»Und ich freue mich, Euch kennenzulernen, Thom Merrilin.« Loial stand auf und verbeugte sich ebenfalls. Als er sich aufrichtete, berührte sein Kopf beinahe die Decke. So setzte er sich schnell wieder. »Die junge Frau behauptete, sie wolle Gauklerin werden.«
Thoms Kopfschütteln wirkte entmutigend. »Das ist kein Leben für eine Frau. Auch kein besonders schönes Leben für einen Mann. Von Ort zu Ort wandern, von Dorf zu Dorf, sich zu fragen, wie sie dich wohl diesmal wieder zu betrügen versuchen, die Hälfte der Zeit unsicher, woher du die nächste Mahlzeit bekommen wirst... Nein, ich werde sie schon davon abbringen. Sie wird noch Hofbardin bei irgendeinem König oder einer Königin, bevor es dazu kommt. Aaaah! Ihr seid nicht gekommen, um über Dena zu reden. Meine Instrumente, Junge. Du hast sie doch mitgebracht?«
Rand schob das Bündel über den Tisch. Thom band es hastig auf, blinzelte, als er sah, daß es aus seinem alten Umhang bestand, der genauso wie sein neuer mit bunten Flicken besetzt war, und öffnete den ledernen Flötenkasten. Er nickte beim Anblick der gold- und silberverzierten Flöte.
»Nachdem wir uns trennten, habe ich meinen Unterhalt damit verdient«, sagte Rand.
»Ich weiß«, antwortete der Gaukler trocken. »Ich kehrte zum Teil in ein paar derselben Schenken ein, aber ich mußte mich mit Jonglieren und ein paar einfachen Geschichten begnügen, da du meine — Du hast doch die Harfe nicht berührt, oder?« Er öffnete den anderen dunklen Lederkasten und zog eine genauso mit Gold und Silber verzierte Harfe heraus. Er nahm sie wie ein Baby auf die Arme. »Deine ungeschickten Schäferfinger sind für eine Harfe nicht geeignet.«
»Ich habe sie nicht berührt«, versicherte ihm Rand.
Thom zupfte an zwei Saiten und verzog das Gesicht. »Wenigstens hättest du sie stimmen können«, murmelte er.
Rand beugte sich über den Tisch zu ihm hin. »Thom, Ihr wolltet doch nach Illian gehen, um zu sehen, wie die Wilde Jagd aufbricht, und als einer der ersten eine neue Geschichte dazu erfinden, aber das ging dann nicht. Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch erzählte, daß Ihr immer noch daran teilhaben könntet? Daß Ihr eine große Rolle darin spielen könnt?«
Loial rutschte nervös auf seinem Stuhl umher. »Rand, bist du sicher...?« Rand winkte ihm zu, still zu sein, und blickte weiter Thom an. Thom sah kurz den Ogier an und runzelte die Stirn. »Das kommt darauf an, welche Rolle und wie. Falls du wissen solltest, daß vielleicht einer der Jäger nach hier kommt... Ich schätze, sie könnten Illian bereits verlassen haben, aber es würde Wochen dauern, bis er hier ankäme, selbst wenn er den direkten Weg wählte. Außerdem, warum sollte er? Ist es einer der Burschen, die gar nicht erst nach Illian zogen? Er wird nie in die Geschichten kommen, wenn er nicht den Segen erhalten hat; was er auch vollbringt.«
»Es spielt keine Rolle, ob die Jagd Illian bereits verlassen hat oder nicht.« Rand hörte, wie Loial nach Luft schnappte. »Thom, wir haben das Horn von Valere.«
Einen Augenblick lang herrschte Totenstille. Thom beendete sie schließlich mit einem lauten Lachanfall. »Ihr zwei habt das Horn? Ein Schäfer und ein bartloser Ogier haben das Horn von...« Er krümmte sich vor Lachen und schlug sich auf die Knie. »Das Horn von Valere!«
»Aber wir haben es wirklich«, sagte Loial ernst.
