»Sprecht langsam, Mann«, verlangte die blauäugige Frau in ihrem schleppenden Tonfall. Sie kam über das Deck heran und stellte sich vor ihn. Obwohl sie zu ihm hochblicken mußte, schien sie größer als er zu sein. »Ihr seid ja noch schwerer zu verstehen als der Rest in diesem vom Licht verlassenen Land. Und ich behaupte nicht, von edlem Blut zu sein. Noch nicht. Nach der Corenne... Ich bin Kapitän Egeanin.«
Domon wiederholte seine Worte, wobei er sich bemühte, langsam zu sprechen, und fügte hinzu: »Ich sein ein friedlicher Handelsschiffer, Kapitän. Ich nicht Bedrohung für Euch sein, und ich nichts mit Eurem Krieg zu tun haben.« Er konnte nicht anders, als die beiden durch die Leine verbundenen Frauen wieder anzustarren.
»Ein friedlicher Handelsschiffer?« sann Egeanin laut nach. »In diesem Fall seid Ihr frei und könnt weiterfahren, sobald Ihr Euren Gefolgschaftseid wieder abgelegt habt.« Sie bemerkte seinen Blick und lächelte die beiden Frauen voller Besitzerstolz an. »Ihr bewundert meine Damane? Sie hat mich einiges gekostet, aber sie war auch jede Münze wert. Nur wenige außer den Adligen besitzen eine Damane. Die meisten sind Eigentum des Throns. Sie ist stark, Händler. Sie hätte Euer Schiff zu Splittern zerbersten lassen können, wenn ich es gewünscht hätte.«
Domon betrachtete die Frauen und ihre silberne Leine. Er hatte diejenige, die das Abzeichen mit den Blitzen trug, mit den feurigen Fontänen im Meer in Verbindung gebracht und angenommen, sie sei eine Aes Sedai. Egeanin hatte nun seine Vorstellungen durcheinandergewirbelt. Niemand kann so etwas einer... »Sie sein Aes Sedai?« fragte er ungläubig.
Er sah den beiläufig durchgezogenen Schlag mit dem Handrücken nicht kommen. Er taumelte, als ihr stahlverstärkter Handschuh seine Lippe spaltete.
»Diese Bezeichnung wird niemals ausgesprochen«, sagte Egeanin mit gefährlich sanfter Stimme. »Es gibt nur die Damane, die Gekoppelten, und nun dienen sie auch in Wirklichkeit und nicht nur pro forma.« Im Vergleich mit ihrem Blick wäre Eis warm erschienen.
Domon schluckte das Blut herunter und ließ die geballten Fäuste herunterhängen. Und hätte er auch ein Schwert zur Hand gehabt, er hätte doch nicht seine Mannschaft von einem Dutzend gerüsteter Soldaten dahinschlachten lassen. Aber es kostete Mühe, seine Stimme demütig klingen zu lassen. »Ich nicht respektlos sein wollen, Kapitän. Ich nichts wissen von Euch und Euren Sitten. Wenn ich dagegen verstoßen, es nur Ignoranz sein und keine Absicht.«
Sie sah ihn an und sagte dann: »Ihr wißt alle nichts, Kapitän, aber Ihr werdet für die Schuld Eurer Vorfahren zahlen. Dieses Land gehörte uns, und es wird uns wieder gehören. Nach der Rückkehr ist es wieder in unserem Besitz.« Domon wußte nicht, was er sagen sollte. Sie doch wohl nicht sagen wollen, daß dieser ganze Klatsch über Artur Falkenflügel wahr sein? Also hielt er den Mund. »Ihr werdet nach Falme segeln« — er versuchte zu protestieren, aber ihr finsterer Blick ließ ihn innehalten und schweigen — »wo Ihr und Euer Schiff untersucht werdet. Wenn Ihr nur ein friedlicher Händler seid, wie Ihr ja behauptet, wird man Euch erlauben weiterzusegeln, sobald Ihr die Eide abgelegt habt.« »Eide, Kapitän? Welche Eide?«
»Zu gehorchen, zu warten und zu dienen. Eure Vorfahren hätten sich doch eigentlich daran erinnern müssen.«
Sie holte ihre Leute zusammen. Nur einer war ausgenommen: ein Mann in einfacher Rüstung, die seinen niedrigen Rang unterstrich, genau wie seine tiefe Verbeugung Kapitän Egeanin gegenüber. Dann legte ihre Pinasse ab und wurde zu dem größeren Schiff hinübergerudert. Der verbliebene Seanchan gab keine Befehle. Er setzte sich lediglich mit übergeschlagenen Beinen auf das Deck und machten sich daran, die Klinge seines Schwertes zu schleifen, während die Besatzung Segel setzte und das Schiff Fahrt aufnahm. Er schien keine Angst zu haben, obwohl er so allein in ihrer Mitte saß, und Domon hätte auch jeden Matrosen persönlich über Bord geworfen, der eine Hand gegen ihn erhob. Während die Gischt die Küste entlangfuhr, folgte ihnen das Schiff der Seanchan draußen in tieferem Wasser. Zwischen den beiden Schiffen lag etwa eine Meile, aber Domon war klar, daß es trotzdem kein Entkommen gab, und er wollte den Mann so sicher wieder an Kapitän Egeanin übergeben, als hätte seine eigene Mutter ihn auf den Armen geschaukelt.
