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»Ich werde es herausfinden.« Der Weg zurück... Nein! Das sind die mir anvertrauten Menschen! »Hol deinen Umhang, und dann gehen wir zu Corin.«

Marin zögerte, die Schenke zu verlassen, und als Nynaeve sie schließlich draußen hatte, schlich sie ängstlich von Schwelle zu Schwelle, duckte sich und blickte sich ständig um. Bevor sie noch den halben Weg zu Corin Ayellins Haus zurückgelegt hatten, sah Nynaeve eine große hagere Frau auf der anderen Seite des Grüns zur Schenke gehen, wobei sie mit einer dicken Weidenrute im Vorbeigehen die Blumen köpfte. Sie war zwar knochig, wirkte aber drahtig und kräftig und trug einen entschlossenen Zug um den Mund. Cenn Buie lief in ihrem Kielwasser hinterher.

»Malena.« Marin zog Nynaeve in eine Lücke zwischen zwei Häusern. Sie flüsterte, als fürchte sie, die Frau könne sie über das Grün hinweg hören. »Ich wußte, daß Cenn zu ihr rennen würde.«

Etwas zwang Nynaeve, sich nach hinten umzublicken. Hinter ihr stand ein silberner Bogen, spannte sich von Haus zu Haus und glühte weiß. Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal. Seid standhaft. Marin schrie leise auf. »Sie hat uns gesehen. Licht hilf uns, sie kommt!«

Die große Frau hatte sich auf den Weg über das Grün hinweg gemacht und ließ Cenn hinter sich zurück. Auf Malenas Gesicht zeigte sich keine Unsicherheit. Sie ging langsam, als gäbe es kein Entkommen vor ihr. Ihr grausames Lächeln wurde mit jedem Schritt deutlicher. Marin zupfte Nynaeve am Ärmel. »Wir müssen wegrennen. Wir müssen uns verstecken. Komm, Nynaeve! Cenn hat ihr bestimmt erzählt, wer du bist. Sie haßt es, wenn jemand nur von dir spricht.«

Der silberne Torbogen zog Nynaeves Blicke an. Der Weg zurück... Sie schüttelte den Kopf und versuchte verkrampft, sich zu erinnern. Es ist nicht wirklich. Sie sah Marin an. Blanke Angst verzerrte das Gesicht der Frau. Ihr müßt standhaft sein, um zu überleben. »Bitte, Nynaeve. Sie hat mich mit dir gesehen. Sie-hat-mich-gesehen! Bitte, Nynaeve!«

Malena kam unaufhaltsam näher. Meine mir anvertrauten Menschen. Der Bogen leuchtete. Der Weg zurück. Es ist nicht wirklich. Mit einem Aufschluchzen riß Nynaeve den Arm aus Marins Griff und stürzte auf das silberne Glühen zu.

Marins Schrei erklang hinter ihr: »Um der Liebe des Lichts willen, Nynaeve, hilf mir! HILF MIR!«

Das Glühen hüllte sie ein.

Mit weitaufgerissenen Augen taumelte Nynaeve aus dem Tor heraus. Sie war sich des Raums und der Aes Sedai kaum bewußt. Dafür hatte sie Marins Schreie noch im Ohr. Sie zuckte nicht zusammen, als ihr plötzlich kaltes Wasser über den Kopf geschüttet wurde.

»Ihr seid gereinigt von falschem Stolz. Ihr seid gereinigt von falschem Ehrgeiz. Ihr kommt gewaschen zu uns, rein in Herz und Seele.« Als die Rote Aes Sedai zurücktrat, kam Sheriam und nahm Nynaeves Arm. Nynaeve fuhr zusammen und erkannte erst dann, wer es war. Sie packte mit beiden Händen den Kragen von Sheriams Kleid. »Sagt mir, daß es nicht wirklich war. Sagt es mir!«

»Schlimm?« Sheriam zog Nynaeves Hände von ihrem Kragen, als sei sie an eine solche Reaktion gewöhnt. »Es wird jedesmal schlimmer, und das dritte Mal ist am schlimmsten.«

»Ich habe meine Freundin verlassen... Ich habe die mir anvertrauten Menschen im Stich gelassen... in der Hölle zurückgelassen.« Licht, bitte, laß es nicht Wirklichkeit sein. Ich habe nicht wirklich... Dafür muß Moiraine bezahlen. Sie muß!

