Beim Geräusch von Stiefelschritten an der Tür setzte er sein gemeinstes Grinsen auf, aber Byar wurde noch nicht von Muadh begleitet. Das Kind des Lichts, das jetzt mit steifem Kreuz und unter den Arm geklemmtem Helm neben ihm stand, war Jeral, den Bornhald hundert Meilen weit entfernt glaubte. Über seiner Rüstung trug der junge Mann einen Umhang von typischem Domani-Schnitt, mit Blau besetzt, und nicht den weißen Umhang der Kinder.
»Muadh spricht jetzt mit einem jungen Burschen, Lordhauptmann«, sagte Byar. »Kind Jeral ist gerade mit einer Botschaft angekommen.«
Bornhald gab Jeral einen Wink, zu beginnen.
Der junge Mann blieb genauso steif stehen. »Grüße von Jaichim Carridin«, begann er, wobei er stur geradeaus blickte, »der die Hand des Lichts in... «
»Ich brauche keine Grüße von einem Zweifler«, grollte Bornhald und bemerkte den erschreckten Blick des jungen Mannes. Jeral war noch sehr jung. Aber auch Byar blickte nervös und verlegen drein. »Gib mir die Botschaft, ja? Nicht jedes einzelne Wort, außer ich verlange es von dir. Erzähle mir einfach, was er will.«
Das Kind, auf wörtliches Herunterbeten vorbereitet, schluckte erst einmal, bevor er begann. »Lordhauptmann, er... er sagt, Ihr rückt mit zu vielen Männern zu nahe an die Toman-Halbinsel vor. Er sagt, die Schattenfreunde auf der Ebene von Almoth müssen bekämpft werden, und Ihr sollt — vergebt mir, Lordhauptmann — Ihr sollt sofort kehrtmachen lassen und zum Mittelpunkt der Ebene vorrücken.« Dann stand er steif da und wartete ab.
Bornhald musterte ihn. Jerals Gesicht, Umhang und Stiefel waren vom Staub der Ebene bedeckt. »Geh und besorge dir etwas zum Essen«, sagte Bornhald. »Wenn du es wünschst, wird es in einem dieser Häuser bestimmt Wasser zum Waschen geben. Komme in einer Stunde wieder zu mir zurück. Ich werde dir Botschaften mitgeben.« Er entließ den jungen Mann mit einem Wink. »Die Zweifler könnten recht haben, Lordhauptmann«, sagte Byar, als Jeral weg war. »Auf der Ebene befinden sich viele verstreute Dörfer, und die Schattenfreunde... «
Bornhalds Hand, die auf den Tisch klatschte, schnitt ihm das Wort ab. »Was für Schattenfreunde? Ich habe in keinem Dorf, das ich auf seinen Befehl einnehmen sollte, etwas von ihnen gesehen. Nur Bauern und Handwerker, die Angst hatten, wir würden ihren Lebensunterhalt vernichten, und ein paar alte Frauen, um die Kranken zu pflegen.« Byars Gesicht war ein Muster der Ausdruckslosigkeit. Er war im Gegensatz zu Bornhald immer bereit, Schattenfreunde zu entdecken. »Und Kinder, Byar? Werden hier schon die Kinder zu Schattenfreunden?«
»Die Sünden der Mutter werden gesühnt bis zur fünften Generation«, zitierte Byar, »und die Sünden der Väter bis zur zehnten.« Aber er wirkte unsicher dabei. Selbst Byar hatte noch nie ein Kind getötet.
»Ist dir nie eingefallen, Byar, dich zu fragen, warum Carridin uns unsere Flaggen weggenommen hat und die Umhänge der Männer, die von den Zweiflern kommandiert werden? Selbst die Zweifler haben das Weiß abgelegt. Das deutet doch auf etwas hin, oder?«
»Er muß wohl seine Gründe haben, Lordhauptmann«, sagte Byar bedächtig. »Die Zweifler haben immer ihre guten Gründe, selbst wenn sie uns andere nicht einweihen.«
Bornhald mußte sich selbst daran erinnern, daß Byar trotzdem ein guter Soldat war. »Die Kinder des Lichts im Norden tragen Umhänge aus Tarabon und die im Süden solche der Domani. Mir gefällt nicht, was das bedeuten könnte. Es gibt hier Schattenfreunde, doch die befinden sich in Falme und nicht auf der Ebene. Wenn Jeral zurückreitet, tut er es nicht allein. Botschaften werden an jede Gruppe der Kinder geschickt, von der ich weiß, wo sie zu finden ist. Ich habe vor, die Legion auf die TomanHalbinsel zu führen, Byar, um zu sehen, was die wirklichen Schattenfreunde, diese Seanchan, vorhaben.«
Byar wirkte beunruhigt, aber bevor er etwas sagen konnte, erschien Muadh mit einem der Gefangenen. Der schwitzende junge Mann im zerbeulten, doch reich verzierten Brustpanzer sah immer wieder ängstlich Muadhs entstelltes Gesicht an. Bornhald zog sein Messer und fing an, sich die Fingernägel zu schneiden. Er hatte noch nie verstanden, warum das einige Männer nervös machte, aber er benützte dieses Mittel trotzdem. Selbst sein großväterliches Lächeln ließ das schmutzige Gesicht des Gefangenen erbleichen. »Nun, junger Mann, Ihr werdet uns jetzt alles erzählen, was Ihr über diese Fremden wißt, ja? Falls Ihr erst darüber nachdenken müßt, was Ihr sagen sollt, schicke ich Euch mit Kind Muadh hinaus, damit Ihr Muße zum Nachdenken habt.«
Der Gefangene warf Muadh einen Blick aus weit aufgerissenen Augen zu. Dann sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
Die Gischt ritt die lange Dünung des Aryth-Meeres aus, aber Domons gespreizte Beine hielten ihn im Gleichgewicht, während er den langen Zylinder des Fernrohrs ans Auge hielt und das große Schiff betrachtete, das sie verfolgte. Verfolgte und sie ganz langsam überholte. Der Wind, unter dem die Gischt kreuzte, war weder der günstigste noch der stärkste, aber er hätte für das andere Schiff nicht günstiger sein können, das mit seinem breitgebauten Bug die langen Wellen zu Bergen von Gischt zerschlug. Im Osten ragte die Küste der Toman-Halbinsel auf — dunkle Klippen und schmale Sandstreifen. Er hatte die Gischt nicht so weit hinausbringen wollen, doch nun fürchtete er, diese Vorsichtsmaßnahme teuer bezahlen zu müssen.
