»Sie haben mich nicht beleidigt.« Die Aussprache des Offiziers erinnerte ihn an Moiraine, so genau sprach er jedes einzelne Wort aus. Hat sie mich wirklich einfach fortgelassen? Ich frage mich, ob sie mir folgt. Oder auf mich wartet. »Setzt Euch doch bitte, Hauptmann.« Caldevwin zog einen Stuhl vom Nachbartisch heran. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, Hauptmann, dann beantwortet mir doch bitte eine Frage. Habt Ihr in letzter Zeit Fremde gesehen? Ein Dame, klein und schlank, und einen Kämpfer mit blauen Augen? Er ist groß und trägt manchmal das Schwert auf dem Rücken.«
»Ich habe überhaupt keine Fremden gesehen«, sagte er, während er sich steif auf den Stuhl sinken ließ. »Außer Euch und Eurer Lady, Eure Lordschaft. Wenig Adlige verirren sich jemals hierher.« Sein Blick huschte leicht beunruhigt zu Loial, während er Hurin als Diener übersah.
»Es war nur so eine Idee.«
»Beim Licht, Eure Lordschaft, und bei allem Respekt, aber dürfte ich Eure Namen wissen? Es gibt hier so wenig Fremde, daß ich jeden von ihnen kennen möchte.«
Rand nannte ihm seinen Namen — er fügte keinen Titel hinzu, aber das schien der Offizier nicht zu bemerken —und erklärte, was er auch zur Wirtin gesagt hatte: »Von den Zwei Flüssen in Andor.«
»Ein erstaunliches Land, wie ich gehört habe, Lord Rand — ich darf Euch doch so nennen? —, und gute Kämpfer, die Männer von Andor. Niemand aus Cairhien hat das Schwert eines Schwertmeisters in so jungen Jahren gewonnen wie Ihr. Ich habe einst einige Männer aus Andor kennengelernt, darunter den Generalhauptmann der königlichen Garde. Ich kann mich zu meiner Scham nicht an seinen Namen erinnern. Könntet Ihr mir vielleicht damit dienen?«
Rand bemerkte die Serviererinnen, die im Hintergrund zu putzen und kehren begannen. Caldevwin schien sich nur unterhalten zu wollen, aber sein Blick lauerte durchbohrend. »Gareth Bryne.«
»Natürlich. Jung, und doch hat er schon eine solche Verantwortung.«
Rand behielt seinen ruhigen Tonfall bei: »Gareth Bryne hat genug graue Haare, um Euer Vater zu sein, Hauptmann.«
»Vergebt mir, Lord Rand. Ich wollte sagen, daß er schon jung dieses Amt erlangte.« Caldevwin wandte sich Selene zu und sah sie einen Moment lang nur an. Schließlich schüttelte er sich, als erwache er aus einer Trance. »Vergebt mir, Lady, daß ich Euch so ansah, und vergebt mir meine Worte, aber die Schönheit hat Euch reich gesegnet. Nennt Ihr mir einen Namen für soviel Schönheit?«
Gerade als Selene den Mund öffnete, schrie eine der Bedienungen auf und ließ eine Lampe fallen, die sie von einem Regal heruntergenommen hatte. Öl spritzte und bildete eine flammende Lache auf dem Boden. Rand sprang zusammen mit den anderen auf, doch bevor einer von ihnen sich rühren konnte, erschien Frau Madwen, und sie und das Mädchen erstickten die Flammen mit ihren Schürzen.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst aufpassen, Catrine«, sagte die Wirtin und schwenkte die rußige Schürze unter der Nase des Mädchens. »Du wirst noch die ganze Schenke niederbrennen und dich mit!«
Das Mädchen schien den Tränen nahe. »Ich habe aufgepaßt, Frau Madwen, aber ich spürte plötzlich ein solches Zwicken im Arm.«
Frau Madwen hob beschwörend die Arme. »Du hast immer eine Ausrede und doch zerbrichst du mehr Geschirr als alle anderen. Ach, ist schon in Ordnung. Putz es auf und verbrenn dich nicht dabei.« Die Wirtin wandte sich Rand und den anderen zu, die immer noch am Tisch standen. »Ich hoffe, keiner von Euch wird das falsch verstehen. Das Mädchen wird natürlich die Schenke nicht niederbrennen. Sie behandelt das Geschirr etwas rauh, wenn sie wieder mal einem jungen Burschen schöne Augen macht, aber sie hat noch nie zuvor Schwierigkeiten mit einer Lampe gehabt.«
»Ich möchte gern in mein Zimmer gebracht werden. Mir geht es doch nicht so gut.« Selene sprach so langsam, als sei sie sich der Reaktion ihres Magens nicht sicher, aber es klang genauso kühl und ruhig wie immer, und so sah sie auch aus. »Die Reise und das Feuer... «
Die Wirtin gluckste wie eine Henne. »Natürlich, Lady. Ich habe ein schönes Zimmer für Euch und Euren Lord. Soll ich Mutter Caredwain holen lassen? Sie hat viel Geschick mit Heilkräutern.«
Selenes Tonfall verschärfte sich. »Nein. Und ich will ein Zimmer für mich allein.«
Frau Madwen sah Rand an, doch im nächsten Moment verbeugte sie sich und geleitete Selene zur Treppe. »Wie Ihr wünscht, Lady. Lidan, hol die Sachen der Lady. Sei ein gutes Mädchen.« Eines der Mädchen eilte zu Hurin und nahm ihm Selenes Satteltaschen ab. Dann verschwanden die Frauen nach oben. Selene schritt mit steifem Kreuz und schweigend hinauf.
