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»Aber das ist ja — fürchterlich! Ich bin kein Kind und du auch nicht. Ich lasse mich doch nicht als Kind behandeln.«

»Aber wir sind Kinder. Die Aes Sedai, die vollen Schwesternstatus haben, das sind die erwachsenen Frauen. Die Aufgenommenen sind die jungen Frauen, gerade alt genug, daß ihnen nicht die ganze Zeit jemand über die Schulter gucken muß. Und die Novizinnen sind die Kinder, die beschützt und versorgt werden, die zum Ziel geleitet werden müssen und die man bestraft, wenn sie unartig waren. So erklärt es Sheriam Sedai. Niemand wird dich deines Unterrichts wegen bestrafen, außer du versuchst etwas, das man dir verboten hat. Manchmal ist es schwer, nichts auszuprobieren. Du wirst feststellen, daß du die Macht benützen willst, genauso selbstverständlich, wie du atmest. Aber wenn du zu viele Teller zerbrichst, weil du träumst, anstatt abzuwaschen, oder wenn du einer Aufgenommenen nicht den nötigen Respekt zollst oder die Burg ohne Erlaubnis verläßt, oder eine Aes Sedai ansprichst, bevor sie dich anspricht, oder... Du kannst eben nur dein Bestes geben. Etwas anderes zählt nicht.«

»Das klingt fast so, als ob wir uns wünschen sollen, von hier wegzugehen«, protestierte Egwene.

»Das nicht — aber auf gewisse Weise vielleicht doch. Egwene, es gibt nur vierzig Novizinnen in der Burg. Nur vierzig, und höchstens sieben oder acht werden schließlich Aufgenommene. Das sind einfach nicht genug, sagt Sheriam Sedai. Sie sagt, es gibt jetzt schon nicht genug Aes Sedai, um die Aufgaben zu erfüllen, die erfüllt werden müssen. Aber die Burg kann und wird ihre Ansprüche nicht zurückschrauben. Die Aes Sedai können keine Frau zur Schwester machen, der die Fähigkeiten und die Kraft und der Wille fehlen. Sie können den Ring und die Stola keiner verleihen, die die Macht nicht genügend sicher beherrscht oder die sich einschüchtern läßt, oder die umkehrt, sobald Schwierigkeiten auftauchen.

Unterricht und Prüfungen schulen das Talent, und was die Kraft und den Willen betrifft... Na ja, wenn du gehen willst, lassen sie dich gehen. Sobald du genug weißt, daß du dort draußen nicht gerade an deiner Unwissenheit scheiterst.«

»Ja«, sagte Egwene bedächtig, »Sheriam hat uns etwas Ähnliches erzählt. Ich habe allerdings nie daran gedacht, daß es zu wenig Aes Sedai geben könnte.«

»Sie hat eine Theorie. Wir haben die Menschheit zu sehr ausgelesen. Weißt du, was damit gemeint ist? Wenn man alle jene Tiere aus der Herde ausschließt, die unerwünschte Eigenschaften zeigen.« Egwene nickte ungeduldig. Niemand wuchs in einem Schafzuchtgebiet auf und wußte nichts von Ausleseverfahren. »Sheriam Sedai sagt, nachdem die Roten Ajah dreitausend Jahre lang Männer mit der Fähigkeit, die Macht zu gebrauchen, verfolgt haben, züchten wir diese Fähigkeit in uns allen zurück. Sie verschwindet langsam. Ich würde das allerdings nicht in der Nähe einer Roten äußern, wenn ich du wäre. Sheriam Sedai hat so manche Auseinandersetzung mit ihnen gehabt, und wir sind nur Novizinnen.«

»Das werde ich bestimmt nicht tun.«

Elayne schwieg und fragte dann: »Geht es Rand gut?«

Egwene fühlte einen plötzlichen Stich, einen Anfall von Eifersucht — Elayne war sehr hübsch —, aber er wurde überlagert von einem noch stärkeren Angstgefühl. Sie überflog im Geist noch einmal das wenige, was sie über Rands Zusammentreffen mit der Tochter-Erbin wußte, und sie beruhigte sich: Elayne konnte auf keinen Fall wissen, daß Rand die Macht benutzte.

