Alle Feuerwerkskörper, die er je gesehen hatte, konnte man in der Hand halten, und das war so ungefähr alles, was er darüber wußte, außer daß sie mit großem Lärm zerbarsten oder in funkensprühenden Spiralen über den Boden zischten oder manchmal in die Luft hinauf flogen. Mit ihnen kam auch immer eine Warnung der Feuerwerker, daß sie explodieren würden, wenn man sie öffnete. Aber Feuerwerkskörper waren sowieso zu teuer, als daß der Gemeinderat sie von jemandem Unerfahrenen öffnen lassen würde. Er konnte sich gut an das eine Mal erinnern, als Mat genau das tun wollte. Es dauerte beinahe eine Woche, bis irgend jemand außer Mats Mutter wieder mit ihm sprach. Das einzige Vertraute, das Rand entdecken konnte, waren die Stricke — die Zündschnüre. Er wußte, daß man sie dort entzündete.
Nach einem Blick zurück zu der unverriegelten Tür bedeutete er den anderen, ihm zu folgen. Er wollte um die Röhren herumgehen. Wenn sie ein Versteck fanden, sollte es soweit wie möglich von dieser Tür entfernt sein.
Das bedeutete, daß sie zwischen den Holzgestellen durchlaufen mußten, und Rand hielt jedesmal die Luft an, wenn er eines berührte. Die daran hängenden Dinge bewegten sich bei der leisesten Berührung und klapperten dann. Alle bestanden aus Holz. Kein Stück Metall war zu sehen. Er konnte sich den Lärm vorstellen, falls eines davon heruntergestoßen wurde. Er beäugte mißtrauisch die Röhren, da er sich noch gut daran erinnern konnte, wie schon eine fingerlange Röhre dieser Art knallte. Wenn das Feuerwerkskörper waren, wollte er sich nicht so nahe bei ihnen aufhalten.
Loial murmelte pausenlos etwas in seinen nicht vorhandenen Bart, besonders als er gegen eines der Gestelle stieß. Da zuckte er so hastig zurück, daß er natürlich prompt gegen ein anderes stieß. Der Ogier schlich unter Klappern und Gemurmel dahin.
Selene ging ihm auch auf die Nerven. Sie schlenderte so selbstverständlich einher, als befinde sie sich auf einer Straße mitten in der Stadt. Sie stieß gegen nichts, erzeugte keinen Laut, aber sie bemühte sich nicht einmal, den Umhang geschlossen zu halten. Das Weiß ihres Kleides schien ihm heller als alle Wände zusammen.
Er spähte zu den erleuchteten Fenstern hinüber und wartete nur darauf, daß dort jemand erschien. Es war nur einer notwendig. Er mußte Selene ja sehen und Alarm schlagen.
Doch an den Fenstern erschien niemand. Rand atmete gerade erleichtert auf, während sie auf eine niedrige Mauer zuschritten und auf die Gassen und Gebäude dahinter, als Loial wieder gegen ein Gestell stieß, das direkt neben der Mauer stand. Es enthielt zehn weich wirkende Stöcke, jeder so lang wie Rands Arm, aus deren Spitzen dünne Rauchfahnen quollen. Das Gestell machte kaum Lärm, als es umfiel, aber die schwelenden Stöcke fielen auf eine der Zündschnüre. Zischend entzündete sich die Zündschnur, und die kleine Flamme raste auf eine der hohen Röhren zu.
Rand blieb einen Moment lang die Luft weg, und dann versuchte er, flüsternd zu schreien: »Hinter die Mauer!«
Selene gab einen ärgerlichen Laut von sich, als er sie hinter der Mauer zu Boden warf, aber das war ihm gleich. Er bemühte sich, sich schützend über sie zu breiten, während Loial sich daneben niederkauerte. Als er darauf wartete, daß die Röhre explodierte, fragte er sich, ob von der Mauer etwas übrigbleiben werde. Es gab einen dumpfen Schlag, den er als Erschütterung im Boden genauso fühlte wie er ihn hörte. Vorsichtig hob er sich von Selene und spähte um die Kante der Mauer herum. Sie knallte ihm hart die Fäuste in die Rippen und wand sich mit einem Fluch in einer ihm unbekannten Sprache unter ihm hervor, doch er bemerkte das kaum.
Eine dünne Rauchfahne erhob sich aus der Spitze einer der Röhren. Das war alles. Wenn das alles ist...
Mit einem wahren Donnerkrach erblühte eine riesige rote und weiße Blume hoch am mittlerweile dunklen Himmel und sank dann langsam in einem Funkenregen nieder.
