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Sie runzelte die Stirn, als er vor ihr ausspuckte und an ihr vorbeieilte. Cenn war noch nie ein angenehmer Umgang gewesen, aber er war selten so offen unhöflich. Jedenfalls nicht zu ihr. Ihr Blick folgte ihm, und sie erblickte überall im Dorf Anzeichen von Vernachlässigung — Dächer, die schadhaft geworden waren, und Unkraut in den Höfen. Die Tür des Hauses von Frau al'Caar hing schief an einem gebrochenen Scharnier.

Nynaeve schüttelte den Kopf und trat in die Schenke. Ich werde mir Bran einmal richtig vornehmen müssen. Der Schankraum war leer bis auf eine einzelne Frau, die ihren dicken ergrauten Zopf über die Schulter geschlungen hatte. Sie wischte gerade einen Tisch ab, aber aus der Art, wie sie die Tischfläche anstarrte, schloß Nynaeve, daß sie gar nicht merkte, was sie tat. Der Raum erschien ihr staubig.

»Marin?«

Marin al'Vere zuckte zusammen, eine Hand an der Kehle, und sah sie mit großen Augen an. Sie wirkte um Jahre gealtert, seit Nynaeve sie zum letzten Mal gesehen hatte. Verbraucht. »Nynaeve? Nynaeve! Oh, du bist es wirklich! Egwene? Hast du Egwene zurückgebracht? Sag, daß sie da ist.«

»Ich... « Nynaeve drückte sich eine Hand gegen die Stirn. Wo ist Egwene? Es schien ihr, als sollte sie das wissen. »Nein, nein, ich habe sie nicht mitgebracht.« Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal. Frau al'Vere sackte auf einen der Stühle mit ihren geraden hohen Lehnen. »Ich hatte so darauf gehofft. Seit Bran starb... «

»Bran ist tot?« Nynaeve konnte sich das nicht vorstellen; dieser breite, lächelnde Mann war ihr immer als ein Mensch erschienen, der nie aus ihrem Leben verschwinden könne. »Ich hätte hierbleiben sollen.«

Die Frau sprang auf und eilte zum Fenster und spähte ängstlich auf das Grün und das Dorf hinaus. »Wenn Malena erfährt, daß du hier bist, dann gibt es Ärger. Bestimmt hatte Cenn nichts Besseres zu tun, als zu ihr zu rennen. Er ist jetzt Bürgermeister.«

»Cenn? Wie konnten diese Wollköpfe ausgerechnet Cenn wählen?«

»Das war Malena. Sie brachte den ganzen Frauenzirkel dazu, daß sie ihre Männer beeinflußten, sie sollten Cenn wählen.« Marin drückte die Nase an der Fensterscheibe platt und versuchte gleichzeitig nach allen Seiten zu blicken. »Diese dummen Männer sprachen nicht darüber, wessen Namen sie zuvor in die Urne legten; ich glaube, jeder Mann, der für Cenn stimmte, dachte, er sei der einzige, dessen Frau ihn dazu getrieben hatte. Dachte sich, daß eine Stimme nicht viel ausmachen werde. Na ja, jetzt wissen sie es besser. Wir alle wissen es besser.«

»Wer ist diese Malena, die den Frauenzirkel mißbraucht, um ihre Ziele durchzusetzen? Ich habe noch nie von ihr gehört.«

»Sie kommt aus Wachhügel. Sie ist die Seh... « Marin wandte sich vom Fenster ab und rang die Hände. »Malena Aylar ist jetzt die Seherin hier, Nynaeve. Als du nicht zurückkamst... Licht, ich hoffe, sie bekommt nicht heraus, daß du hier bist.«

Nynaeve schüttelte staunend den Kopf. »Marin, du hast ja Angst vor ihr. Du zitterst ja. Was für eine Frau ist das denn? Warum hat der Frauenzirkel eine wie sie gewählt?«

Frau al'Vere lachte bitter. »Wir müssen verrückt gewesen sein. Malena kam herüber, um Mavra Mallen zu besuchen, einen Tag bevor Mavra nach Devenritt zurückkehren mußte, und da in dieser Nacht mehrere Kinder krank wurden, blieb Malena und kümmerte sich um sie. Dann begannen die Schafe zu sterben, und Malena kümmerte sich auch darum. Es erschien uns ganz natürlich, sie zu wählen, aber... Sie ist eine Tyrannin, Nynaeve. Sie unterdrückt jeden, bis man tut, was sie will. Sie hackt auf einem herum, immer wieder, bis man zu müde ist, um noch nein zu sagen. Und noch schlimmer. Sie schlug Alsbet Luhhan nieder.«