Es war eine lange Fahrt nach Falme, und Domon überredete den Seanchan schließlich, ein wenig mit ihm zu plaudern. Er war ein dunkeläugiger Mann von mittleren Jahren mit einer alten Narbe über den Augen und einer weiteren an der Kinnspitze. Er hieß Caban und hatte nichts als Verachtung übrig für jeden, der auf dieser Seite des Aryth-Meeres lebte. Das machte Domon dann doch nachdenklich. Vielleicht sie wirklich sein... Nein, das sein doch verrückt! Cabans Tonfall war genauso schleppend wie der Egeanins, aber wo ihre Stimme nach Seide auf Eisen klang, klang seine nach Leder, das über einen Felsen schleift. Meist wollte er nur über Schlachten sprechen, über Trinken und über die Frauen, die er kennengelernt hatte. Die Hälfte der Zeit über war Domon nicht klar, ob er von der jüngsten Vergangenheit berichtete oder von dem Land, von dem er gekommen war. Der Mann konnte ihm nicht viel über das erzählen, was Domon wissen wollte.
Einmal fragte ihn Domon nach den Damane. Caban, der vor dem Rudergänger auf den Planken saß, hob das Schwert und setzte die Spitze an Domons Kehle. »Seid vorsichtig mit dem, was Eure Zunge tut, oder Ihr verliert sie. Das geht nur den Adel an und nicht Euch. Oder mich.« Er grinste dabei, und als er ausgesprochen hatte, fuhr er fort, mit einem Stein die schwere, gekrümmte Schneide zu schleifen.
Domon berührte den Blutstropfen, der über dem Kragen aus seiner Kehle trat, und beschloß, vorläufig wenigstens nicht mehr danach zu fragen.
Je näher die beiden Schiffe Falme kamen, desto häufiger passierten sie hohe, eckig anzuschauende Schiffe der Seanchan, einige unter Segel, die Mehrzahl jedoch vor Anker. Jedes hatte diesen abgeschnittenen Bug und die Türme an Bug und Heck, und sie gehörten zu den größten Schiffe, die Domon selbst bei den Meerleuten jemals gesehen hatte. Ein paar kleine Küstensegler mit ihrem spitzen Bug und den Dreiecksegeln glitten über die grünen Wogen. Ihr Anblick ließ ihn auf Egeanins Versprechen vertrauen, daß er frei weitersegeln könne.
Als sich die Gischt der Landzunge näherte, auf der Falme stand, riß Domon aber dann doch die Augen auf. Eine solche Anzahl von Schiffen der Seanchan vor dem Hafen ankern zu sehen, hatte er nicht erwartet. Er versuchte, sie zu zählen, aber bei hundert gab er auf, und das war noch nicht einmal die Hälfte. Er hatte schon zuvor gelegentlich eine solche Schiffsansammlung gesehen — in Illian oder Tear und sogar im Hafen von Tanchico, aber da waren eben sehr viele kleine Schiffe dabeigewesen. Er murmelte mürrisch einiges in sich hinein und ließ die Gischt in den Hafen einlaufen, von ihrem großen Seanchan-Schäferhund hineingetrieben.
Falme stand auf einer schmalen Landzunge am äußersten Ende der Toman-Halbinsel. Weiter westlich erstreckte sich nur noch das Aryth-Meer. Von beiden Seiten her war die Hafeneinfahrt von hohen Klippen eingerahmt, und auf einer davon, an einem Fleck, den jedes Schiff, das in den Hafen einfahren wollte, passieren mußte, standen die Türme der Wächter der Wogen. Ein Käfig hing an der Seite eines der Türme, und darin saß offensichtlich mutlos ein Mann und ließ die Beine zwischen den Gitterstäben herausbaumeln.
»Wer sein denn das?« fragte Domon.
Caban hatte endlich mit dem Schwertschleifen aufgehört, nachdem Domon sich gefragt hatte, ob er sich damit rasieren wolle. Der Seanchan blickte auf und sah, worauf Domon deutete. »Oh! Das ist der Erste Wächter. Natürlich nicht derjenige, der den Vorsitz hatte, als wir ankamen. Jedesmal wenn einer stirbt, wählen sie einen neuen, und wir stecken ihn in den Käfig.«