Während er sie noch mit offenem Mund anstarrte, explodierte das Haus förmlich vor Lärm. Schreiende Männer und Frauen füllten die Fenster. Sie sahen herüber und zeigten mit Fingern in ihre Richtung.
Rand betrachtete sehnsuchtsvoll die nur ein Dutzend Schritte entfernte dunkle Gasse. Schon der erste Schritt würde sie all jenen Leuten an den Fenstern sichtbar machen. Trommelnde Füße näherten sich von dem Gebäude her.
Er drückte Loial und Selene gegen die Mauer und hoffte, sie sähen aus wie ein ganz normaler Schatten. »Bewegt euch nicht, und seid still«, flüsterte er. »Das ist unsere einzige Hoffnung.«
»Manchmal«, sagte Selene ruhig, »kann dich niemand sehen, wenn du ganz still sitzt.« Sie klang nicht im geringsten besorgt.
Stiefel trampelten vor der Mauer hin und her, und zornige Stimmen erhoben sich. Besonders eine klang wütend — die Rand als Aludras erkannte.
»Du Riesenidiot, Tammuz! Du Riesenschwein! Deine Mutter war eine Ziege, Tammuz! Eines Tages bringst du uns alle um!«
»Das ist nicht meine Schuld, Aludra«, protestierte der Mann. »Ich bin sicher, ich habe alles angebracht, wie es sein muß, und der Zunder war... «
»Halt den Mund, Tammuz! Ein großes Schwein verdient es nicht, wie ein Mensch zu sprechen!« Aludras Tonfall veränderte sich, als sie die Frage eines anderen Mannes beantwortete: »Es ist keine Zeit mehr, eine neue vorzubereiten. Galldrian muß sich heute abend mit dem Rest zufriedengeben. Und einer verfrühten Zündung. Und du, Tammuz! Du wirst alles in Ordnung bringen und morgen mit den Karren abreisen, um Mist zu kaufen. Falls heute abend noch etwas schiefgeht, werde ich dir noch nicht einmal mehr den Mist anvertrauen!«
Schritte entfernten sich in Richtung des beleuchteten Gebäudes, begleitet von Aludras ärgerlichem Gefluche. Tammuz blieb zurück und grollte unterdrückt darüber, wie unfair das alles sei.
Rand stockte der Atem, als der Mann herüberkam, um das umgefallene Gestell wieder aufzurichten. Im tiefsten Schatten gegen die Mauer gedrückt, konnte er Tammuz Rücken und Schulterpartie erkennen. Alles, was der Mann tun mußte, war, sich umzudrehen. Dann konnten ihm Rand und die anderen gar nicht entgehen. Tammuz führte immer noch ärgerliche Selbstgespräche, richtete die schwelenden Stöcke im Gestell wieder aus und stolzierte dann zurück zu dem Gebäude, in das die anderen hineingegangen waren.
Rand atmete tief durch, streckte kurz den Kopf vor, um dem Mann nachzublicken, und zog sich dann wieder in den Schatten zurück. An den Fenstern standen immer noch einige Leute. »Noch mehr Glück heute nacht wäre zuviel verlangt«, flüsterte er.
»Man sagt, große Männer machten ihr eigenes Glück«, sagte Selene leise.
»Hör endlich damit auf«, sagte er müde. Er wünschte, ihr Duft stiege ihm nicht so zu Kopf. Er konnte so einfach nicht klar denken. Er erinnerte sich an das Gefühl, als er am Boden auf ihrem Körper lag — weich und verwirrenderweise gleichzeitig fest —, und das half ihm auch nicht gerade.
»Rand?« Loial sah um die Mauerecke auf der von dem beleuchteten Gebäude abgewandten Seite herum. »Ich glaube, wir brauchen doch noch ein wenig Glück, Rand.«
Rand schob sich hinüber und sah dem Ogier über die Schulter. Jenseits des Platzes, am Ausgang der Gasse, die zu der unverriegelten Tür führte, standen drei Trollocs und blickten vorsichtig aus den Schatten zu den beleuchteten Fenstern hinüber. Eine Frau stand an einem der Fenster. Sie schien die Trollocs nicht bemerkt zu haben.
»Also«, meinte Selene, »wird das hier nun zur Falle. Diese Leute töten euch vielleicht, wenn sie euch fangen. Die Trollocs tun das ganz gewiß. Aber vielleicht kannst du die Trollocs so schnell töten, daß sie sich nicht mehr bemerkbar machen können. Vielleicht kannst du die Leute davon abbringen, euch zu töten, um ihre kleinen Geheimnisse zu wahren. Vielleicht strebst du nicht nach Größe, aber nur ein großer Mann kann das nun fertigbringen.«