Fain brachte seine Knie zum Zittern. »Ich wünsche nur, zu dienen und zu beraten, Hochlord. Ich weiß vieles, was nützlich sein könnte.« Dieser Hof in Seandar schien genau der Ort zu sein, an dem seine Fähigkeiten und seine Pläne auf fruchtbaren Boden fallen würden.
»Bis ich nach Seanchan zurücksegle, werdet Ihr mich mit Berichten von Eurer Familie und ihren Traditionen unterhalten. Es ist eine Erleichterung, in diesem lichtverlassenen Land noch einen zweiten Mann zu finden, der mich unterhalten kann, auch wenn Ihr beide mir Lügen erzählt, wie ich stark vermute. Ihr dürft mich jetzt verlassen.« Es wurde kein weiteres Wort gesprochen, aber das Mädchen mit dem beinahe weißen Haar und dem fast durchscheinenden Kleid kam leichtfüßig hereingeeilt, kniete sich mit gesenktem Kopf neben dem Hochlord nieder und bot ihm eine einzelne dampfende Tasse auf einem lackierten Tablett dar.
»Hochlord«, sagte Fain. Der Mann mit dem Zopf —Huan — nahm ihn beim Arm, doch er riß sich los. Huans Mund verzog sich wütend, als Fain zu seiner bisher tiefsten Verbeugung ansetzte. Ja, ich werde ihn ganz langsam töten. »Hochlord, da sind andere, die mich verfolgen. Sie wollen das Horn von Valere rauben. Schattenfreunde und noch schlimmere, Hochlord, und sie können sich kaum mehr als einen oder zwei Tage hinter mir befinden.«
Turak balancierte die dünne Tasse trotz der langen Nägel auf seinen Fingerspitzen und nippte an der schwarzen Flüssigkeit. »In Seanchan sind nicht viele Schattenfreunde übrig. Diejenigen, die die Arbeit der Sucher nach der Wahrheit überstehen, werden von der Axt des Henkers getroffen. Es könnte ganz amüsant sein, einen Schattenfreund kennenzulernen.«
»Hochlord, sie sind gefährlich. Sie haben Trollocs dabei. Sie werden von jemand angeführt, der sich Rand al'Thor nennt. Ein junger Mann, der jedoch unter dem Schatten so böse geworden ist, daß man es kaum glauben kann. Er hat eine trügerische, verlogene Zunge. An den verschiedensten Orten hat er ganz unterschiedliche Angaben über seine Person gemacht, aber es kommen immer Trollocs nach, wo er sich auch befindet, Hochlord. Immer kommen die Trollocs... und morden.«
»Trollocs«, meinte Turak nachdenklich. »In Seanchan gab es keine Trollocs. Aber die Heere der Nacht hatten andere Verbündete. Andere — Dinge. Ich habe mich oft gefragt, ob ein Grolm es mit einem Trolloc aufnehmen kann. Ich werde Leute ausschicken, um sich nach Euren Trollocs und Schattenfreunden umzusehen, falls nicht auch die erlogen sind. Dieses Land läßt mich noch vor Langeweile ersticken.« Er seufzte und sog die Dämpfe über seiner Tasse ein.
Fain ließ sich von dem grimassenschneidenden Huan aus dem Raum zerren. Er hörte kaum noch hin, als Huan ihm einen Vortrag darüber hielt, was geschehe, wenn er Lord Turak nicht sofort verlasse, nachdem der ihm die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Er bemerkte auch kaum, daß er auf die Straße befördert wurde und man ihm eine Münze in die Hand drückte, mit der Anweisung, sich am nächsten Morgen wieder dort einzufinden. Jetzt gehörte Rand al'Thor ihm allein. Ich werde endlich für das sorgen, daß er stirbt. Und dann wird die Welt dafür bezahlen, was man mir angetan hat.
Leise kichernd führte er seine Pferde auf der Suche nach einer Schenke in den Ort hinunter.
