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Domon verstand gut, warum die Seanchan den Leuten hier so viele Freiheiten lassen konnten. Er fragte sich, ob er selbst den Mut aufbringen könne, ihnen Widerstand zu leisten. Damane. Ungeheuer. Gäbe es überhaupt irgend etwas, das die Seanchan davon abhalten könnte, geradewegs bis zum Rückgrat der Welt zu marschieren? Gehen mich nichts an, dachte er grimmig und überlegte, ob es irgendeine Möglichkeit gebe, die Seanchan bei seinen künftigen Handelsreisen zu meiden.

Sie erreichten den oberen Rand des Einschnitts, wo die Stadt endete und das Hügelland begann. Es gab keine Stadtmauer. Vor ihnen lagen die Schenken, wo die Kaufleute übernachteten, die ins Landesinnere fuhren, und dazu die Wagenstellplätze und Ställe. Die Häuser hier wären auch in Illian respektable Herrenhäuser der niedrigeren Adligen gewesen. Vor dem größten stand eine Ehrenwache von Soldaten der Seanchan, und obenauf flatterte eine Flagge mit einem goldenen Falken mit ausgebreiteten Schwingen auf blauem Grund. Egeanin gab Schwert und Dolch ab, bevor sie Domon mit hineinbrachte. Ihre beiden Soldaten verblieben auf der Straße. Domon kam ins Schwitzen. Das roch nach der Anwesenheit eines hohen Adligen, und es war nicht gut, mit einem Lord in dessen eigenem Haus verhandeln zu müssen.

In der Eingangshalle ließ Egeanin Domon an der Tür stehen und sprach mit einem Diener. Er war wohl aus Falme, wie Domon aus den langen Ärmeln seines Hemdes und den spiralförmigen Stickereien auf der Brust schloß. Domon glaubte, aus ihrer Unterhaltung die Worte ›hoher Herr‹ herauszuhören. Der Diener eilte fort und kehrte nach einer Weile zurück. Er führte sie in das unzweifelhaft größte Zimmer des Hauses. Jedes noch so kleine Möbelstück war daraus entfernt worden, selbst die Teppiche, und der Steinboden war blitzblank geputzt. Mit fremdartigen Vögeln bemalte Stellwände verdeckten Wände und Fenster.

Egeanin trat ein kurzes Stück in den Raum hinein und blieb dann stehen. Als Domon sie fragen wollte, wo sie sich befanden und warum, brachte sie ihn mit einem wilden Blick und einem wortlosen Grollen zum Schweigen. Sie rührte sich nicht, schien aber irgendwie auf Zehenspitzen zu stehen. Sie hielt das, was sie von seinem Schiff mitgenommen hatte, wie etwas Wertvolles in den Händen. Er versuchte sich vorzustellen, was es wohl sei.

Plötzlich erklang leise ein Gong, und die Seanchan-Frau sank auf die Knie nieder, wobei sie den in Seide gehüllten Gegenstand vorsichtig neben sich stellte. Auf einen Blick von ihr hin ließ sich auch Domon auf die Knie nieder. Adlige erließen manchmal eigenartige Vorschriften, und er vermutete, die der Seanchan könnten noch etwas eigenartiger sein als alles, was er bisher kennengelernt hatte.

Zwei Männer erschienen im Eingang auf der entfernten Seite des Raumes. Der eine hatte die linke Kopfseite kahlgeschoren. Das verbliebene blaßgoldene Haar hing zu einem Zopf geflochten auf seine Schulter herunter. Sein sattgelbes Gewand war gerade lang genug, daß die Spitzen seiner gelben Pantoletten beim Gehen herauslugten. Der andere trug ein blaues Seidengewand, mit Vogelbildern umsäumt und so lang, daß er es auf dem Boden hinter sich herschleifen mußte. Sein Kopf war völlig kahlgeschoren und die Fingernägel waren dreimal so lang wie normal. Die an den Zeige- und Mittelfingern beider Hände waren blau angemalt. Domon bekam vor Staunen den Mund nicht zu.

»Ihr befindet Euch in der Gegenwart des Hohen Herrn Turak«, verkündete der gelbhaarige Mann in singendem Tonfall, »der die Vorfahren befehligt und die Rückkehr vorbereitet.«

Egeanin warf sich mit seitlich angelegten Händen zu Boden. Domon machte es ihr übereifrig nach. Selbst die Hochlords von Tear so was nicht verlangen würden, dachte er. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Egeanin den Boden küßte. Er verzog das Gesicht und entschloß sich, das Nachahmen an diesem Punkt abzubrechen. Sie nicht sehen können sowieso, ob ich das tun oder nein.