»Es gibt immer einen Grund, nicht zurückzukehren, etwas, um Euch davon abzuhalten oder abzulenken. Dieser TerAngreal webt Euch Fallen aus Eurer eigenen Seele, webt sie fest und stark, härter als Stahl und tödlicher als Gift. Deshalb benutzen wir ihn für diese Prüfung. Ihr müßt mehr als alles in der Welt eine Aes Sedai werden wollen. Dieser Wunsch muß stark genug sein, um allem gegenüberzutreten, um Euch aus jeder Lage herauszukämpfen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Weiße Burg läßt nicht weniger gelten. Wir verlangen das von Euch.«

»Ihr verlangt eine ganze Menge.« Nynaeve blickte unverwandt auf den dritten Torbogen, als die rothaarige Aes Sedai sie dorthin führte. Das dritte Mal ist am schlimmsten. »Ich habe Angst«, flüsterte sie. Was kann noch schlimmer werden als das, was ich gerade tat? »Gut«, sagte Sheriam. »Ihr wollt eine Aes Sedai werden und die Eine Macht lenken. Niemand sollte das ohne Ehrfurcht und Respekt versuchen. Die Furcht wird Euch vorsichtig machen, und die Vorsicht wird Euch am Leben halten.« Sie drehte Nynaeve um, damit sie den Bogen ansah, doch noch trat sie selbst nicht zurück. »Niemand wird Euch zwingen, ein drittes Mal einzutreten, Kind.«

Nynaeve leckte sich die Lippen. »Wenn ich mich weigere, werdet Ihr mich aus der Burg weisen und mich niemals zurückkommen lassen.« Sheriam nickte. »Und jetzt wird es am schlimmsten.« Sheriam nickte wieder. Nynaeve holte tief Luft. »Ich bin bereit.«

»Das dritte Mal«, sang Sheriam aus, »ist für das, was sein wird. Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal. Seid standhaft.«

Nynaeve rannte in den Torbogen hinein.

Lachend rannte sie durch aufwirbelnde Wolken von Schmetterlingen, die auf der von Wildblumen überwucherten Hügelkuppe gesessen hatten. Die Blumen wirkten wie ein kniehoher Gauklerumhang. Ihre graue Stute tänzelte nervös mit herunterhängenden Zügeln am Rand der Wiese, und so hörte Nynaeve mit dem Herumrennen auf, damit sich das Tier nicht noch mehr ängstigte. Einige Schmetterlinge setzten sich auf ihr Kleid, auf gestickte Blumen und aufgenähte Perlen, oder sie flatterten um die Saphire und Mondsteine in ihrem Haar, das ihr lose auf die Schultern herunterhing.

Unterhalb des Hügels erstreckte sich das Halsband der Tausend Seen durch die Stadt Malkier. Darin spiegelten sich die wolkenhohen Sieben Türme, auf denen die Flaggen mit dem Goldenen Kranich wehten. In der Stadt zeigten sich tausend Gärten, doch sie zog diesen wilden Naturgarten auf der Hügelspitze jenen vor. Der Weg zurück erscheint nur ein einziges Mal. Seid standhaft.

Beim Klang von Hufschlag drehte sie sich um.

Al'Lan Mandragoran, der König von Malkier, sprang vom Rücken seines Streitrosses und lief durch die Schmetterlinge lachend auf sie zu. Sein Gesicht war das eines harten Mannes, doch das Lächeln, das er ihr schenkte, machte die steinernen Kanten sanfter.

Sie starrte ihn überrascht mit offenem Mund an, und da nahm er sie in die Arme und küßte sie. Einen Moment lang klammerte sie sich an ihn und küßte ihn wieder. Ihre Füße hingen ein Stück in der Luft, aber das machte ihr nichts aus.

Plötzlich stemmte sie sich gegen ihn und zog ihr Gesicht zurück. »Nein.« Sie stemmte sich noch mehr. »Laß mich los! Ich will runter.« Erstaunt ließ er sie sinken, bis ihre Füße wieder auf dem Boden standen. Sie trat vor ihm zurück. »Das nicht«, sagte sie. »Ich kann es nicht ertragen. Nur das nicht.« Bitte, stellt mich wieder Aginor gegenüber.

Ihre Erinnerungen wirbelten durcheinander. Aginor?

Sie wußte nicht, woher dieser Gedanke gekommen war. Die Erinnerungen zuckten auf und kippten weg wie sich durcheinanderschiebende Eisschollen auf einem überfluteten Fluß. Sie griff nach den Stücken, nach etwas, woran sie sich klammern konnte.

»Geht es dir nicht gut, Liebling?« fragte Lan besorgt.

»Nenn mich nicht so! Ich bin nicht dein Liebling! Ich kann dich nicht heiraten!«

Er überraschte sie damit, daß er den Kopf in den Nacken warf und schallend lachte. »Deine Annahme, daß wir nicht verheiratet seien, könnte unsere Kinder verwirren, liebe Gattin. Und wie könntest du nicht mein Liebling sein? Ich habe keinen anderen, und ich werde keine andere Frau jemals lieben.«