35
Stedding Tsofu
Die Hügelkette, die sich vom Fluß herzog, machte nach einem halben Tagesritt einer ebeneren Landschaft mit vereinzelten Wäldern Platz. Die Schienarer hatten ihre Rüstungen immer noch auf den Packpferden. Es gab auf ihrem Weg keine Straßen, nur gelegentliche Fahrspuren von Bauernwagen und ein paar vereinzelte Höfe und Dörfer. Verin verlangte von ihnen, daß sie schneller ritten, und Ingtar gab nach. Er unkte allerdings andauernd, daß sie bestimmt auf eine Finte hereinfielen und daß Fain ihnen niemals gesagt hätte, wohin er wirklich reite, und dann paßte es ihm aber auch wieder nicht, daß sie in entgegengesetzter Richtung zur TomanHalbinsel ritten. Es war, als glaube ein Teil von ihm die Geschichte, während der andere Teil meinte, die TomanHalbinsel sei keineswegs einen monatelangen Ritt weit entfernt, außer ausgerechnet auf dem Weg, den sie nun eingeschlagen hatten. Die Flagge mit der Grauen Eule flatterte im Wind über ihnen.
Rand ritt grimmig entschlossen voran. Er vermied jede Unterhaltung mit Verin. Er mußte diese eine Sache hinter sich bringen — Ingtar hätte es seine Pflicht genannt —, und dann wollte er die Aes Sedai ein für allemal loswerden. Perrin schien ähnlicher Laune zu sein. Er starrte beim Reiten stur geradeaus. Als sie schließlich bei schon beinahe völliger Dunkelheit anhielten und ihr Nachtlager an einem Waldrand aufschlugen, fragte Perrin Loial über das Stedding aus. Trollocs betraten ein Stedding nicht, aber wie stand es mit Wölfen? Loial erwiderte kurz angebunden, daß sich nur Kreaturen des Schattens davor scheuten, ein Stedding zu betreten. Und natürlich die Aes Sedai, denn innerhalb konnten sie die Wahre Quelle nicht berühren oder die Eine Macht benützen. Der Ogier selbst schien Stedding Tsofu am liebsten meiden zu wollen. Mat dagegen war der einzige, der darauf schon beinahe verzweifelt versessen war. Seine Haut wirkte, als habe sie ein Jahr lang kein Sonnenlicht mehr abbekommen, und seine Wangen waren eingefallen. Er behauptete aber, er fühle sich danach, auch einen Wettlauf zu bestehen. Verin legte ihm die Hände auf und wandte all ihre Heilkunst an, bevor er sich in seine Decken rollte und dann wieder am Morgen, bevor sie wieder die Pferde bestiegen, aber an seinem Aussehen änderte das nichts. Selbst Hurin zog die Stirn kraus, wenn er Mat ansah.
Die Sonne stand am zweiten Tag hoch am Himmel, als Verin sich plötzlich im Sattel aufrichtete und sich umblickte. Neben ihr fuhr Ingtar zusammen.
Rand konnte an dem Wald, der sie nun umgab, nichts Ungewöhnliches entdecken. Das Unterholz war nicht zu dicht. Sie hatten sich einen bequemen Weg unter dem Blätterdach der Eichen und Hickorybäume, der Schwarzwurzeln und Buchen gesucht. Hier und da stachen eine hohe Kiefer oder ein Lederblattbaum hervor oder auch der weiße Stamm einer Birke. Doch als er ihnen folgte, überlief es ihn mit einem Mal kalt, als sei er mitten im Winter in einen Teich im Wasserwald gesprungen. Es durchfuhr ihn und war wieder weg — nur ein erfrischendes Gefühl blieb zurück. Und auch das stumpfe und entfernte Gefühl, etwas verloren zu haben, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was das sein konnte.
Jeder Reiter zuckte an diesem Fleck zusammen oder gab irgendeinen Laut der Überraschung von sich. Hurin stand der Mund offen, und Uno flüsterte: »Blutige, flammende... « Dann schüttelte er den Kopf, als wisse er nicht weiter. In Perrins gelben Augen schimmerte eine Erkenntnis.
Loial atmete tief durch. »Es ist ein so... gutes... Gefühl, wieder in einem Stedding zu sein.«
Mit gerunzelter Stirn sah sich Rand um. Er hatte erwartet, daß es in einem Stedding irgendwie anders aussah, aber abgesehen von diesem kurzen Schauer war der Wald genau der gleiche, durch den sie den ganzen Tag geritten waren. Sicher, da war auch das unvermittelte Gefühl von Frische. Dann trat hinter einer Eiche ein Ogiermädchen hervor.