»Rand«, sagte Loial, »dort vorne brennt es.«
Rand schob seine unerfreulichen Grübeleien beiseite und blickte mit finsterer Miene nach vorn in die Stadt hinein. Eine dicke, schwarze Rauchsäule erhob sich über den Dächern. Er konnte nicht erkennen, aus welchem Gebäude sie quoll, aber es war auf jeden Fall in der Nähe ihrer Schenke.
»Schattenfreunde«, sagte er beim Betrachten der Rauchwolke. »Trollocs können nicht ungesehen die Stadt betreten, aber Schattenfreunde... Hurin!« Er rannte los, und Loial hielt leicht Schritt mit ihm.
Je näher sie kamen, desto klarer wurde ihnen, welches Gebäude da brannte. Sie umrundeten die letzte steingefaßte Kurve, und da war der ›Verteidiger der Drachenmauer‹. Rauch quoll aus den oberen Fenstern, und Flammen schlugen aus dem Dach. Vor der Schenke hatten sich viele neugierige Zuschauer versammelt. Cuale schrie und hüpfte wild herum. Er wies Männer an, die Möbel hinaus auf die Straße trugen. Eine Doppelkette von Männern gab auf der einen Seite wassergefüllte Eimer weiter ins Haus hinein, und auf der anderen Seite kamen die leeren Eimer zurück und wurden bis zum weiter unten an der Straße befindlichen Brunnen weitergereicht. Die meisten Leute standen aber nur herum und sahen zu. Eine grelle Flamme schlug durch das Ziegeldach in den Himmel, und sie gaben ein lautes ›Aaaaah‹ von sich.
Rand drängte sich durch die Menge zum Wirt. »Wo ist Hurin?«
»Vorsichtig mit diesem Tisch umgehen!« schrie Cuale. »Verkratzt ihn nicht!« Er sah Rand an und blinzelte. Sein Gesicht war von Rauch geschwärzt. »Lord Rand? Wer? Euer Diener? Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn gesehen zu haben, Herr. Bestimmt ist er draußen. Laß die Kerzenhalter nicht fallen, du Narr! Sie sind aus Silber!« Cuale tanzte weg, um die Männer anzuschreien, die alle seine Besitztümer aus der Schenke schleppten.
»Hurin ist doch nicht hinausgegangen«, sagte Loial. »Er hätte niemals die... « Er sah sich um und ließ den Rest ungesagt. Einige der Zuschauer schienen den Ogier ebenso interessant zu finden wie das Feuer.
»Ich weiß«, sagte Rand und stürzte in die Schenke hinein.
Dem Schankraum sah man kaum an, daß das Gebäude in Flammen stand. Die Doppelkette von Männern zog sich die Treppe hinauf und gab die Eimer weiter, während andere herumeilten und hinaustrugen, was noch an Möbeln übrig war. Aber hier sah man nicht mehr Rauch, als sonst aus der Küche quoll. Erst als Rand sich an den Männern vorbei die Treppe hochquetschte, wurde er dichter. Hustend rannte er hoch.
Die Kette endete kurz vor der Treppe zum zweiten Stock. Männer standen auf halber Höhe und schleuderten Wasser in einen von Rauch erfüllten Gang. Flammen züngelten an den Wänden hoch und flackerten rot durch den schwarzen Qualm.
Einer der Männer packte Rand am Arm. »Ihr könnt da nicht hinaufgehen, Lord! Dort oben ist alles verloren. Ogier, sagt es ihm doch!«
Erst jetzt bemerkte Rand, daß Loial ihm gefolgt war. »Geh zurück, Loial. Ich bringe ihn heraus.«
»Du kannst nicht gleichzeitig Hurin und die Truhe tragen, Rand.« Der Ogier zuckte die Achseln. »Außerdem überlasse ich meine Bücher nicht dem Feuer.«
»Dann duck dich unter den Rauch.« Rand ließ sich auf alle viere nieder und krabbelte weiter hinauf. Unten, nahe dem Boden, war die Luft sauberer; immer noch so qualmerfüllt, daß er husten mußte, aber er konnte sie wenigstens atmen. Doch selbst die Luft schien unerträglich heiß zu sein. Er bekam durch die Nase nicht genug Luft, also atmete er durch den Mund und fühlte, wie seine Kehle austrocknete.
Wasser, das die Männer in die Flammen schleudern wollten, erwischte ihn voll und durchnäßte ihn bis auf die Haut. Die Kühle brachte aber nur für einen Augenblick Erleichterung, dann schlug die Hitze wieder zurück. Entschlossen kroch er weiter. Er hörte am Husten des Ogiers, daß dieser sich gleich hinter ihm befand.
