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»Dann werde ich meine Suche fortsetzen.« Es war wohl keine Frage, doch Urien wartete, bis sie nickte. Dann blickte er die Schienarer stolz und herausfordernd an, bevor er ihnen den Rücken zuwandte. Er ging mit geschmeidigen Bewegungen fort und verschwand zwischen den Felsen, ohne sich noch einmal umzublicken.

Einige der Soldaten sprachen, ärgerlich miteinander. Uno sagte etwas von einem ›verrückten, blutigen Aiel‹, und Masema grollte, sie hätten den Aiel den Raben überlassen sollen.

»Wir haben wertvolle Zeit verschwendet«, verkündete Ingtar laut. »Wir werden schneller reiten, um sie wieder aufzuholen.«

»Ja«, sagte Verin, »wir müssen schneller reiten.«

Ingtar sah sie an, aber die Aes Sedai blickte auf den verschmierten Boden hinunter, wo ihr Fuß das Symbol entfernt hatte. »Absitzen«, befahl er. »Rüstungen auf die Packpferde. Wir befinden uns mittlerweile in Cairhien. Wir wollen nicht, daß die Einwohner glauben, wir wollten gegen sie kämpfen. Macht schnell!«

Mat beugte sich zu Perrin hinüber. »Glaubst du... ? Glaubst du, daß er von Rand gesprochen hat? Ich weiß, es ist verrückt, aber sogar Ingtar glaubt, er sei ein Aiel.«

»Ich weiß nicht«, sagte Perrin. »Alles war irgendwie verrückt, seit wir an die Aes Sedai gekommen sind.«

Verin sagte leise und mehr zu sich selbst, wobei sie immer noch den Boden anblickte: »Es muß ein Teil des Ganzen sein, doch inwiefern? Webt das Rad der Zeit Fäden in das Muster, von denen wir nichts ahnen? Oder berührt der Dunkle König das Muster gerade wieder?«

Perrin rann es kalt den Rücken herunter.

Verin blickte auf und sah, wie die Soldaten ihre Rüstungen abnahmen. »Beeilt Euch!« befahl sie in härterem Tonfall als Ingtar und Uno. »Wir müssen uns beeilen!«

29

Seanchan

Geofram Bornhald beachtete den Gestank brennender Häuser und die Leichen nicht, die im Schmutz der Straße lagen. Byar und eine weißgekleidete Hundertschaft Soldaten ritten direkt hinter ihm in das Dorf hinein. Das war die Hälfte der Männer, die er bei sich hatte. Seine Legion war für seinen Geschmack zu weit verstreut, und zu viele der Offiziersposten waren von Zweiflern besetzt, aber seine Befehle waren ganz eindeutig gewesen: Gehorcht den Zweiflern.

Hier hatte es nur vereinzelt Widerstand gegeben; nur über einem halben Dutzend Behausungen standen Rauchwolken. Wie er sah, stand die Schenke noch: weiß verputzte Steinmauern wie bei den meisten Gebäuden auf der Ebene von Almoth.

Er hielt sein Pferd vor der Schenke an. Sein Blick streifte die Gefangenen, die von seinen Soldaten beim Dorfbrunnen aufgestellt worden waren, und blieb dann an dem langen Quergalgen hängen, der das Dorfgrün verunzierte. Er war offensichtlich hastig zusammengezimmert worden: nur ein langer Querbalken auf hohen Stützen. Daran hingen dreißig Leichen, deren Kleidung im leichten Wind flatterte. Zwischen den Leichen von Erwachsenen hingen auch kleine Körper. Selbst Byar betrachtete sie ungläubig.

»Muadh!« brüllte er. Ein grauhaariger Mann löste sich aus der Gruppe, die die Gefangenen bewachte. Muadh war einst in die Hände von Schattenfreunden gefallen. Sein vernarbtes Gesicht schreckte auch die Abgebrühtesten noch ab. »Ist das dein Werk, Muadh, oder das der Seanchan?«

»Weder noch, Lordhauptmann.« Muadhs Stimme klang heiser, wie ein geflüstertes Grollen. Auch eine Erinnerung an die Schattenfreunde. Er sagte nicht mehr.

Bornhald runzelte die Stirn. »Na, die dort haben es sicher nicht getan«, sagte er und deutete auf die Gefangenen. Die Kinder sahen nicht mehr so gepflegt aus wie bei ihrem Aufbruch, als er sie über den Tarabon geführt hatte, aber verglichen mit dem zerlumpten Pack, das unter ihren wachsamen Blicken am Dorfbrunnen kauerte, wirkten sie noch hübsch genug für eine Parade. Männer in Lumpen und Resten von Rüstungen. Männer mit enttäuschten, müden Gesichtern. Die Überreste der Armee, die Tarabon gegen die Invasoren von der TomanHalbinsel ausgesandt hatte.