»Fremde, Käpten?« Yarins Stimme klang nach Schweiß. »Ist es ein Schiff der Fremden?«
Domon senkte das Fernrohr, aber das große, irgendwie viereckig wirkende Schiff mit den eigenartig gerippten Segeln schien immer noch sein Gesichtsfeld zu füllen. »Seanchan«, sagte er und hörte, wie Yarin aufstöhnte. Er trommelte mit den Fingern auf die Reling und sagte dem Rudergänger dann: »Halte näher auf die Küste zu. Dieses Schiff nicht wagen wird, seichtes Wasser zu befahren, wie es die Gischt kann.«
Yarin gab Kommandos aus, und Seeleute rannten und holten Mastbäume ein, während der Rudergänger die Pinne herumzog und den Bug mehr auf die Küste richtete. Die Gischt kam nun langsamer vorwärts, da sie doch fast direkt in den Wind hineinlief, aber Domon war sicher, er könne die Untiefen vor der Küste erreichen, bevor sie von dem anderen Schiff eingeholt würden. Auch wenn Laderäume voll sein, sie doch können befahren seichteres Wasser als dieser große Rumpf. Sein Schiff lag ein wenig höher im Wasser als bei ihrem Ablegen in Tanchico. Ein Drittel der Ladung an Feuerwerkskörpern, die er dort genommen hatte, war weg — in den Fischerdörfern auf der Toman-Halbinsel verkauft. Aber mit dem dafür erhaltenen Silber waren auch beunruhigende Nachrichten eingetroffen. Die Leute erzählten von Besuchern aus den großen, kastenförmigen Schiffen der Invasoren. Wenn Schiffe der Seanchan vor der Küste ankerten und die Dorfbewohner sich sammelten, um ihre Heimat zu verteidigen, wurden sie von Blitzen aus heiterem Himmel zerfetzt. Kleine Boote brachten die Invasoren an Land, und der Erdboden explodierte unter den Füßen der Verteidiger. Domon hatte geglaubt, man wolle ihm einen Bären aufbinden, aber dann hatten sie ihm den geschwärzten Boden gezeigt, und das in so vielen Dörfern, daß er die Geschichten nicht mehr anzweifelte. Neben den Soldaten der Seanchan kämpften Ungeheuer. Nicht, daß es überhaupt noch viel Widerstand gab, sagten die Dorfbewohner. Manche behaupteten sogar, die Seanchan selbst seien Monster mit großen Insektenköpfen.
In Tanchico hatte niemand auch nur gewußt, wie sie sich nannten, und die Bewohner Tarabons hatten zuversichtlich davon gesprochen, daß ihre Truppen die Invasoren ins Meer zurücktreiben würden. Aber es war in jeder Küstenstadt anders. Die Seanchan sagten den erstaunten Leuten, sie müßten Eide erneut schwören, die sie vor langer Zeit gebrochen hätten, erklärten aber nicht, wann sie sie gebrochen oder was sie überhaupt bedeutet hatten. Eine junge Frau nach der anderen wurde weggebracht und untersucht, und manche davon wurden an Bord der Schiffe gebracht und nicht wiedergesehen. Auch ein paar ältere Frauen waren verschwunden, meist Lenker und Heiler. Die Seanchan wählten neue Bürgermeister und neue Gemeinderäte. Jeder, der gegen das Verschwinden der Frauen protestierte, kam zumindest nicht mehr für eines der Ämter in Frage oder wurde möglicherweise gehängt oder brannte plötzlich bei lebendigem Leib oder wurde einfach wie ein kläffender Köter beiseitegeschoben. Man konnte nicht vorhersagen, was einem passierte, bis es zu spät war.