»Thom, ich weiß, Ihr habt gesagt, wir trennen uns, aber ich mußte vor diesen Frauen fliehen. Alles, was sie mir sagten, war, daß ihre Ehemänner fort seien, aber sie deuteten noch ganz anderes an.« Thom erstickte fast an seinem Wein, und Rand klopfte ihm auf den Rücken. »Ihr trinkt zu schnell, und etwas kommt einem dabei immer in die falsche Kehle. Thom, sie glauben, daß ich mit Barthanes paktiere oder vielleicht auch mit Galldrian, und ich glaube nicht, daß sie es mir abnehmen werden, wenn ich ihnen sage, daß das nicht stimmt. Ich brauchte einfach eine Ausrede, um von ihnen wegzukommen.«
Thom strich sich über den langen Schnurrbart und blickte hinüber zu den drei Frauen. Sie standen immer noch nebeneinander und beobachteten ihn und Rand. »Ich kenne die drei, Junge. Breane Taborwin allein könnte dich so vieles lehren, wie jeder Mann einmal im Leben lernen sollte, falls er die Erfahrung überlebt. Macht sich Gedanken über ihre Ehemänner. Das gefällt mir, Junge.« Mit einem Mal wurde sein Blick stechend. »Du hattest mir erzählt, du hättest nichts mehr mit den Aes Sedai zu tun. Die Hälfte aller Unterhaltungen heute abend beschäftigt sich damit, daß ohne Vorwarnung ein Lord aus Andor erschienen ist, mit einer Aes Sedai zur Seite. Barthanes und Galldrian. Diesmal hast du dich von der Weißen Burg ganz schön hineinreiten lassen.«
»Sie ist erst gestern gekommen, Thom. Und sobald das Horn in Sicherheit ist, bin ich sie wieder los. Dafür werde ich sorgen.«
»Du sagst das, als sei es gerade jetzt nicht in Sicherheit«, sagte Thom bedächtig. »So hast du dich vorher nicht angehört.«
»Schattenfreunde haben es gestohlen, Thom. Sie haben es hierher gebracht. Barthanes ist einer davon.«
Thom schien seinen Wein zu erforschen, aber sein Blick schweifte umher, um sicherzugehen, daß niemand nahe genug zum Lauschen war. Mehr als nur die drei Frauen beobachteten sie aus den Augenwinkeln, während sie vorgaben, tief in eine Unterhaltung versunken zu sein, aber trotzdem hielt sich jedes Grüppchen von den anderen fern. Thom sagte leise: »Eine gefährliche Sache, selbst wenn es nicht stimmt, und noch gefährlicher, wenn du recht hast. Eine solche Anklage, und dann noch gegen den mächtigsten Mann im Königreich... Du meinst, er habe das Horn? Ich schätze, du willst, daß ich dir wieder helfe, jetzt, wo du wieder an den Fäden der Weißen Burg hängst?«
»Nein.« Er hatte entschieden, daß Thom recht hatte, auch wenn der Gaukler nicht wußte, warum. Er konnte niemanden in seine Probleme verwickeln. »Ich wollte nur diesen Frauen entkommen.«
Der Gaukler pustete erstaunt in seinen Schnurrbart. »Also, na ja. Das ist gut. Beim letzten Mal, als ich dir half, trug ich eine Beinverletzung davon und muß seither humpeln. Mittlerweile scheinst du ja wieder in den Fängen von Tar Valon zu zappeln. Diesmal mußt du aus eigener Kraft entkommen.« Es klang, als wolle er sich das selbst einreden.
»Das werde ich, Thom. Bestimmt.« Sobald das Horn in Sicherheit ist und Mat diesen blutigen Dolch zurückhat. Mat, Hurin, wo seid ihr bloß? Als habe er ihn verstanden, tauchte Hurin im Saal auf. Seine Blicke suchten zwischen den Lords und Ladies. Sie sahen durch ihn hindurch; Diener existierten für sie nicht, außer sie brauchten sie gerade. Als er Rand und Thom erspähte, wand er sich zwischen den Grüppchen der Adeligen hindurch und verbeugte sich vor Rand. »Lord Rand, man hat mich geschickt, um es Euch mitzuteilen. Euer Leibdiener ist gestürzt und hat sich das Knie verdreht. Ich weiß nicht, wie schlimm es ist, Herr.«
Einen Augenblick lang blickte Rand verständnislos drein, bevor er begriff. Er war sich der Blicke bewußt, die auf ihm ruhten, und deshalb sprach er laut genug, damit ihn die am nächsten Stehenden hören konnten: »Ungeschickter Narr. Was nützt er mir, wenn er nicht laufen kann? Ich schätze, ich sollte mich wohl darum kümmern, wie schwer er sich verletzt hat.«
Es schien genau das Richtige zu sein. Hurin klang erleichtert, als er nach einer weiteren Verbeugung sagte: »Wie mein Herr wünschen. Bitte mir zu folgen.«
»Du spielst den Lord sehr überzeugend«, sagte Thom leise. »Aber denk daran: Die Leute aus Cairhien spielen Daes Dae'mar, doch es war die Weiße Burg, in der das Spiel erfunden wurde. Paß auf dich auf, Junge!« Mit einem bösen Blick zu den Adeligen hinüber stellte er den leeren Pokal auf das Tablett eines vorbeieilenden Dieners und schlenderte weg, wobei er seine Harfe wieder zupfte. Er begann, Frau Mili und der Seidenhändler vorzutragen.