Eine Wand des Flurs stand lichterloh in Flammen, und aus dem Boden an dieser Seite stiegen bereits die ersten Rauchfäden zu der Wolke über ihren Köpfen auf. Er war froh, daß er nicht erkennen konnte, wie es über dem Rauch aussah. Das unheilvolle Krachen im Gebälk sagte ihm einiges.
Die Tür zu Hurins Zimmer brannte noch nicht, aber sie war bereits so heiß, daß er zwei Versuche benötigte, um sie aufzustoßen. Das erste, was er sah, war Hurin, der am Boden lag. Rand kroch zu dem Schnüffler hin und nahm ihn in die Arme. An der Seite seines Kopfes sah er eine pflaumengroße Beule. Hurin öffnete die Augen und blickte ihn verschwommenen an. »Lord Rand?« murmelte er schwach. »... an die Tür geklopft... dachte, es sei wieder eine Einl... « Seine Pupillen rollten weg. Rand fühlte nach dem Herzschlag und entspannte sich vor Erleichterung, als er ihn gefunden hatte.
»Rand...«, hustete Loial. Er war beim Bett und hatte die Laken hochgeschlagen. Darunter befanden sich lediglich die kahlen Bodenbretter. Die Truhe war weg.
Über dem Rauch krachte es in der Decke, und brennende Holzstücke fielen zu Boden.
Rand sagte: »Nimm deine Bücher. Ich trage Hurin. Mach schnell!« Er versuchte, sich den schlaffen Körper des Schnüfflers über die Schultern zu legen, aber Loial nahm ihm Hurin ab. »Die Bücher müssen eben verbrennen, Rand. Du kannst ihn nicht tragen und dabei wegkriechen, und wenn du aufstehst, wirst du nicht einmal mehr die Treppe erreichen.« Der Ogier zerrte sich Hurin auf den breiten Rucken. Die Arme und Beine des Schnüfflers hingen zu beiden Seiten herunter. Von der Decke her ertönte ein weiteres lautes Knacken. »Mach schnell, Rand.«
»Geh, Loial! Geh, ich komme nach.«
Der Ogier kroch mit seiner Last in den Flur hinaus, und Rand wollte ihm schon folgen. Dann hielt er aber inne, als er die Verbindungstür zu seinem Zimmer sah. Die Flagge war immer noch dort drinnen. Das Drachenbanner. Laß sie doch verbrennen, dachte er, und der antwortende Gedanke kam prompt, als höre er ihn von Moiraine: Dein Leben könnte davon abhängen. Sie will mich immer noch benützen. Dein Leben könnte davon abhängen. Aes Sedai lügen nie.
Ächzend rollte er sich über den Boden und trat die Tür zu seinem Zimmer auf. Der andere Raum war von Flammen erfüllt. Das Bett wirkte wie ein Sonnwendfeuer. Rote Zungen leckten bereits über den Boden. Dort konnte er nicht weiterkriechen. Er stand auf und rannte geduckt in das Zimmer. Er zuckte vor der Hitze zurück, keuchte und erstickte fast. Sein nasser Mantel dampfte. Eine Seitenwand des Kleiderschranks brannte schon. Er riß die Tür auf. Drinnen lagen seine Satteltaschen, bisher noch vom Feuer verschont. Die eine war ausgebeult, wo die Flagge Lews Therin Telamons steckte, und der hölzerne Flötenkasten lag daneben. Einen Moment lang zögerte er. Ich kann sie immer noch verbrennen lassen. Die Decke über ihm ächzte. Er packte die Satteltaschen und den Flötenkasten und warf sich durch die Tür zurück. Er landete auf den Knien, während brennende Dachbalken auf die Stelle herunterkrachten, an der er eben noch gestanden hatte. Er schleifte seine Last hinter sich her und kroch in den Flur. Der Fußboden wurde vom Aufprall weiterer herunterstürzender Balken erschüttert.
Die Männer mit den Eimern waren weg, als er die Treppe erreichte. Er rutschte vor Hast beinahe bis zum nächsten Absatz hinunter, rappelte sich hoch und rannte durch das mittlerweile leere Gebäude auf die Straße hinaus. Die Zuschauer starrten ihn neugierig an. Sein Gesicht war schwarz und der Mantel rußbedeckt, aber er taumelte hinüber zu Loial, der Hurin an die Mauer des gegenüberliegenden Hauses gelehnt hatte. Eine Frau aus der Menge wischte Hurins Gesicht mit einem feuchten Tuch ab, doch seine Augen waren noch geschlossen, und der Atem kam unregelmäßig.