Выбрать главу

Sie kann doch keine Aes Sedai sein.

Dann führte der Weg abwärts, und als bereits ein Versprechen der nahenden Dämmerung in der Luft lag, machte Brudermörders Dolch abgerundeten welligen Hügeln Platz, auf denen mehr Unterholz als Wald wuchs, mehr Hecken als Bäume. Es gab keine Straße, nur einen Feldweg, der vielleicht von Zeit zu Zeit von einem Karren befahren wurde. An einigen der Hügel waren terrassenförmige Felder angelegt worden. Das Getreide stand gut, aber um diese Zeit waren keine Menschen zu sehen. Die verstreut liegenden Bauernhöfe waren so weit von ihrem Weg entfernt, daß Rand kaum etwas erkennen konnte. Die Häuser waren aus Stein erbaut.

Als das Dorf vor ihnen auftauchte, leuchteten in einigen Fenstern bereits abendliche Lichter.

»Heute nacht schlafen wir in Betten«, sagte er.

»Das werde ich zu genießen wissen, Lord Rand.« Hurin lachte. Loial nickte zustimmend.

»Eine Dorfschenke«, murrte Selene. »Zweifellos schmutzig und voll von ungewaschenen Männern, die Bier saufen. Warum können wir nicht wieder unter den Sternen nächtigen? Mir ist bewußt geworden, daß ich gern unter freien Himmel schlafe.«

»Es würde Euch nicht gefallen, wenn uns Fain einholte, während wir schlafen«, sagte Rand. »Er und diese Trollocs. Er verfolgt mich, Selene. Er will auch das Horn, und er kann mich finden. Warum, glaubt Ihr, habe ich in den letzten Nächten so genau aufgepaßt?«

»Wenn Fain uns einholt, werdet Ihr mit ihm fertig.« Ihre Stimme klang kühl und selbstbewußt. »Und es könnte im Dorf auch Schattenfreunde geben.«

»Selbst dann, wenn sie wissen, wer wir sind, können sie in Gegenwart aller anderen Dorfbewohner nicht viel unternehmen. Oder glaubt Ihr, jeder Einwohner des Dorfs ist ein Schattenfreund?«

»Und wenn sie entdecken, daß Ihr das Horn bei Euch habt? Ob Ihr nun Ruhm sucht oder nicht — sogar die Bauern träumen davon.«

»Sie hat recht, Rand«, sagte Loial. »Ich fürchte, sogar Bauern wollen es möglicherweise stehlen.«

»Roll deine Decke auf, Loial, und wirf sie über die Truhe. Halte sie bedeckt.« Loial gehorchte, und Rand nickte. Es war klar zu sehen, daß sich unter der gestreiften Decke des Ogiers eine Kiste oder Truhe befand, aber nichts wies darauf hin, daß es sich um mehr als einen Reisekoffer handelte. »Die Kleidertruhe meiner Lady«, grinste Rand mit einer Verbeugung.

Selene begegnete seinem Scherz mit Schweigen und einem nicht zu deutenden Blick. Einen Augenblick später ritten sie weiter.

Fast im gleichen Moment wurde ein Strahl der untergehenden Sonne glitzernd von einem Gegenstand auf dem Boden reflektiert. Es war etwas Großes. Nach dem davon ausgehenden Strahlen war es sogar etwas sehr Großes. Neugierig wendete er sein Pferd.

»Lord Rand?« fragte Hurin. »Das Dorf?«

»Ich will mir das ansehen«, sagte Rand. Es strahlt heller als Sonnenschein auf dem Wasser. Was kann das sein?

Da er nur auf das reflektierte Licht achtete, überraschte es ihn, daß der Braune plötzlich stehenblieb. Beinahe hätte er den Hengst weiter vorangetrieben, doch rechtzeitig wurde ihm klar, daß sie an der Kante einer tiefen, enorm großen Lehmgrube standen. Der größte Teil des Hügels war bis zu einer Tiefe von mindestens hundert Schritt abgegraben worden. Bestimmt war sogar mehr als nur ein Hügel verschwunden und vielleicht noch einige Felder dazu, denn das Loch war bestimmt zehnmal so breit wie tief. Die entlegene Seite war offensichtlich zu einer Rampe festgetreten worden. Am Grund der Grube befanden sich Menschen, ein Dutzend vielleicht, die ein Feuer entfachten. Dort drunten war bereits Nacht. Hier und da spiegelte sich das letzte Tageslicht auf einer Rüstung, und an den Hüften der Männer hingen Schwerter. Rand beachtete sie kaum.

Aus dem Lehm am Grund der Grube ragte eine gigantische Steinhand, die eine Kristallkugel hielt, und diese war es, die den letzten Sonnenschein reflektierte. Rand bestaunte deren Größe. Er war sicher, daß sich nicht ein einziger Kratzer auf der Oberfläche der glatten Kugel befand, und sie hatte einen Durchmesser von mindestens zwanzig Schritt!