Caldevwin blickte ihnen nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren, dann schüttelte er sich wieder. Er wartete darauf, daß Rand sich setzte, und nahm seinen Stuhl wieder ein. »Vergebt mir, Lord Rand, daß ich Eure Lady so anstarrte, aber Ihr seid wirklich ein beneidenswerter Mann, nichts für ungut.«
»Ist schon gut«, sagte Rand. Er fragte sich, ob alle Männer die gleichen Gefühle empfanden wie er, wenn sie Selene anblickten. »Als ich auf das Dorf zuritt, Hauptmann, sah ich eine riesige Kugel. Sie schien aus Kristall zu bestehen. Was ist das?«
Der Blick des Mannes aus Cairhien wurde schärfer. »Sie ist ein Teil der Statue, Lord Rand«, sagte er bedächtig. Sein Blick huschte zu Loial hinüber; einen Moment lang schien ein neues Element in seine Überlegungen einzufließen.
»Statue? Ich sah eine Hand und auch ein Gesicht. Sie muß riesig sein.«
»Das ist sie, Lord Rand. Und alt.« Caldevwin schwieg. »Aus dem Zeitalter der Legenden, hat man mir erzählt.«
Rand überlief es kalt. Das Zeitalter der Legenden, als überall die Eine Macht in Gebrauch war, falls man den Geschichten darüber Glauben schenken konnte. Was ist dort geschehen? Ich weiß, da war etwas.
»Das Zeitalter der Legenden«, sagte Loial. »Ja, das muß stimmen. Keiner wußte seither solch großartige Arbeiten auszuführen. Eine sehr wichtige Aufgabe, diese Ausgrabungen, Hauptmann.« Hurin saß schweigend da, als höre er gar nicht zu und sei überhaupt nicht da.
Caldevwin nickte zögernd. »Ich habe fünfhundert Arbeiter im Lager bei den Ausgrabungen, trotzdem werden wir viel Zeit über den Sommer hinaus brauchen, um alles freizulegen. Das sind Leute aus Vortor. Meine Arbeit besteht zur Hälfte daraus, sie zum Graben anzutreiben, und zur anderen Hälfte, sie vom Dorf fernzuhalten. Die Leute aus Vortor haben eine Schwäche fürs Trinken und Austoben, versteht Ihr, und diese Menschen hier führen ein ruhiges Leben.« Seinem Tonfall nach lagen seine Sympathien eindeutig bei den Dorfbewohnern.
Rand nickte. Er interessierte sich nicht für die Menschen in Vortor, wo immer das auch sein mochte. »Was wird dann mit der Figur geschehen?« Der Hauptmann zögerte, aber Rand sah ihn so lange an, bis er sich äußerte.
»Galldrian selbst hat befohlen, daß sie in die Hauptstadt gebracht wird.«
Loial zwinkerte überrascht. »Das wird aber ein hartes Stück Arbeit. Ich möchte wissen, wie man etwas so Großes so weit transportieren kann.«
»Seine Majestät hat es befohlen«, sagte Caldevwin in scharfem Ton. »Die Figur wird außerhalb der Stadt aufgestellt als Sinnbild der Größe Cairhiens und des Hauses Riatin. Ogier sind nicht die einzigen, die es verstehen, mit Stein umzugehen.« Loial blickte verletzt drein, und der Hauptmann beruhigte sich sichtlich. »Verzeihung, Freund Ogier. Ich habe vorschnell und unhöflich gesprochen.« Er klang aber immer noch ein wenig barsch. »Werdet Ihr lange in Tremonsien bleiben, Lord Rand?«
»Wir reisen morgen früh ab«, sagte Rand. »Wir sind unterwegs nach Cairhien.«
»Wie der Zufall will, schicke ich morgen einige meiner Soldaten in die Stadt zurück. Ich muß sie immer wieder austauschen. Es ermüdet sie, Männern beim Schaufeln und Hacken zuzuschauen. Ihr habt doch nichts dagegen, in ihrer Gesellschaft zu reisen?« Er formulierte es als Frage, doch so, als sei ihr Einverständnis vorweggenommen. Frau Madwen erschien auf der Treppe, und er erhob sich. »Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet, Lord Rand; ich muß früh aufstehen. Also, dann bis morgen. Die Gnade des Lichts sei mit Euch.« Er verbeugte sich vor Rand, nickte Loial zu und ging.