Ein Bild schoß Nynaeve durch den Kopf: Alsbet Luhhan und ihr Mann Haral, der Schmied. Sie war beinahe so groß wie er und kräftig. Dabei sah sie recht gut aus. »Alsbet ist fast genauso stark wie Haral. Ich kann nicht glauben... «

»Malena ist keine große Frau, aber sie ist — sie ist wild, Nynaeve. Sie prügelte Alsbet mit einem Stock über das ganze Grün, und keine von uns, die es beobachteten, hatte den Mut, sie davon abzuhalten. Als sie davon erfuhren, haben Bran und Haral gesagt, sie müßten zu ihr gehen, auch wenn sie sich damit in die Angelegenheiten des Frauenzirkels einmischten. Ich glaube, ein paar im Frauenzirkel hätten vielleicht auf sie gehört, aber Bran und Haral wurden beide am gleichen Abend krank und starben mit einem Tag Abstand.« Marin biß sich auf die Lippe und sah sich im Raum um, als könne sich da jemand versteckt haben. Sie senkte die Stimme. »Malena hat die Medizin für sie gemischt. Sie sagte, es sei ihre Pflicht, obwohl sie gegen sie gewesen seien. Ich sah... Ich sah, daß sie grauen Fenchel mitnahm.«

Nynaeve keuchte überrascht. »Aber... Bist du sicher, Marin? Bist du wirklich sicher?« Die ältere Frau nickte. Sie verzog das Gesicht und war den Tränen nahe. »Marin, wenn du vermutet hast, daß diese Frau Bran vergiftet hat, warum bist du dann nicht zum Frauenzirkel gegangen?«

»Sie sagte, Bran und Haral wandelten nicht im Licht«, murmelte Marin, »weil sie sich gegen die Seherin gestellt hatten. Sie sagte, deshalb seien sie gestorben. Das Licht habe sie verlassen. Sie spricht die ganze Zeit von der Sünde. Sie behauptete, Paet al'Caar habe gesündigt, da er sich nach dem Tod Harals und Brans gegen sie geäußert hatte. Dabei sagte er nur, daß sie keine so gute Heilerin sei wie du, aber sie malte den Drachenzahn an seine Tür, ganz offen, so daß jeder sie mit der Zeichenkohle in der Hand sehen konnte. Seine beiden Jungen waren noch vor dem Wochenende tot — einfach tot, als ihre Mutter kam, um sie aufzuwecken. Arme Nela. Wir fanden sie, als sie herumirrte, zur gleichen Zeit lachte und weinte, und schrie, daß Paet der Dunkle König sei und ihre Jungen getötet habe. Paet hat sich am nächsten Tag aufgehängt.« Sie schauderte, und ihre Stimme wurde so leise, daß Nynaeve sie kaum noch verstehen konnte. »Ich habe vier Töchter, die immer noch unter meinem Dach leben. Sie leben, Nynaeve. Verstehst du, was ich sagen will? Sie leben noch, und ich will, daß sie am Leben bleiben.«

Nynaeve fror bis auf die Knochen. »Marin, das kannst du nicht zulassen?« Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal. Seid standhaft. Sie schob den Gedanken zur Seite. »Wenn der Frauenzirkel zusammenhält, könnt ihr sie loswerden.«

»Gegen Malena zusammenhalten?« Marins Lachen klang eher wie ein Schluchzen. »Wir haben alle Angst vor ihr. Aber sie kann gut mit den Kindern umgehen. Es sind immerzu Kinder krank, wie es scheint, aber Malena tut alles für sie. Als du noch Seherin warst, starb fast niemand an Krankheiten.«

»Marin, hör auf mich. Ist dir nicht klar, warum immer Kinder krank sind? Wenn sie euch keine Angst einjagen kann, will sie euch im Glauben lassen, ihr bräuchtet sie der Kinder wegen. Sie tut das, Marin. Genauso, wie sie Bran krank gemacht hat.«

»Bestimmt nicht«, hauchte Marin. »Das täte sie nicht. Nicht bei den Kleinen.«

»Glaub es nur, Marin.« Der Weg zurück... — Nynaeve unterdrückte diesen Gedanken heftig. »Gibt es eine im Zirkel, die keine Angst hat? Eine, die auf uns hören würde?«

Die ältere Frau sagte: »Keine, die nicht Angst vor ihr hätte. Aber Corin Ayellin hört vielleicht auf uns. Wenn das der Fall ist, bringt sie noch zwei oder drei weitere auf unsere Seite. Nynaeve, wenn genügend Mitglieder auf uns hören, wirst du dann wieder unsere Seherin? Ich glaube, du wärst die einzige unter uns, die nicht vor Malena kuscht, auch wenn wir alle Bescheid wissen. Du weißt nicht, wie sie ist.«