In einiger Entfernung von der Hand hatte man ein dementsprechend großes Steingesicht ausgegraben. Das Gesicht eines bärtigen Mannes erhob sich mit der Würde hohen Alters aus dem Lehm. Die breiten Gesichtszüge strahlten Weisheit und Wissen aus.

Ungebeten bildete sich das Nichts. Nach einem Augenblick war es bereits vollständig, und Saidin glühte und lockte. Er konzentrierte sich so auf das Gesicht und die Hand, daß ihm gar nicht klar wurde, was geschah. Er hatte einst gehört, wie ein Kapitän von einer riesigen Hand erzählte, die eine enorme Kristallkugel hielt. Bayle Domon hatte behauptet, sie stecke in einem Hügel auf der Insel Tremalking.

»Das ist gefährlich«, sagte Selene. »Kommt weg, Rand.«

»Ich glaube, ich sehe einen Weg hinunter«, sagte er abwesend. Saidin sang ihm ein Lied. Die riesige Kugel schien im Schein der untergehenden Sonne weiß zu glühen. Es schien ihm, daß in den Tiefen des Kristalls Licht wirbelte und im Rhythmus des Liedes von Saidin tanzte. Er fragte sich, warum die Männer dort unten das offensichtlich nicht bemerkten.

Selene ritt näher heran und faßte ihn am Arm. »Bitte, Rand, Ihr müßt mitkommen.« Er sah verblüfft ihre Hand an. Dann folgte sein Blick ihrem Arm bis hinauf zu ihrem Gesicht. Sie schien wirklich besorgt, vielleicht sogar voller Angst zu sein. »Wenn dieser Abhang nicht unter unseren Pferden nachgibt und wir uns beim Fallen den Hals brechen, dann sind diese Männer da unten Wachen, und niemand stellt Wachen auf, wenn jeder Vorbeikommende das hier sehen soll. Was hilft es Euch, wenn Ihr Fain abhängt, aber von den Wachen irgendeines Lords festgenommen werdet? Kommt weg von hier.«

Plötzlich — auch wenn es nur ein entfernter, flüchtiger Gedanke war — wurde ihm bewußt, daß ihn das Nichts umgab. Saidin sang, und die Kugel pulsierte. Er konnte es fühlen, ohne hinzusehen. Ihm kam die Idee, daß er nur das Lied von Saidin mitsingen mußte, damit das riesige Steingesicht den Mund öffnete und ebenfalls mitsang. Zusammen mit ihm und Saidin. Alle zusammen.

»Bitte, Rand«, sagte Selene. »Ich gehe auch mit Euch zum Dorf. Ich erwähne das Horn nicht mehr. Wenn Ihr nur mitkommt!«

Er ließ das Nichts fahren... aber es verschwand nicht. Saidin sang und das Licht in der Kugel schlug wie ein Herz. Wie sein Herz. Loial, Hurin, Selene, alle sahen ihn an, aber sie schienen das grandiose Leuchten der Kristallkugel nicht zu bemerken. Er versuchte das Nichts beiseite zu schieben. Es hielt ihm stand wie Granit. Er schwebte in einer Leere, die so hart war wie Stein. Das Lied von Saidin, das Lied der Kugeclass="underline" Er fühlte, wie seine Knochen mitvibrierten. Zornig weigerte er sich, nachzugeben. Er fühlte tief in sich hinein. Ich werde nicht...

»Rand.« Er wußte nicht, wessen Stimme das war. ... fühlte nach dem Kern seines Seins, dessen, was er war...

... werde nicht...

»Rand.« Das Lied erfüllte ihn, füllte die Leere. ... berührte Stein, erhitzt von einer erbarmungslosen Sonne, abgekühlt von einer gnadenlosen Nacht... ... nicht...

Licht erfüllte ihn, blendete ihn.

»Bis der Schatten vergangen«, murmelte er, »bis das Wasser vergangen... «

Macht erfüllte ihn. Er war eins mit der Kugel.

»... in den Schatten mit gebleckten Zähnen... «

Die Macht war sein. Die Eine Macht war sein.

»... dem Sichtblender ins Auge spucken... «

Macht, um die Welt zu zerstören.

»... am letzten Tag!« Es brach als Schrei aus ihm heraus, und das Nichts war verschwunden. Der Braune scheute, als er schrie. Lehm bröckelte unter den Hufen des Hengstes ab und fiel in die Grube hinunter. Der großrahmige Hengst ging in die Knie. Rand beugte sich vor und nahm die Zügel fest in die Hand. Der Braune kletterte zurück in Sicherheit — ein Stück von der Abbruchkante entfernt.