten Freund, den man so lange nicht gesehen, festhalten müsse. - Der Baron fand keine Entschuldigung, er mußte sich bequemen, mit der Familie Tee zu trinken. Amalia hatte sich in den Kopf gesetzt, den Baron aufs neue an sich zu fesseln. Sie forderte ihn auf, so viel von dem Abenteuer, das er in Griechenland zu bestehen gedacht, zu erzählen, als er dürfe, ohne vielleicht tiefe Geheimnisse zu verraten, in die sie nicht eindringen wolle, und da sie alles, was der Baron vorbrachte, himmlisch, göttlich, sublim fand, so ging diesem immer mehr das Herz auf. Er konnt es nicht unterlassen, alles herauszusagen, wie es sich in der Nacht vom vier- zum fünfundzwanzigsten Julius sowie im Fuchsischen Laden begeben. Amalia bezwang sehr geschickt das Lachen, zu dem sich ein paarmal die Mundwinkel verzogen, beschwor den Baron, doch einmal zur Abendzeit sie im neugriechischen Kostüm zu besuchen, da er darin ganz allerliebst aussehen müsse, und schien zuletzt plötzlich in einen halbträumerischen Zustand zu versinken. »Es ist vorüber!« sprach sie dann. Natürlicherweise fragte der Baron, was denn vorüber sei, und nun vertraute Amalia, daß sie soeben von dem Andenken an einen äußerst merkwürdigen Traum ergriffen worden, den sie vor einiger Zeit, und zwar, wie es ihr jetzt bestimmt beifalle, in der Nacht vom vier- zum fünfundzwanzigsten Julius geträumt. - Da sie in Friedrich Richters Werken wohlbelesen, so gelang es ihr in dem Augenblick einen Traum zu improvisieren, der phantastisch genug klang und dessen Tendenz in nichts Geringerem bestand, als des Barons Erscheinung in neugriechischer Tracht, wie alle ihre innerste Liebe entzündend, darzustellen. - Der Baron war hin! - Die Griechin, die Einsiedelei, die blaue Brieftasche vergessen!