Thom holte tief Luft. Kleinere nachträgliche Lachanfälle erschütterten ihn immer noch. »Ich weiß nicht, was Ihr gefunden habt, aber ich kann Euch in mindestens zehn Tavernen führen, wo Euch ein Mann erzählen wird, daß er einen Mann kennt, der den Mann kennt, der das Horn gefunden hat. Er wird Euch auch erzählen, wie das Horn gefunden wurde — solange Ihr sein Bier bezahlt. Ich kann Euch auch zu drei Männern führen, die Euch das Horn verkaufen werden, und sie werden beim Licht auf ihrer Seele schwören, daß es das einzige und wahre Horn von Valere ist. Es gibt in dieser Stadt sogar einen Lord, der behauptet, das Horn in seinem Herrenhaus unter Verschluß zu haben. Er sagt, es sei ein Familienschatz, der seit der Zerstörung von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde. Ich weiß nicht, ob die Jäger das Horn jemals finden werden, aber unterwegs müssen sie sich mit tausend Lügen herumschlagen.«
»Moiraine sagt, es sei das echte Horn«, sagte Rand.
Thoms Gelächter brach ab. »Tatsächlich? Ich dachte, du hättest gesagt, sie sei nicht hier!«
»Ist sie auch nicht, Thom. Ich habe sie nicht gesehen, seit ich Fal Dara in Schienar verlassen habe, und den Monat zuvor hat sie keine zwei Worte mit mir gesprochen.« Er konnte die Bitterkeit in seiner Stimme nicht unterdrücken. Und als sie schließlich etwas sagte, wünschte ich mir, sie hätte mich lieber weiterhin nicht beachtet. Ich werde nie mehr nach ihrer Pfeife tanzen. Das Licht versenge sie und alle anderen Aes Sedai. Aber nicht Egwene und nicht Nynaeve. Er war sich bewußt, daß Thom ihn scharf anblickte. »Sie ist nicht hier, Thom. Ich weiß nicht, wo sie ist, und es ist mir auch ganz gleich.«
»Na ja, wenigstens bist du schlau genug, es geheim zu halten. Falls nicht, hätte sich diese Neuigkeit bereits über ganz Vortor verbreitet und halb Cairhien würde darauf lauern, es dir wegzunehmen. Die halbe Welt.«
»O ja, wir haben es geheimgehalten, Thom. Und ich muß es nach Fal Dara zurückbringen, ohne es von Schattenfreunden und anderen abgejagt zu bekommen. Das ist doch schon eine Geschichte wert, oder? Ich könnte einen Freund gebrauchen, der die Welt kennt. Ihr wart doch schon überall; Ihr wißt Dinge, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Loial und Hurin wissen mehr als ich, aber wir drei allein sind trotzdem in Schwierigkeiten gekommen.«
»Hurin...? Nein, sage mir nichts weiter. Ich will es nicht wissen.« Der Gaukler schob seinen Stuhl zurück und ging zum Fenster. Er blickte auf die Straße hinunter. »Das Horn von Valere. Das bedeutet: Die Letzte Schlacht ist nahe. Wer denkt schon daran? Hast du die lachenden Menschen in den Straßen dort unten gesehen? Wenn die Getreideschiffe auch nur eine Woche lang ausbleiben, lachen sie nicht mehr. Galldrian wird glauben, sie seien alle zu Aielmännern geworden. Die Adligen spielen alle das Spiel der Häuser, intrigieren, um dem König näherzukommen, intrigieren, um mehr Macht in die Hand zu bekommen als der König, intrigieren, um Galldrian zu stürzen und selbst König zu werden. Oder Königin. Sie werden glauben, Tarmon Gai'don sei nur ein Schachzug in diesem Spiel.« Er wandte sich vom Fenster ab. »Ihr sprecht doch wohl nicht davon, einfach nach Schienar zu reiten und das Horn — wem? — zu übergeben. Dem König? Warum gerade Schienar? Die Sagen verbinden das Horn grundsätzlich immer mit Illian.«
Rand sah Loial an. Die Ohren des Ogiers hingen herunter. »Schienar, weil ich weiß, wem ich es dort geben kann. Und Trollocs und Schattenfreunde sind hinter uns her.«
»Warum überrascht mich das wohl nicht? Nein. Ich mag ja ein alter Narr sein, aber ich bin es auf meine persönliche Art. Der Ruhm gebührt dir, mein Junge.«
»Thom... «
»Nein!«
Dann herrschte Schweigen, das nur vom Knarren des Betts unter Loials Gewicht durchbrochen wurde. Schließlich sagte Rand: »Loial, würdest du bitte Thom und mich ein wenig alleinlassen? Bitte!«