»Egwene?«

»Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.« Ich hoffe, es geht ihm wirklich gut, dem wollköpfigen Narren. »Als ich ihn zuletzt sah, ritt er mit einigen schienarischen Soldaten weg.«

»Schienarer! Und er sagte mir, er sei Schafhirte.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich merke, daß ich zu den unmöglichsten Zeiten an ihn denke. Elaida hält ihn auch auf irgendeine Art für wichtig. Sie hat das nicht direkt gesagt, aber sie ließ nach ihm suchen und war wütend, als sie hörte, daß er Caemlyn verlassen hatte.«

»Elaida?«

»Elaida Sedai. Die Ratgeberin meiner Mutter. Sie ist eine Rote, aber trotzdem scheint Mutter sie zu mögen.«

Egwenes Mund war ziemlich trocken. Rote Ajah — und an Rand interessiert. »Ich — ich weiß nicht, wo er sich jetzt befindet. Er hat Schienar verlassen, und ich glaube nicht, daß er zurückkehren wollte.«

Elayne warf Egwene einen beruhigenden Blick zu. »Ich würde Elaida nicht sagen, wo er ist, auch wenn ich es wüßte, Egwene. Er hat meines Wissens nichts Böses getan, und ich fürchte, sie will ihn auf irgendeine Art benutzen. Außerdem habe ich sie seit dem Tag unserer Ankunft hier nicht mehr gesehen. Wir hatten Weißmäntel auf den Fersen. Sie lagern immer noch am Abhang des Drachenbergs.« Plötzlich sprang sie auf. »Laß uns von schöneren Dingen reden! Es sind noch zwei andere hier, die Rand kennen, und ich würde dich einer davon gern vorstellen.« Sie nahm Egwenes Hand und zog sie aus dem Zimmer.

»Zwei Mädchen? Rand scheint eine Menge Mädchen zu treffen.«

»Mmmmm?« Elayne zog Egwene noch weiter durch den Korridor, musterte sie aber dabei eingehend. »Ja. Na ja. Eine von ihnen ist eine faule Schlampe namens Else Grinwell. Ich glaube nicht, daß sie lange hierbleibt. Sie vernachlässigt ihre Pflichten und stiehlt sich immer fort, um den Behütern beim Üben mit ihren Schwertern zuzusehen. Sie behauptet, Rand sei mit einem Freund zum Hof ihres Vaters gekommen. Mat. Es scheint, sie haben ihr in bezug auf die Welt außerhalb ihres Dorfs einen Floh ins Ohr gesetzt, und so rannte sie weg, um Aes Sedai zu werden.«

»Männer«, murmelte Egwene. »Ich tanze ein paarmal mit einem netten Jungen, und Rand läuft herum, als habe er Zahnschmerzen, aber er...« Sie brach ab, als vor ihnen ein Mann in den Gang trat. Neben ihr blieb auch Elayne stehen, und ihre Hand faßte die Egwenes fester.

Abgesehen von seinem plötzlichen Auftreten war nichts Bedrohliches an ihm. Er war groß und gutaussehend, von beinahe schon mittlerem Alter und trug sein dunkles lockiges Haar lang. Doch seine Schultern hingen herab, und in seinem Blick lag Trauer. Er bewegte sich nicht auf Egwene und Elayne zu, sondern stand einfach nur da und sah sie an, bis eine der Aufgenommenen hinter ihm erschien.

»Ihr solltet nicht hier drinnen sein«, sagte sie nicht unfreundlich zu ihm.

»Ich wollte spazierengehen.« Seine Stimme war tief und genauso traurig wie seine Augen.

»Ihr könnt draußen im Garten spazierengehen, wo Ihr Euch aufhalten solltet. Der Sonnenschein wird Euch guttun.«

Der Mann lachte bitter auf. »Wo zwei oder drei von Euch jede meiner Bewegungen beobachten? Ihr habt doch nur Angst, daß ich ein Messer finden könnte.« Der Blick in den Augen der Aufgenommenen brachte ihn erneut zum Lachen. »Für mich selbst, Frau. Für mich. Führt mich in Euren Garten und zu Euren wachenden Augen.«

Die Aufgenommene berührte leicht seinen Arm und führte ihn weg.

»Logain«, sagte Elayne, als er weg war. »Der falsche Drache!«

»Er wurde der Dämpfung unterzogen, Egwene. Jetzt ist er nicht gefährlicher als jeder andere Mann. Aber ich erinnere mich daran — als ich ihn vorher sah —, daß sechs Aes Sedai nötig waren, um ihn davon abzuhalten, die Macht zu benützen und uns alle zu zerstören.« Sie schauderte.

Egwene überlief es auch kalt. Das also würden die Roten auch mit Rand machen.

»Müssen sie eigentlich immer der Dämpfung unterzogen werden?« fragte sie. Elayne sah sie mit offenem Mund an, und so fügte sie schnell hinzu: »Ich denke nur, daß die Aes Sedai einen anderen Weg finden könnten, mit ihnen umzugehen. Anaiya und Moiraine sagten, daß die größten Werke im Zeitalter der Legenden von Männern und Frauen gemeinsam mit Hilfe der Macht geschaffen wurden. Ich dachte mir daher, sie würden versuchen, wieder einen Weg in diese Richtung zu finden.«