»Geh voran, Mann!« befahl Rand Hurin. Er fühlte sich nicht wohl dabei. Als er dem Schnüffler aus dem Saal folgte, fühlte er die Blicke in seinem Rücken.
33
Botschaft aus dem Dunkel
»Hast du es gefunden?« fragte Rand, während er Hurin eine enge Treppe hinunter nachlief. Die Küche befand sich in einem der unteren Stockwerke, und man hatte sämtliche Diener dorthin geschickt, die mit den Gästen zusammen angekommen waren. »Oder ist Mat wirklich etwas passiert?«
»Ach, Mat geht es gut, Lord Rand.« Der Schnüffler zog die Stirn kraus. »Zumindest scheint es so, und er schimpft wie ein gesunder Mann. Ich wollte Euch nicht beunruhigen, aber ich brauchte eine Ausrede, um Euch hier herunter zu holen. Ich hatte keine Schwierigkeiten, die Spur wiederzufinden. Die Männer, die Cuales Schenke ansteckten, sind alle in einen ummauerten Garten hinter dem Haus gegangen. Die Trollocs haben sich ihnen angeschlossen — sie sind auch da drinnen. Das muß wohl irgendwann gestern gewesen sein, schätze ich. Vielleicht auch schon vorgestern nacht.« Er zögerte. »Lord Rand, sie sind nicht wieder herausgekommen. Sie müssen einfach immer noch drin sein.«
Am Fuß der Treppe konnten sie hören, wie die Diener ein Stück weiter den Flur entlang feierten. Gelächter und Gesang erklangen von dort her. Jemand hatte eine Zither dabei und spielte eine schnelle, einfache Melodie, zu der die anderen im Rhythmus klatschten. Man hörte das Stampfen tanzender Füße. Hier gab es weder stuckverzierte Decken noch schöne Tapeten — nur blanken Stein oder Holz. Der Lichtschein im Gang rührte von Binsenfackeln her, deren Qualm die Decke schwärzte. Sie befanden sich so weit voneinander entfernt, daß es dazwischen fast dunkel war.
»Ich bin froh, daß du wieder normal mit mir sprichst«, sagte Rand. »So, wie du dich ständig verbeugt und Kratzfüße gemacht hast, glaubte ich schon, du wolltest die Leute aus Cairhien noch übertreffen.«
Hurins Gesicht lief rot an. »Also, was das betrifft... « Er blickte den Flur hinunter in Richtung des Lärms und spitzte die Lippen, als wolle er ausspucken. »Sie tun alle so wohlerzogen und korrekt, aber... Lord Rand, jeder von ihnen behauptet, seinem Herrn oder seiner Herrin gegenüber treu zu sein, aber alle deuten an, daß sie bereit sind, ihr Wissen oder ihre Kenntnisse weiterzuverkaufen. Und wenn sie ein paar Glas getrunken haben, dann flüstern sie einem Sachen über ihre Lords und Ladies ins Ohr, daß einem die Haare zu Berge stehen. Ich weiß, sie sind nun mal aus Cairhien, aber so was habe ich denn doch noch nie erlebt.«
»Wir gehen ja bald von hier weg, Hurin.« Rand drückte eher seine Hoffnung aus als eine Gewißheit. »Wo ist dieser Garten?« Hurin bog in einen Seitengang ein, der zur Rückseite des Hauses führte. »Hast du Ingtar und die anderen schon runtergebracht?«
Der Schnüffler schüttelte den Kopf. »Lord Ingtar ließ sich von sechs oder sieben dieser sogenannten Damen in die Enge treiben. Ich konnte nicht nahe genug herankommen, um mit ihm zu sprechen. Und Verin Sedai war bei Barthanes. Sie sah mich derart eigenartig an, als ich mich näherte, daß ich nicht einmal versucht habe, ihr etwas zu sagen.«
Sie bogen um eine weitere Ecke, und da standen Loial und Mat. Loial konnte wegen der niedrigen Decke nur gebückt stehen.
Loials Grinsen war fast so breit wie sein ganzes Gesicht. »Da bist du ja, Rand. Ich war noch niemals so froh, jemandem entkommen zu können, wie bei diesen Leuten dort droben! Sie fragten mich immer wieder, ob die Ogier zurückkehrten und ob Galldrian sich mit uns über die noch ausstehende Bezahlung geeinigt habe. Es scheint, als hätten all die Ogier-Steinwerker nur deshalb Cairhien verlassen, weil Galldrian sie nicht mehr bezahlte, außer mit Versprechungen. Ich mußte ihnen immer wieder erklären, daß ich davon nichts wisse, aber die Hälfte glaubte wohl, ich löge, und die andere Hälfte dachte, ich spiele auf irgend etwas an.«