Muadh zögerte und sagte dann bedächtig: »Die Dorfbewohner sagen, sie hätten Waffenröcke der Armee von Tarabon getragen, Lordhauptmann. Es war ein großer Mann dabei mit grauen Augen und einem langen Schnurrbart, dessen Beschreibung sich anhört wie die Kind Earwins, und ein junger Bursche, der versuchte, ein hübsches Gesicht hinter einem blonden Bart zu verstecken, und mit der linken Hand kämpfte. Das klingt beinahe wie Kind Wuan, Lordhauptmann.«

»Zweifler!« Bornhald spuckte förmlich das Wort aus. Earwin und Wuan waren unter denen, die er dem Befehl der Zweifler hatte unterstellen müssen. Er hatte die Taktik der Zweifler schon früher kennengelernt, aber es war das erste Mal, daß er vor den Leichen von Kindern stand.

»Wenn Lordhauptmann meinen.« Bei Muadh klangen die nüchternen Worte wie begeisterte Zustimmung.

»Schneidet sie ab«, sagte Bornhald müde. »Schneidet sie ab und bringt den Dorfbewohnern bei, daß es kein weiteres Töten geben wird.« Wenn nicht irgendein Narr meint, er müsse seiner Frau oder wem beweisen, wie mutig er ist, und ich muß dann ein Exempel statuieren. Er stieg ab und musterte die Gefangenen wieder, während Muadh loslief und nach Leitern und Messer verlangte. Er mußte sich über einiges mehr Gedanken machen als über den Übereifer der Zweifler. Er wünschte, er bräuchte sich überhaupt über die Zweifler keine Gedanken mehr machen.

»Sie wehren sich nicht heftig, Lordhauptmann«, sagte Byar. »Weder diese Taraboner, noch was von den Domani übriggeblieben ist. Sie schnappen wie in die Enge getriebene Ratten, aber sie rennen weg, sobald jemand zurückschnappt.«

»Wir werden ja sehen, was wir gegen diese Invasoren ausrichten können, Byar, und dann beurteilen wir diese Männer hier vielleicht anders, ja?« Die Gesichter der Gefangenen zeigten einen Ausdruck von Hoffnungslosigkeit, und der war schon vorhanden gewesen, bevor seine Männer kamen. »Laß Muadh einen für mich aussuchen.« Muadhs Gesicht allein brachte die meisten Männer schon dazu, keinen Widerstand mehr zu leisten. »Wenn möglich einen Offizier. Einen, der intelligent genug wirkt, um zu berichten, was er gesehen hat, ohne es unnötig auszuschmücken, aber jung genug, um noch nicht halsstarrig zu sein. Sag Muadh, er braucht nicht unbedingt sanft mit ihm umzugehen, ja? Der Bursche soll glauben, ihm werde bei mir Schlimmeres geschehen, als er sich je erträumt hat, außer er stimmt mich sanftmütig.« Er warf seine Zügel einem der Kinder des Lichts zu und ging in die Schenke.

Erstaunlicherweise war der Wirt da, ein schwitzender, unterwürfiger Mann, dessen schmutziges Hemd sich so über seinem Bauch spannte, daß die roten Stickereien darauf abzuplatzen drohten. Bornhald bedeutete dem Mann, zu gehen. Er war sich undeutlich der Anwesenheit einer Frau und einiger Kinder bewußt, die sich an eine Tür drückten, aber der fette Wirt trieb sie nach draußen.

Bornhald zog die Handschuhe aus und setzte sich an einen Tisch. Er wußte einfach zuwenig über die Invasoren, diese Fremden. So nannte sie mittlerweile beinahe jeder, jedenfalls diejenigen, die nicht pausenlos von Artur Falkenflügel plapperten. Er wußte, daß sie sich Seanchan und Hailene nannten. Er kannte die Alte Sprache gut genug, um zu verstehen, daß letzteres ›Die vorher kommen‹ hieß, oder einfach Vorfahren. Sie nannten sich manchmal ebenfalls Rhyagelle, ›Die Heimkehren, und sprachen von Corenne, der Rückkehr. Es reichte wirklich beinahe, um ihn an die Märchen glauben zu lassen, daß Falkenflügels Armee zurückgekehrt sei. Niemand wußte, woher die Seanchan kamen, außer daß sie in Schiffen gekommen waren. Bornhalds Anfragen beim Meervolk, ihm weitere Informationen zukommen zu lassen, waren auf Schweigen gestoßen. In Amador waren die Atha'an Miere nicht gerade hoch angesehen, und sie erwiderten diese Haltung doppelt und dreifach. Alles, was er von den Seanchan wußte, hatte er von Männern wie denen draußen erfahren. Gebrochenes, geschlagenes Pack, das mit weit aufgerissenen Augen und schwitzend von Männern erzählten, die auf Pferden wie auch auf Ungeheuern in den Kampf ritten, die Seite an Seite mit Monstern kämpften und Aes Sedai mit sich führten, die den Boden unter den Füßen ihrer Feinde zerfetzten.