Egeanin stand plötzlich wieder auf. Er begann ebenfalls, sich zu erheben, und kniete auch bereits mit einem Bein wieder, als ein Grollen aus ihrer Kehle und ein entsetzter Blick des Mannes mit dem Zopf ihn wieder zurücksinken ließ. Er lag mit dem Gesicht am Boden und fluchte leise vor sich hin. Ich das nicht machen würde für den König von Illian und den Rat der Neun zusammen. »Ihr heißt Egeanin?« Das mußte die Stimme des Mannes in dem blauen Gewand sein. Der Rhythmus seiner Stimme klang beinahe nach Gesang.

»Man gab mir diesen Namen an meinem Schwert-Tag, Hoher Herr«, antwortete sie demütig.

»Das ist ein schönes Stück, Egeanin. Recht selten. Wünscht Ihr eine Bezahlung?«

»Es ist mir Bezahlung genug, dem Hohen Herrn Freude bereitet zu haben. Ich lebe, um zu dienen, Hoher Herr.«

»Ich werde Euren Namen der Kaiserin gegenüber erwähnen, Egeanin. Nach der Rückkehr werden neue Namen zum Adel berufen werden. Erweist Euch als würdig, und vielleicht legt Ihr dann den Namen Egeanin ab, zugunsten eines höheren.«

»Der Hohe Herr ehrt mich.«

»Ja. Ihr könnt mich nun verlassen.«

Domon konnte nur sehen, wie ihre Stiefel sich aus dem Raum schoben, wobei sie in Abständen stehenblieben, wenn sie sich verbeugte. Die Tür schloß sich hinter ihr. Langes Schweigen folgte. Er beobachtete, wie die Schweißtropfen von seiner Stirn auf den Boden klatschten. Dann sprach Turak wieder.

»Ihr mögt Euch erheben, Händler.«

Domon stand auf und sah, was Turak in den Händen mit den langen Fingernägeln hielt: Die Scheibe aus Cuendillar, die das uralte Symbol der Aes Sedai darstellte.

Da er sich noch zu gut an Egeanins Reaktion bei seiner Erwähnung der Aes Sedai erinnerte, kam Domon nun wirklich ins Schwitzen. Im Blick aus den dunklen Augen des Hohen Herrn lag allerdings keine Feindseligkeit, nur leichte Neugier, aber Domon traute solchen Adligen nicht.

»Wißt Ihr, was das ist, Händler?«

»Nein, Hoher Herr.« Domons Antwort klang felsenfest überzeugend. Kein fahrender Händler überlebte lang, wenn er nicht mit Unschuldsmiene und fester Stimme lügen konnte.

»Und doch habt Ihr es an einem geheimen Ort versteckt.«

»Ich sammeln alte Sachen, Hoher Herr, Sachen aus vergangenen Zeiten. Es geben solche, die das stehlen würden, wenn es leicht erreichbar sein.«

Turak betrachtete die schwarz weiße Scheibe einen Augenblick lang. »Das ist Cuendillar, Händler — kennt Ihr diese Bezeichnung? —, und es ist älter, als Euch vielleicht klar ist. Kommt mit!«

Domon folgte dem Mann mißtrauisch. Er fühlte sich nun allerdings etwas sicherer. Bei jedem Lord in einem der Länder, die er kannte, wäre es jetzt bereits geschehen, daß er die Wachen gerufen hätte, falls er das wollte. Aber das wenige, das er bisher bei den Seanchan beobachten konnte, sagte ihm nur, daß sie die Dinge anders anpackten als andere Leute. Er bemühte sich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen.

Er wurde in einen anderen Raum geführt. Er war der Überzeugung, daß Turak das Mobiliar hier mitgebracht haben mußte. Es schien ganz aus Rundungen zu bestehen. Es gab überhaupt keine harten, geraden Linien. Das hochglänzende Holz zeigte eine fremdartige Maserung. Ein Stuhl stand im Raum, und zwar auf einem seidenen Teppich, der Vögel und Blumen zeigte; dazu eine große, runde Kommode. Stellwände ließen auch diesen Raum kleiner erscheinen.

Der Mann mit dem Zopf öffnete die Tür der Kommode, und in ihrem Inneren sah Domon eine eigenartige Sammlung von Skulpturen, Pokalen, Schüsseln, Vasen, fünfzig verschiedene Dinge, von denen sich keine zwei in Größe oder Form glichen. Domon stockte der Atem, als Turak vorsichtig die Scheibe neben einen perfekten Zwilling legte.